Die Einpflanzung von Bedingungen zur Erzeugung von geordneten Bewegungen im sympathischen System ist für die Lebensvorgänge in- sofern von Wichtigkeit, als die von ihnen angeregten Organe bis zu einem gewissen Grade unabhängig vom Hirn und Rückenmark werden. Die Ueberzeugung von der Wahrheit dieser Behauptung ist uns durch eine sehr bemerkenswerthe Versuchsreihe, welche Bidder*) an- stellte, zu Theil geworden. Er zerstörte bei einigen Fröschen das Hirn, bei anderen das Rückenmark, bei noch andern das verlängerte Mark oder endlich gleichzeitig Hirn und Rückenmark; nach dieser Operation gingen die Akte der Verdauung und namentlich die Weiter- schaffung der Darmkontenta, des Harnes u. s. w. noch längere Zeit ungestört vor sich.
5. Stellung der bewegenden Nervenröhren des n. sym- pathicus zum Willen und zu andern erregenden Hirn- stellen. Kein Theil des n. sympathicus ist dem Willen unbedingt unterworfen; in dem Zustande leidenschaftlicher Erregung ist dagegen die Seele vermögend, einen beträchtlichen Einfluss auf die meisten, wenn nicht alle motorischen Fasern des n. sympathicus zu üben. Die- ser Einfluss, welchen die Seele in der Angst, dem geschlechtlichen Verlangen u. s. w. gewinnt, unterliegt mehreren Beschränkungen; zu diesen gehört, dass ein und dieselbe Leidenschaft nicht beliebig jeden, sondern immer nur einen und denselben oder höchstens wechselnd zwei Bewegungsapparate in Erregung zu bringen vermag, so dass, wie die Leidenschaften in den Gesichtsmuskeln, sie somit auch in dem Bereich des sympathischen Systems ihren bestimmten Ausdruck fin- den. Eine andere Besonderheit in der Beziehung zwischen leiden- schaftlich erregter Seele und dem sympathischen Bereich liegt darin, dass die erstere einen Apparat, auf den sie einmal einwirkt, immer nur in seiner Gesammtheit und in seinem Bewegungstypus erregt, so dass die leidenschaftliche Erregung sich weder auf einzelne Stücke zu be- schränken, noch auch die gewöhnlich in ihm vorkommende Reihen- folge der Bewegungen umzudrehen vermag. An eine Theorie dieser Erscheinungen kann natürlich gar nicht gedacht werden.
Die Kürze der vorstehenden Darstellung des sympathischen Sy- stems findet ihren Grund weder darin, dass eine zu geringe Menge von Versuchen über den n. Sympathikus angestellt ist, noch auch darin, dass man wenige Meinungen über die Funktionen des Sympathikus ausge- sprochen hat; im Gegentheil, die Litteratur über den n. sympathikus gibt an Stattlichkeit keiner andern nach; so dass, wollte man auch noch so kurz ihren wesentlichen Inhalt wiedergeben, man leicht einen
*)Müllers Archiv 1844. Erfahrungen über die funktionelle Selbstständigkeit u. s. w. Aehnliche Beobachtungen an Schildkröten, Fröschen und Tauben haben Brown-Sequard. Compt. rend. Tom. XXX. (Gazette medicale 1851, Nr. 26 u. 30) und Schiff angestellt, die aber nichts Neues über diesen Gegenstand lehren.
Stellung der motorischen Röhren zum Willen.
Die Einpflanzung von Bedingungen zur Erzeugung von geordneten Bewegungen im sympathischen System ist für die Lebensvorgänge in- sofern von Wichtigkeit, als die von ihnen angeregten Organe bis zu einem gewissen Grade unabhängig vom Hirn und Rückenmark werden. Die Ueberzeugung von der Wahrheit dieser Behauptung ist uns durch eine sehr bemerkenswerthe Versuchsreihe, welche Bidder*) an- stellte, zu Theil geworden. Er zerstörte bei einigen Fröschen das Hirn, bei anderen das Rückenmark, bei noch andern das verlängerte Mark oder endlich gleichzeitig Hirn und Rückenmark; nach dieser Operation gingen die Akte der Verdauung und namentlich die Weiter- schaffung der Darmkontenta, des Harnes u. s. w. noch längere Zeit ungestört vor sich.
5. Stellung der bewegenden Nervenröhren des n. sym- pathicus zum Willen und zu andern erregenden Hirn- stellen. Kein Theil des n. sympathicus ist dem Willen unbedingt unterworfen; in dem Zustande leidenschaftlicher Erregung ist dagegen die Seele vermögend, einen beträchtlichen Einfluss auf die meisten, wenn nicht alle motorischen Fasern des n. sympathicus zu üben. Die- ser Einfluss, welchen die Seele in der Angst, dem geschlechtlichen Verlangen u. s. w. gewinnt, unterliegt mehreren Beschränkungen; zu diesen gehört, dass ein und dieselbe Leidenschaft nicht beliebig jeden, sondern immer nur einen und denselben oder höchstens wechselnd zwei Bewegungsapparate in Erregung zu bringen vermag, so dass, wie die Leidenschaften in den Gesichtsmuskeln, sie somit auch in dem Bereich des sympathischen Systems ihren bestimmten Ausdruck fin- den. Eine andere Besonderheit in der Beziehung zwischen leiden- schaftlich erregter Seele und dem sympathischen Bereich liegt darin, dass die erstere einen Apparat, auf den sie einmal einwirkt, immer nur in seiner Gesammtheit und in seinem Bewegungstypus erregt, so dass die leidenschaftliche Erregung sich weder auf einzelne Stücke zu be- schränken, noch auch die gewöhnlich in ihm vorkommende Reihen- folge der Bewegungen umzudrehen vermag. An eine Theorie dieser Erscheinungen kann natürlich gar nicht gedacht werden.
Die Kürze der vorstehenden Darstellung des sympathischen Sy- stems findet ihren Grund weder darin, dass eine zu geringe Menge von Versuchen über den n. Sympathikus angestellt ist, noch auch darin, dass man wenige Meinungen über die Funktionen des Sympathikus ausge- sprochen hat; im Gegentheil, die Litteratur über den n. sympathikus gibt an Stattlichkeit keiner andern nach; so dass, wollte man auch noch so kurz ihren wesentlichen Inhalt wiedergeben, man leicht einen
*)Müllers Archiv 1844. Erfahrungen über die funktionelle Selbstständigkeit u. s. w. Aehnliche Beobachtungen an Schildkröten, Fröschen und Tauben haben Brown-Sequard. Compt. rend. Tom. XXX. (Gazette medicale 1851, Nr. 26 u. 30) und Schiff angestellt, die aber nichts Neues über diesen Gegenstand lehren.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0198"n="184"/><fwplace="top"type="header">Stellung der motorischen Röhren zum Willen.</fw><lb/><p>Die Einpflanzung von Bedingungen zur Erzeugung von geordneten<lb/>
Bewegungen im sympathischen System ist für die Lebensvorgänge in-<lb/>
sofern von Wichtigkeit, als die von ihnen angeregten Organe bis zu<lb/>
einem gewissen Grade unabhängig vom Hirn und Rückenmark werden.<lb/>
Die Ueberzeugung von der Wahrheit dieser Behauptung ist uns durch<lb/>
eine sehr bemerkenswerthe Versuchsreihe, welche <hirendition="#g">Bidder</hi><noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#g">Müllers</hi> Archiv 1844. Erfahrungen über die funktionelle Selbstständigkeit u. s. w. Aehnliche<lb/>
Beobachtungen an Schildkröten, Fröschen und Tauben haben <hirendition="#g">Brown-Sequard</hi>. Compt.<lb/>
rend. Tom. XXX. (Gazette medicale 1851, Nr. 26 u. 30) und <hirendition="#g">Schiff</hi> angestellt, die aber nichts<lb/>
Neues über diesen Gegenstand lehren.</note> an-<lb/>
stellte, zu Theil geworden. Er zerstörte bei einigen Fröschen das<lb/>
Hirn, bei anderen das Rückenmark, bei noch andern das verlängerte<lb/>
Mark oder endlich gleichzeitig Hirn und Rückenmark; nach dieser<lb/>
Operation gingen die Akte der Verdauung und namentlich die Weiter-<lb/>
schaffung der Darmkontenta, des Harnes u. s. w. noch längere Zeit<lb/>
ungestört vor sich.</p><lb/><p>5. <hirendition="#g">Stellung der bewegenden Nervenröhren des</hi> n. <hirendition="#g">sym-<lb/>
pathicus zum Willen und zu andern erregenden Hirn-<lb/>
stellen</hi>. Kein Theil des n. sympathicus ist dem Willen unbedingt<lb/>
unterworfen; in dem Zustande leidenschaftlicher Erregung ist dagegen<lb/>
die Seele vermögend, einen beträchtlichen Einfluss auf die meisten,<lb/>
wenn nicht alle motorischen Fasern des n. sympathicus zu üben. Die-<lb/>
ser Einfluss, welchen die Seele in der Angst, dem geschlechtlichen<lb/>
Verlangen u. s. w. gewinnt, unterliegt mehreren Beschränkungen; zu<lb/>
diesen gehört, dass ein und dieselbe Leidenschaft nicht beliebig jeden,<lb/>
sondern immer nur einen und denselben oder höchstens wechselnd<lb/>
zwei Bewegungsapparate in Erregung zu bringen vermag, so dass,<lb/>
wie die Leidenschaften in den Gesichtsmuskeln, sie somit auch in dem<lb/>
Bereich des sympathischen Systems ihren bestimmten Ausdruck fin-<lb/>
den. Eine andere Besonderheit in der Beziehung zwischen leiden-<lb/>
schaftlich erregter Seele und dem sympathischen Bereich liegt darin,<lb/>
dass die erstere einen Apparat, auf den sie einmal einwirkt, immer nur<lb/>
in seiner Gesammtheit und in seinem Bewegungstypus erregt, so dass<lb/>
die leidenschaftliche Erregung sich weder auf einzelne Stücke zu be-<lb/>
schränken, noch auch die gewöhnlich in ihm vorkommende Reihen-<lb/>
folge der Bewegungen umzudrehen vermag. An eine Theorie dieser<lb/>
Erscheinungen kann natürlich gar nicht gedacht werden.</p><lb/><p>Die Kürze der vorstehenden Darstellung des sympathischen Sy-<lb/>
stems findet ihren Grund weder darin, dass eine zu geringe Menge von<lb/>
Versuchen über den n. Sympathikus angestellt ist, noch auch darin, dass<lb/>
man wenige Meinungen über die Funktionen des Sympathikus ausge-<lb/>
sprochen hat; im Gegentheil, die Litteratur über den n. sympathikus<lb/>
gibt an Stattlichkeit keiner andern nach; so dass, wollte man auch<lb/>
noch so kurz ihren wesentlichen Inhalt wiedergeben, man leicht einen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[184/0198]
Stellung der motorischen Röhren zum Willen.
Die Einpflanzung von Bedingungen zur Erzeugung von geordneten
Bewegungen im sympathischen System ist für die Lebensvorgänge in-
sofern von Wichtigkeit, als die von ihnen angeregten Organe bis zu
einem gewissen Grade unabhängig vom Hirn und Rückenmark werden.
Die Ueberzeugung von der Wahrheit dieser Behauptung ist uns durch
eine sehr bemerkenswerthe Versuchsreihe, welche Bidder *) an-
stellte, zu Theil geworden. Er zerstörte bei einigen Fröschen das
Hirn, bei anderen das Rückenmark, bei noch andern das verlängerte
Mark oder endlich gleichzeitig Hirn und Rückenmark; nach dieser
Operation gingen die Akte der Verdauung und namentlich die Weiter-
schaffung der Darmkontenta, des Harnes u. s. w. noch längere Zeit
ungestört vor sich.
5. Stellung der bewegenden Nervenröhren des n. sym-
pathicus zum Willen und zu andern erregenden Hirn-
stellen. Kein Theil des n. sympathicus ist dem Willen unbedingt
unterworfen; in dem Zustande leidenschaftlicher Erregung ist dagegen
die Seele vermögend, einen beträchtlichen Einfluss auf die meisten,
wenn nicht alle motorischen Fasern des n. sympathicus zu üben. Die-
ser Einfluss, welchen die Seele in der Angst, dem geschlechtlichen
Verlangen u. s. w. gewinnt, unterliegt mehreren Beschränkungen; zu
diesen gehört, dass ein und dieselbe Leidenschaft nicht beliebig jeden,
sondern immer nur einen und denselben oder höchstens wechselnd
zwei Bewegungsapparate in Erregung zu bringen vermag, so dass,
wie die Leidenschaften in den Gesichtsmuskeln, sie somit auch in dem
Bereich des sympathischen Systems ihren bestimmten Ausdruck fin-
den. Eine andere Besonderheit in der Beziehung zwischen leiden-
schaftlich erregter Seele und dem sympathischen Bereich liegt darin,
dass die erstere einen Apparat, auf den sie einmal einwirkt, immer nur
in seiner Gesammtheit und in seinem Bewegungstypus erregt, so dass
die leidenschaftliche Erregung sich weder auf einzelne Stücke zu be-
schränken, noch auch die gewöhnlich in ihm vorkommende Reihen-
folge der Bewegungen umzudrehen vermag. An eine Theorie dieser
Erscheinungen kann natürlich gar nicht gedacht werden.
Die Kürze der vorstehenden Darstellung des sympathischen Sy-
stems findet ihren Grund weder darin, dass eine zu geringe Menge von
Versuchen über den n. Sympathikus angestellt ist, noch auch darin, dass
man wenige Meinungen über die Funktionen des Sympathikus ausge-
sprochen hat; im Gegentheil, die Litteratur über den n. sympathikus
gibt an Stattlichkeit keiner andern nach; so dass, wollte man auch
noch so kurz ihren wesentlichen Inhalt wiedergeben, man leicht einen
*) Müllers Archiv 1844. Erfahrungen über die funktionelle Selbstständigkeit u. s. w. Aehnliche
Beobachtungen an Schildkröten, Fröschen und Tauben haben Brown-Sequard. Compt.
rend. Tom. XXX. (Gazette medicale 1851, Nr. 26 u. 30) und Schiff angestellt, die aber nichts
Neues über diesen Gegenstand lehren.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/198>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.