Sehr bemerkenswerth ist der Einfluss, welchen die Schwächung oder Vernich- tung einer gewissen Hirnwirkung auf das Rückenmark bei dem Entstehen der Re- flexbewegungen übt. Man kann den Werth desselben beim Versuch an Thieren und durch Beobachtung des gesunden oder kranken Menschen ermessen; sehr häufig treten bei unverletzten Fröschen auf Einwirkung entsprechender Erregung keine den reflectorischen auch nur entfernt ähnliche Bewegungen ein, während sie unfehlbar er- scheinen, so wie man die Thiere dekapitirt; noch auffallender gestaltet sich dieses bei Säugethieren; so lange man sie nicht enthirnt oder ihr Rückenmark vom Hirn nicht getrennt hat, gehören die Reflexbewegungen in den Extremitäten zu den Seltenheiten, sie kommen dagegen nach den erwähnten Operationen ganz regelmässig zum Vor- schein, gerade so wie bei vollkommen selbstbewussten Menschen nur Reflexbewegun- gen in Theilen beobachtet werden, welche entweder normal oder abnorm ganz oder theilweise dem Willenseinfluss entzogen sind. -- Eine Reihe von Thatsachen zeigt nun, dass es nicht das Hirn im Allgemeinen sondern nur beschränkte Region ist, welches diesen störenden Einfluss auf die Reflexbewegungen übt; schlafende, trunkene, ohnmächtige Personen, bei denen noch eine beträchtliche Zahl von Hirn- thätigkeiten bestehen, sind nichts destoweniger im günstigsten Zustande des Reflexes, und eine Beobachtung an uns selbst lehrt, dass gewisse Reflexe nur nach langer Uebung der Willensstärke niedergehalten werden können, und dass viele von ihnen, die wir in aufmerksamen und geisteskräftigen Augenblicken niederzuhalten im Stande sind, in Zuständen geistiger Schwäche erscheinen.
Der Charakter der Reflexbewegung ist insofern ein spezifischer, als dieselbe niemals in einer stetigen Muskelzusammenziehung besteht, welche die Erregungsdauer des sensiblen Nerven ununterbrochen be- gleitet. Im Gegentheil, mit dem Eintritt der Erregung oder kurze Zeit nach derselben beginnt ein wechselndes Spiel eintretender und nachlassender Muskelzusammenziehung, wenn sich die Bewegung nur auf einen oder mehrere ungefähr gleichartig wirkende Muskeln er- streckt; dehnt sie sich auf alle Muskeln einer zu gewissen Funktionen zusammengeordneten Muskelgruppe aus, wie z. B. auf Athem-, Schling-, Geruch-, Gehmuskeln etc. so wechseln die Zusammenzieh- ungen der einzelnen Bestandtheile derselben in regelmässiger Reihen- folge ab und gestalten sich räumlich und zeitlich derartig, dass har- monische, nach einem gewissen Plane zusammengefügte Bewegun- gen zu Stande kommen.
Diese räumliche und zeitliche Combination der Muskeln veranlasst sehr häufig Bewegungen, deren Effect in ganz bestimmter Beziehung zu dem einwirkenden Er- regungsmittel steht, so dass das enthauptete Thier z. B., die mit Säure getränkte Stelle mit Hinter- oder Vorderpfoten reibt, das drückende Instrument wegzustossen oder gar zu entfliehen etc. sucht. Die Bewegung nimmt mit andern Worten in diesen Fällen den Schein der Zweckmässigkeit, resp. der auf Empfindung folgenden will- kürlichen Selbstbestimmung an.
Die besondere Form der Bewegung, d. h. die Zahl und Combina- tion der in Bewegung gesetzten Muskeln wird durch die Oertlichkeit, Dauer, und Intensität der Erregung des sensiblen Nerven bestimmt. Auf eine weniger intensive Erregung einer bestimmten sensiblen Fläche erfolgt mit maschinenmässiger Regelmässigkeit, vorausgesetzt dass normale Verhältnisse bestehen, eine ganz bestimmte Bewegung.
Charakter der Reflexbewegung.
Sehr bemerkenswerth ist der Einfluss, welchen die Schwächung oder Vernich- tung einer gewissen Hirnwirkung auf das Rückenmark bei dem Entstehen der Re- flexbewegungen übt. Man kann den Werth desselben beim Versuch an Thieren und durch Beobachtung des gesunden oder kranken Menschen ermessen; sehr häufig treten bei unverletzten Fröschen auf Einwirkung entsprechender Erregung keine den reflectorischen auch nur entfernt ähnliche Bewegungen ein, während sie unfehlbar er- scheinen, so wie man die Thiere dekapitirt; noch auffallender gestaltet sich dieses bei Säugethieren; so lange man sie nicht enthirnt oder ihr Rückenmark vom Hirn nicht getrennt hat, gehören die Reflexbewegungen in den Extremitäten zu den Seltenheiten, sie kommen dagegen nach den erwähnten Operationen ganz regelmässig zum Vor- schein, gerade so wie bei vollkommen selbstbewussten Menschen nur Reflexbewegun- gen in Theilen beobachtet werden, welche entweder normal oder abnorm ganz oder theilweise dem Willenseinfluss entzogen sind. — Eine Reihe von Thatsachen zeigt nun, dass es nicht das Hirn im Allgemeinen sondern nur beschränkte Region ist, welches diesen störenden Einfluss auf die Reflexbewegungen übt; schlafende, trunkene, ohnmächtige Personen, bei denen noch eine beträchtliche Zahl von Hirn- thätigkeiten bestehen, sind nichts destoweniger im günstigsten Zustande des Reflexes, und eine Beobachtung an uns selbst lehrt, dass gewisse Reflexe nur nach langer Uebung der Willensstärke niedergehalten werden können, und dass viele von ihnen, die wir in aufmerksamen und geisteskräftigen Augenblicken niederzuhalten im Stande sind, in Zuständen geistiger Schwäche erscheinen.
Der Charakter der Reflexbewegung ist insofern ein spezifischer, als dieselbe niemals in einer stetigen Muskelzusammenziehung besteht, welche die Erregungsdauer des sensiblen Nerven ununterbrochen be- gleitet. Im Gegentheil, mit dem Eintritt der Erregung oder kurze Zeit nach derselben beginnt ein wechselndes Spiel eintretender und nachlassender Muskelzusammenziehung, wenn sich die Bewegung nur auf einen oder mehrere ungefähr gleichartig wirkende Muskeln er- streckt; dehnt sie sich auf alle Muskeln einer zu gewissen Funktionen zusammengeordneten Muskelgruppe aus, wie z. B. auf Athem-, Schling-, Geruch-, Gehmuskeln etc. so wechseln die Zusammenzieh- ungen der einzelnen Bestandtheile derselben in regelmässiger Reihen- folge ab und gestalten sich räumlich und zeitlich derartig, dass har- monische, nach einem gewissen Plane zusammengefügte Bewegun- gen zu Stande kommen.
Diese räumliche und zeitliche Combination der Muskeln veranlasst sehr häufig Bewegungen, deren Effect in ganz bestimmter Beziehung zu dem einwirkenden Er- regungsmittel steht, so dass das enthauptete Thier z. B., die mit Säure getränkte Stelle mit Hinter- oder Vorderpfoten reibt, das drückende Instrument wegzustossen oder gar zu entfliehen etc. sucht. Die Bewegung nimmt mit andern Worten in diesen Fällen den Schein der Zweckmässigkeit, resp. der auf Empfindung folgenden will- kürlichen Selbstbestimmung an.
Die besondere Form der Bewegung, d. h. die Zahl und Combina- tion der in Bewegung gesetzten Muskeln wird durch die Oertlichkeit, Dauer, und Intensität der Erregung des sensiblen Nerven bestimmt. Auf eine weniger intensive Erregung einer bestimmten sensiblen Fläche erfolgt mit maschinenmässiger Regelmässigkeit, vorausgesetzt dass normale Verhältnisse bestehen, eine ganz bestimmte Bewegung.
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[141/0155]
Charakter der Reflexbewegung.
Sehr bemerkenswerth ist der Einfluss, welchen die Schwächung oder Vernich-
tung einer gewissen Hirnwirkung auf das Rückenmark bei dem Entstehen der Re-
flexbewegungen übt. Man kann den Werth desselben beim Versuch an Thieren
und durch Beobachtung des gesunden oder kranken Menschen ermessen; sehr häufig
treten bei unverletzten Fröschen auf Einwirkung entsprechender Erregung keine den
reflectorischen auch nur entfernt ähnliche Bewegungen ein, während sie unfehlbar er-
scheinen, so wie man die Thiere dekapitirt; noch auffallender gestaltet sich dieses bei
Säugethieren; so lange man sie nicht enthirnt oder ihr Rückenmark vom Hirn nicht
getrennt hat, gehören die Reflexbewegungen in den Extremitäten zu den Seltenheiten,
sie kommen dagegen nach den erwähnten Operationen ganz regelmässig zum Vor-
schein, gerade so wie bei vollkommen selbstbewussten Menschen nur Reflexbewegun-
gen in Theilen beobachtet werden, welche entweder normal oder abnorm ganz
oder theilweise dem Willenseinfluss entzogen sind. — Eine Reihe von Thatsachen
zeigt nun, dass es nicht das Hirn im Allgemeinen sondern nur beschränkte Region
ist, welches diesen störenden Einfluss auf die Reflexbewegungen übt; schlafende,
trunkene, ohnmächtige Personen, bei denen noch eine beträchtliche Zahl von Hirn-
thätigkeiten bestehen, sind nichts destoweniger im günstigsten Zustande des Reflexes,
und eine Beobachtung an uns selbst lehrt, dass gewisse Reflexe nur nach langer
Uebung der Willensstärke niedergehalten werden können, und dass viele von ihnen,
die wir in aufmerksamen und geisteskräftigen Augenblicken niederzuhalten im
Stande sind, in Zuständen geistiger Schwäche erscheinen.
Der Charakter der Reflexbewegung ist insofern ein spezifischer,
als dieselbe niemals in einer stetigen Muskelzusammenziehung besteht,
welche die Erregungsdauer des sensiblen Nerven ununterbrochen be-
gleitet. Im Gegentheil, mit dem Eintritt der Erregung oder kurze Zeit
nach derselben beginnt ein wechselndes Spiel eintretender und
nachlassender Muskelzusammenziehung, wenn sich die Bewegung nur
auf einen oder mehrere ungefähr gleichartig wirkende Muskeln er-
streckt; dehnt sie sich auf alle Muskeln einer zu gewissen Funktionen
zusammengeordneten Muskelgruppe aus, wie z. B. auf Athem-,
Schling-, Geruch-, Gehmuskeln etc. so wechseln die Zusammenzieh-
ungen der einzelnen Bestandtheile derselben in regelmässiger Reihen-
folge ab und gestalten sich räumlich und zeitlich derartig, dass har-
monische, nach einem gewissen Plane zusammengefügte Bewegun-
gen zu Stande kommen.
Diese räumliche und zeitliche Combination der Muskeln veranlasst sehr häufig
Bewegungen, deren Effect in ganz bestimmter Beziehung zu dem einwirkenden Er-
regungsmittel steht, so dass das enthauptete Thier z. B., die mit Säure getränkte
Stelle mit Hinter- oder Vorderpfoten reibt, das drückende Instrument wegzustossen
oder gar zu entfliehen etc. sucht. Die Bewegung nimmt mit andern Worten in diesen
Fällen den Schein der Zweckmässigkeit, resp. der auf Empfindung folgenden will-
kürlichen Selbstbestimmung an.
Die besondere Form der Bewegung, d. h. die Zahl und Combina-
tion der in Bewegung gesetzten Muskeln wird durch die Oertlichkeit,
Dauer, und Intensität der Erregung des sensiblen Nerven bestimmt.
Auf eine weniger intensive Erregung einer bestimmten sensiblen
Fläche erfolgt mit maschinenmässiger Regelmässigkeit, vorausgesetzt
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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/155>, abgerufen am 27.11.2024.
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