nun durch eine neue Einwirkung weniger erregt wird, als seine un- geschwächten Nachbarn. Die Nachschmerzen scheinen um so stärker hervor zu treten, je anhaltender das Erregungsmittel einwirkte. Hier- her gehören die Beispiele der andauernden Schmerzempfindung nach langen Druckwirkungen seitens enger Kleidungsstücke etc.
Die Lehre von der Nachempfindung, d. h. von dem Antheil, welcher dem Nerven an ihr zukommt, wird erst dann einen Fortschritt machen, wenn man die Folgen genauer zu würdigen gelernt hat, welche das Erregungsmittel auf die den Nerv um- gebenden Gewebe ausübt, deren Zustand unter vielen Umständen empfindungs- erweckend auf den Nerven wirken kann.
B. Besondere Gefühle.
Die Orte der besondern Gefühle empfinden neben dem Schmerz auch noch gelinde mechanische Einwirkungen, als Druck, Zug, Kitzel u. s. w. und die Temperaturschwankungen als Wärme und Kälte; ihre Nerven stehen ausserdem in engerer Beziehung zur Seele, durch die sie vor allen Uebrigen deutliche Vorstellungen der erregten Oertlich- keit erwecken, und endlich verknüpfen sich ihre Erregungen mit Be- wegungsvorstellungen zur Erzeugung complizirterer Urtheile.
Zu diesen ausgedehnten Leistungen sind die Nerven befähigt, welche sich in der äussern Haut, der Mundhöhle bis zum vordern Gau- mensegel, einschliesslich dieses letztern, der Zunge, dem Eingang der Nasen- und Afteröffnung verbreiten.
1. Eigenthümlichkeiten in der Verbreitung und den Ursprüngen dieser Nerven. Die Flächen, in welchen die erwähn- ten Nerven ihr peripherisches Ende finden, sind mit Einrichtungen versehen, welche in mehr oder weniger inniger Beziehung zu ihren besondern Gefühlen stehen; E. H. Weber. a. Die Nervenröhren enden in der Cutis und der Zunge wahrscheinlich als abgestuzte Fäden, nachdem sie vorher mannigfache Plexus gebildet und sich wiederholt getheilt haben; ihr Ende liegt aller Orten in den Fortsätzen, welche als Papillen die Haut und Zunge bedecken und die, mögen sie gefäss- haltig oder gefässlos sein, ein schwammiges, elastisches mit Flüssig- keit durchtränktes Gewebe darstellen, welches einen Ueberzug aus dem starren Pflasterepithelium erhält. Nach einer wichtigen Entdeckung von Meissner und R. Wagner*), sind bestimmte Papillen, Hand- fläche, des Handrückens, des rothen Lippenrandes, der Fusssohlen und nach Kölliker**) auch die pap. fungiform. linguae ausserdem noch mit einem eigenthümlich gebauten Theile, dem Tastkörperchen, ver- sehen, das entfernt an ein Vater'sches Körperchen erinnert, in welches der Nerv eindringt. An den Orten dieses Vorkommens entbehrt die Papille, welche eine Nervenendigung in sich schliesst, der Gefässe. Durch diese Einrichtungen wird die Haut geschickt
*)Gottinger gelehrte Anzeige, Februar 1852. -- Müllers Archiv 1852. 493.
**)Kölliker, Handbuch der mikrosk. Anatomie p. 85.
Nerven für besondere Gefühle.
nun durch eine neue Einwirkung weniger erregt wird, als seine un- geschwächten Nachbarn. Die Nachschmerzen scheinen um so stärker hervor zu treten, je anhaltender das Erregungsmittel einwirkte. Hier- her gehören die Beispiele der andauernden Schmerzempfindung nach langen Druckwirkungen seitens enger Kleidungsstücke etc.
Die Lehre von der Nachempfindung, d. h. von dem Antheil, welcher dem Nerven an ihr zukommt, wird erst dann einen Fortschritt machen, wenn man die Folgen genauer zu würdigen gelernt hat, welche das Erregungsmittel auf die den Nerv um- gebenden Gewebe ausübt, deren Zustand unter vielen Umständen empfindungs- erweckend auf den Nerven wirken kann.
B. Besondere Gefühle.
Die Orte der besondern Gefühle empfinden neben dem Schmerz auch noch gelinde mechanische Einwirkungen, als Druck, Zug, Kitzel u. s. w. und die Temperaturschwankungen als Wärme und Kälte; ihre Nerven stehen ausserdem in engerer Beziehung zur Seele, durch die sie vor allen Uebrigen deutliche Vorstellungen der erregten Oertlich- keit erwecken, und endlich verknüpfen sich ihre Erregungen mit Be- wegungsvorstellungen zur Erzeugung complizirterer Urtheile.
Zu diesen ausgedehnten Leistungen sind die Nerven befähigt, welche sich in der äussern Haut, der Mundhöhle bis zum vordern Gau- mensegel, einschliesslich dieses letztern, der Zunge, dem Eingang der Nasen- und Afteröffnung verbreiten.
1. Eigenthümlichkeiten in der Verbreitung und den Ursprüngen dieser Nerven. Die Flächen, in welchen die erwähn- ten Nerven ihr peripherisches Ende finden, sind mit Einrichtungen versehen, welche in mehr oder weniger inniger Beziehung zu ihren besondern Gefühlen stehen; E. H. Weber. a. Die Nervenröhren enden in der Cutis und der Zunge wahrscheinlich als abgestuzte Fäden, nachdem sie vorher mannigfache Plexus gebildet und sich wiederholt getheilt haben; ihr Ende liegt aller Orten in den Fortsätzen, welche als Papillen die Haut und Zunge bedecken und die, mögen sie gefäss- haltig oder gefässlos sein, ein schwammiges, elastisches mit Flüssig- keit durchtränktes Gewebe darstellen, welches einen Ueberzug aus dem starren Pflasterepithelium erhält. Nach einer wichtigen Entdeckung von Meissner und R. Wagner*), sind bestimmte Papillen, Hand- fläche, des Handrückens, des rothen Lippenrandes, der Fusssohlen und nach Kölliker**) auch die pap. fungiform. linguae ausserdem noch mit einem eigenthümlich gebauten Theile, dem Tastkörperchen, ver- sehen, das entfernt an ein Vater’sches Körperchen erinnert, in welches der Nerv eindringt. An den Orten dieses Vorkommens entbehrt die Papille, welche eine Nervenendigung in sich schliesst, der Gefässe. Durch diese Einrichtungen wird die Haut geschickt
*)Gottinger gelehrte Anzeige, Februar 1852. — Müllers Archiv 1852. 493.
**)Kölliker, Handbuch der mikrosk. Anatomie p. 85.
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Nerven für besondere Gefühle.
nun durch eine neue Einwirkung weniger erregt wird, als seine un-
geschwächten Nachbarn. Die Nachschmerzen scheinen um so stärker
hervor zu treten, je anhaltender das Erregungsmittel einwirkte. Hier-
her gehören die Beispiele der andauernden Schmerzempfindung nach
langen Druckwirkungen seitens enger Kleidungsstücke etc.
Die Lehre von der Nachempfindung, d. h. von dem Antheil, welcher dem Nerven
an ihr zukommt, wird erst dann einen Fortschritt machen, wenn man die Folgen
genauer zu würdigen gelernt hat, welche das Erregungsmittel auf die den Nerv um-
gebenden Gewebe ausübt, deren Zustand unter vielen Umständen empfindungs-
erweckend auf den Nerven wirken kann.
B. Besondere Gefühle.
Die Orte der besondern Gefühle empfinden neben dem Schmerz
auch noch gelinde mechanische Einwirkungen, als Druck, Zug, Kitzel
u. s. w. und die Temperaturschwankungen als Wärme und Kälte; ihre
Nerven stehen ausserdem in engerer Beziehung zur Seele, durch die
sie vor allen Uebrigen deutliche Vorstellungen der erregten Oertlich-
keit erwecken, und endlich verknüpfen sich ihre Erregungen mit Be-
wegungsvorstellungen zur Erzeugung complizirterer Urtheile.
Zu diesen ausgedehnten Leistungen sind die Nerven befähigt,
welche sich in der äussern Haut, der Mundhöhle bis zum vordern Gau-
mensegel, einschliesslich dieses letztern, der Zunge, dem Eingang
der Nasen- und Afteröffnung verbreiten.
1. Eigenthümlichkeiten in der Verbreitung und den
Ursprüngen dieser Nerven. Die Flächen, in welchen die erwähn-
ten Nerven ihr peripherisches Ende finden, sind mit Einrichtungen
versehen, welche in mehr oder weniger inniger Beziehung zu ihren
besondern Gefühlen stehen; E. H. Weber. a. Die Nervenröhren enden
in der Cutis und der Zunge wahrscheinlich als abgestuzte Fäden,
nachdem sie vorher mannigfache Plexus gebildet und sich wiederholt
getheilt haben; ihr Ende liegt aller Orten in den Fortsätzen, welche
als Papillen die Haut und Zunge bedecken und die, mögen sie gefäss-
haltig oder gefässlos sein, ein schwammiges, elastisches mit Flüssig-
keit durchtränktes Gewebe darstellen, welches einen Ueberzug aus
dem starren Pflasterepithelium erhält. Nach einer wichtigen Entdeckung
von Meissner und R. Wagner *), sind bestimmte Papillen, Hand-
fläche, des Handrückens, des rothen Lippenrandes, der Fusssohlen und
nach Kölliker **) auch die pap. fungiform. linguae ausserdem noch
mit einem eigenthümlich gebauten Theile, dem Tastkörperchen, ver-
sehen, das entfernt an ein Vater’sches Körperchen erinnert, in
welches der Nerv eindringt. An den Orten dieses Vorkommens
entbehrt die Papille, welche eine Nervenendigung in sich schliesst,
der Gefässe. Durch diese Einrichtungen wird die Haut geschickt
*) Gottinger gelehrte Anzeige, Februar 1852. — Müllers Archiv 1852. 493.
**) Kölliker, Handbuch der mikrosk. Anatomie p. 85.
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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/317>, abgerufen am 16.02.2025.
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