Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Verlängerung des Muskels durch den erregten Nerven.
sammenziehung erzeugen; man findet diese Thatsache in einem scheinbaren Wider-
spruch mit der durch die Nervenerregung erzeugten Zusammenziehung, da diese sich
immer erstrecken müsste über das ganze Gebiet, welches dem erregenden Nerven
unterthan ist. Der Thatsache fehlt aber zum Beweis die Kenntniss der Vertheilung
der Nerven in dem Magen -- respective Darmmuskeln.

b. Verlängerung des Muskels durch den erregten Ner-
ven
. Eine geringe Zahl von Nervenröhren scheint überraschender
Weise wenn sie in den von der negativen Schwankung der elektro-
motorischen Molekeln begleiteten Erregungszustand kommt eine Ver-
längerung in den ihnen zugehörigen Muskeln zu erzeugen. Als ein-
zig unzweifelhaftes Beispiel für diese Art des Zusammenhangs
zwischen Nerven und Muskeln dient das von Ed. Weber (und
Budge?) entdeckte Verhältniss zwischen dem n. vagus und der Herz-
muskulatur. Erregt man diesen Nerven vor seinem Eintritt in das Herz,
so folgen die Schläge dieses letztern in grössern Zwischenräumen als
vorher, so dass das Herz oft minutenlang in der Erweiterung stille steht,
und umgekehrt durchschneidet man den n. vagus, womit die Ausbrei-
tung des Nerven im Herzen dem Hirneinfluss entzogen ist, so mehrt
sich die Zahl der Herzschläge in einer ausserordentlichen Weise. Diese
Erfahrung bedeutet aber genauer ausgedrückt eigentlich etwas anderes,
als das, was wir vorhin aus ihr folgerten; denn offenbar berechtigt sie
nur zu dem Ausspruch, dass der erregte n. vagus ein die Zusammen-
ziehung des Herzens veranlassendes Moment wegzuräumen im Stande
sei. Dieser Ausspruch schliesst nun wie ersichtlich die Nothwendigkeit
der Annahme gar nicht in sich, dass der Nerv geradezu auf den Muskel
wirke. In Uebereinstimmung mit dieser Annahme steht die Thatsache,
dass der nerv. vagus vor seiner Einsenkung in die Muskeln mit zahl-
reichen Ganglienkugeln belegt ist, und dass der Nerv, wenn er jenseits
der Stellen, in denen er von dieser Masse umgeben ist, erregt wird, die
beschleunigte Zusammenziehung des Herzens veranlasst; Hoffa,
Ludwig
. Man darf hieraus mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen,
dass der Nerv, indem er das Herz beruhigt nicht auf die Muskeln
sondern auf die Ganglienkugeln wirkt.

Eine grössere Reihe anderer Beispiele, die man meist mit dem eben besprochenen
Fall zusammenstellt, ist noch zu dunkel, als dass sie schon einer genaueren Erwä-
gung unterworfen werden könnte. Hierher gehört: dass eine durch Reflex einge-
leitete Bewegung von dem Willen unterdrückt werden kann, wie z. B. die Zusam-
menziehung des m. orbicularis palpebrarum, wenn ein Schlag gegen das Auge
geführt wird; ferner vermuthet mit Wahrscheinlichkeit Kölliker *), dass die Erek-
tion des penis durch eine von der Nervenerregung eingeleitete Erschlaffung der ca-
vernosen Muskeln ermöglicht werde u. s. w. Da man in diesen Beispielen nicht
einmal den erregenden Einfluss kennt, so wäre es gedenkbar, dass hier dieser selbst
ein anderer wäre, in Folge dessen möglicher Weise die Nerven in einen von der
gewöhnlichen Erregung abweichenden Zustand kämen. Siehe hierüber noch Reflex-
bewegung und Willenshemmung.

*) Verhandlungen der physik. med. Gesellschaft in Würzburg II. Nr. 8 u. 9.

Verlängerung des Muskels durch den erregten Nerven.
sammenziehung erzeugen; man findet diese Thatsache in einem scheinbaren Wider-
spruch mit der durch die Nervenerregung erzeugten Zusammenziehung, da diese sich
immer erstrecken müsste über das ganze Gebiet, welches dem erregenden Nerven
unterthan ist. Der Thatsache fehlt aber zum Beweis die Kenntniss der Vertheilung
der Nerven in dem Magen — respective Darmmuskeln.

b. Verlängerung des Muskels durch den erregten Ner-
ven
. Eine geringe Zahl von Nervenröhren scheint überraschender
Weise wenn sie in den von der negativen Schwankung der elektro-
motorischen Molekeln begleiteten Erregungszustand kommt eine Ver-
längerung in den ihnen zugehörigen Muskeln zu erzeugen. Als ein-
zig unzweifelhaftes Beispiel für diese Art des Zusammenhangs
zwischen Nerven und Muskeln dient das von Ed. Weber (und
Budge?) entdeckte Verhältniss zwischen dem n. vagus und der Herz-
muskulatur. Erregt man diesen Nerven vor seinem Eintritt in das Herz,
so folgen die Schläge dieses letztern in grössern Zwischenräumen als
vorher, so dass das Herz oft minutenlang in der Erweiterung stille steht,
und umgekehrt durchschneidet man den n. vagus, womit die Ausbrei-
tung des Nerven im Herzen dem Hirneinfluss entzogen ist, so mehrt
sich die Zahl der Herzschläge in einer ausserordentlichen Weise. Diese
Erfahrung bedeutet aber genauer ausgedrückt eigentlich etwas anderes,
als das, was wir vorhin aus ihr folgerten; denn offenbar berechtigt sie
nur zu dem Ausspruch, dass der erregte n. vagus ein die Zusammen-
ziehung des Herzens veranlassendes Moment wegzuräumen im Stande
sei. Dieser Ausspruch schliesst nun wie ersichtlich die Nothwendigkeit
der Annahme gar nicht in sich, dass der Nerv geradezu auf den Muskel
wirke. In Uebereinstimmung mit dieser Annahme steht die Thatsache,
dass der nerv. vagus vor seiner Einsenkung in die Muskeln mit zahl-
reichen Ganglienkugeln belegt ist, und dass der Nerv, wenn er jenseits
der Stellen, in denen er von dieser Masse umgeben ist, erregt wird, die
beschleunigte Zusammenziehung des Herzens veranlasst; Hoffa,
Ludwig
. Man darf hieraus mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen,
dass der Nerv, indem er das Herz beruhigt nicht auf die Muskeln
sondern auf die Ganglienkugeln wirkt.

Eine grössere Reihe anderer Beispiele, die man meist mit dem eben besprochenen
Fall zusammenstellt, ist noch zu dunkel, als dass sie schon einer genaueren Erwä-
gung unterworfen werden könnte. Hierher gehört: dass eine durch Reflex einge-
leitete Bewegung von dem Willen unterdrückt werden kann, wie z. B. die Zusam-
menziehung des m. orbicularis palpebrarum, wenn ein Schlag gegen das Auge
geführt wird; ferner vermuthet mit Wahrscheinlichkeit Kölliker *), dass die Erek-
tion des penis durch eine von der Nervenerregung eingeleitete Erschlaffung der ca-
vernosen Muskeln ermöglicht werde u. s. w. Da man in diesen Beispielen nicht
einmal den erregenden Einfluss kennt, so wäre es gedenkbar, dass hier dieser selbst
ein anderer wäre, in Folge dessen möglicher Weise die Nerven in einen von der
gewöhnlichen Erregung abweichenden Zustand kämen. Siehe hierüber noch Reflex-
bewegung und Willenshemmung.

*) Verhandlungen der physik. med. Gesellschaft in Würzburg II. Nr. 8 u. 9.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0371" n="357"/><fw place="top" type="header">Verlängerung des Muskels durch den erregten Nerven.</fw><lb/>
sammenziehung erzeugen; man findet diese Thatsache in einem scheinbaren Wider-<lb/>
spruch mit der durch die Nervenerregung erzeugten Zusammenziehung, da diese sich<lb/>
immer erstrecken müsste über das ganze Gebiet, welches dem erregenden Nerven<lb/>
unterthan ist. Der Thatsache fehlt aber zum Beweis die Kenntniss der Vertheilung<lb/>
der Nerven in dem Magen &#x2014; respective Darmmuskeln.</p><lb/>
            <p>b. <hi rendition="#g">Verlängerung des Muskels durch den erregten Ner-<lb/>
ven</hi>. Eine geringe Zahl von Nervenröhren scheint überraschender<lb/>
Weise wenn sie in den von der negativen Schwankung der elektro-<lb/>
motorischen Molekeln begleiteten Erregungszustand kommt eine Ver-<lb/>
längerung in den ihnen zugehörigen Muskeln zu erzeugen. Als ein-<lb/>
zig unzweifelhaftes Beispiel für diese Art des Zusammenhangs<lb/>
zwischen Nerven und Muskeln dient das von <hi rendition="#g">Ed. Weber</hi> (und<lb/><hi rendition="#g">Budge</hi>?) entdeckte Verhältniss zwischen dem n. vagus und der Herz-<lb/>
muskulatur. Erregt man diesen Nerven vor seinem Eintritt in das Herz,<lb/>
so folgen die Schläge dieses letztern in grössern Zwischenräumen als<lb/>
vorher, so dass das Herz oft minutenlang in der Erweiterung stille steht,<lb/>
und umgekehrt durchschneidet man den n. vagus, womit die Ausbrei-<lb/>
tung des Nerven im Herzen dem Hirneinfluss entzogen ist, so mehrt<lb/>
sich die Zahl der Herzschläge in einer ausserordentlichen Weise. Diese<lb/>
Erfahrung bedeutet aber genauer ausgedrückt eigentlich etwas anderes,<lb/>
als das, was wir vorhin aus ihr folgerten; denn offenbar berechtigt sie<lb/>
nur zu dem Ausspruch, dass der erregte n. vagus ein die Zusammen-<lb/>
ziehung des Herzens veranlassendes Moment wegzuräumen im Stande<lb/>
sei. Dieser Ausspruch schliesst nun wie ersichtlich die Nothwendigkeit<lb/>
der Annahme gar nicht in sich, dass der Nerv geradezu auf den Muskel<lb/>
wirke. In Uebereinstimmung mit dieser Annahme steht die Thatsache,<lb/>
dass der nerv. vagus vor seiner Einsenkung in die Muskeln mit zahl-<lb/>
reichen Ganglienkugeln belegt ist, und dass der Nerv, wenn er jenseits<lb/>
der Stellen, in denen er von dieser Masse umgeben ist, erregt wird, die<lb/>
beschleunigte Zusammenziehung des Herzens veranlasst; <hi rendition="#g">Hoffa,<lb/>
Ludwig</hi>. Man darf hieraus mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen,<lb/>
dass der Nerv, indem er das Herz beruhigt nicht auf die Muskeln<lb/>
sondern auf die Ganglienkugeln wirkt.</p><lb/>
            <p>Eine grössere Reihe anderer Beispiele, die man meist mit dem eben besprochenen<lb/>
Fall zusammenstellt, ist noch zu dunkel, als dass sie schon einer genaueren Erwä-<lb/>
gung unterworfen werden könnte. Hierher gehört: dass eine durch Reflex einge-<lb/>
leitete Bewegung von dem Willen unterdrückt werden kann, wie z. B. die Zusam-<lb/>
menziehung des m. orbicularis palpebrarum, wenn ein Schlag gegen das Auge<lb/>
geführt wird; ferner vermuthet mit Wahrscheinlichkeit <hi rendition="#g">Kölliker</hi> <note place="foot" n="*)">Verhandlungen der physik. med. Gesellschaft in Würzburg II. Nr. 8 u. 9.</note>, dass die Erek-<lb/>
tion des penis durch eine von der Nervenerregung eingeleitete Erschlaffung der ca-<lb/>
vernosen Muskeln ermöglicht werde u. s. w. Da man in diesen Beispielen nicht<lb/>
einmal den erregenden Einfluss kennt, so wäre es gedenkbar, dass hier dieser selbst<lb/>
ein anderer wäre, in Folge dessen möglicher Weise die Nerven in einen von der<lb/>
gewöhnlichen Erregung abweichenden Zustand kämen. Siehe hierüber noch Reflex-<lb/>
bewegung und Willenshemmung.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0371] Verlängerung des Muskels durch den erregten Nerven. sammenziehung erzeugen; man findet diese Thatsache in einem scheinbaren Wider- spruch mit der durch die Nervenerregung erzeugten Zusammenziehung, da diese sich immer erstrecken müsste über das ganze Gebiet, welches dem erregenden Nerven unterthan ist. Der Thatsache fehlt aber zum Beweis die Kenntniss der Vertheilung der Nerven in dem Magen — respective Darmmuskeln. b. Verlängerung des Muskels durch den erregten Ner- ven. Eine geringe Zahl von Nervenröhren scheint überraschender Weise wenn sie in den von der negativen Schwankung der elektro- motorischen Molekeln begleiteten Erregungszustand kommt eine Ver- längerung in den ihnen zugehörigen Muskeln zu erzeugen. Als ein- zig unzweifelhaftes Beispiel für diese Art des Zusammenhangs zwischen Nerven und Muskeln dient das von Ed. Weber (und Budge?) entdeckte Verhältniss zwischen dem n. vagus und der Herz- muskulatur. Erregt man diesen Nerven vor seinem Eintritt in das Herz, so folgen die Schläge dieses letztern in grössern Zwischenräumen als vorher, so dass das Herz oft minutenlang in der Erweiterung stille steht, und umgekehrt durchschneidet man den n. vagus, womit die Ausbrei- tung des Nerven im Herzen dem Hirneinfluss entzogen ist, so mehrt sich die Zahl der Herzschläge in einer ausserordentlichen Weise. Diese Erfahrung bedeutet aber genauer ausgedrückt eigentlich etwas anderes, als das, was wir vorhin aus ihr folgerten; denn offenbar berechtigt sie nur zu dem Ausspruch, dass der erregte n. vagus ein die Zusammen- ziehung des Herzens veranlassendes Moment wegzuräumen im Stande sei. Dieser Ausspruch schliesst nun wie ersichtlich die Nothwendigkeit der Annahme gar nicht in sich, dass der Nerv geradezu auf den Muskel wirke. In Uebereinstimmung mit dieser Annahme steht die Thatsache, dass der nerv. vagus vor seiner Einsenkung in die Muskeln mit zahl- reichen Ganglienkugeln belegt ist, und dass der Nerv, wenn er jenseits der Stellen, in denen er von dieser Masse umgeben ist, erregt wird, die beschleunigte Zusammenziehung des Herzens veranlasst; Hoffa, Ludwig. Man darf hieraus mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen, dass der Nerv, indem er das Herz beruhigt nicht auf die Muskeln sondern auf die Ganglienkugeln wirkt. Eine grössere Reihe anderer Beispiele, die man meist mit dem eben besprochenen Fall zusammenstellt, ist noch zu dunkel, als dass sie schon einer genaueren Erwä- gung unterworfen werden könnte. Hierher gehört: dass eine durch Reflex einge- leitete Bewegung von dem Willen unterdrückt werden kann, wie z. B. die Zusam- menziehung des m. orbicularis palpebrarum, wenn ein Schlag gegen das Auge geführt wird; ferner vermuthet mit Wahrscheinlichkeit Kölliker *), dass die Erek- tion des penis durch eine von der Nervenerregung eingeleitete Erschlaffung der ca- vernosen Muskeln ermöglicht werde u. s. w. Da man in diesen Beispielen nicht einmal den erregenden Einfluss kennt, so wäre es gedenkbar, dass hier dieser selbst ein anderer wäre, in Folge dessen möglicher Weise die Nerven in einen von der gewöhnlichen Erregung abweichenden Zustand kämen. Siehe hierüber noch Reflex- bewegung und Willenshemmung. *) Verhandlungen der physik. med. Gesellschaft in Würzburg II. Nr. 8 u. 9.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/371
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/371>, abgerufen am 25.11.2024.