von Apollonius Ankunft. Damals war sie Apollonius ausgewichen; sie hatte Beleidigung von ihm erwartet. Jetzt suchte sie mit den Augen durch den Saal; Nie¬ mand sah's, als Fritz Nettenmair, der es am wenigsten zu sehen schien. Denn er lachte und trank wilder und jovialer, als je. Sie hatte nur das Gefühl der Lange¬ weile, das nach Abwechselung aussieht; sie wußte nicht, daß sie Jemand suchte. Fritz Nettenmair wußte es, und wollte vor Lachen ersticken. Er wußte mehr, als sie; er wußte, wen sie suchte. Gegen alle andere Welt jovial, that er gegen sie den blauen Rock an. Er wird sie bald dahin bringen, den sonst Gefürchteten mit ihm zu vergleichen.
Sie saß im Garten, während der alte Herr seine schweren Mittagsträume träumte. Fritz Nettenmair lag in der Stube auf dem Sopha und trug die Nachwehen einer durchschwärmten Nacht. Vorher hatte er nach dem Thurmdach gesehn. Sie fühlte sich so eigen wohl daheim. Und sollte sie nicht? Spielten nicht ihre Kinder um sie? Sie dachte nicht daran, wie oft sie sich von den Kindern fortgesehnt in den Wirbel, der sie nicht mehr lockte. Sie nähte. Die Knaben spielten zu ihren Füßen, so still, als wär' der alte Herr zugegen. Doch nicht so; war der alte Herr im Gärtchen, sie hätten sich gar nicht hinein getraut. Das Mädchen hatte die Mutter umschlungen, die selber, in der Unberührtheit ihres Wesens, noch ein Mädchen schien. Wenig mehr
von Apollonius Ankunft. Damals war ſie Apollonius ausgewichen; ſie hatte Beleidigung von ihm erwartet. Jetzt ſuchte ſie mit den Augen durch den Saal; Nie¬ mand ſah's, als Fritz Nettenmair, der es am wenigſten zu ſehen ſchien. Denn er lachte und trank wilder und jovialer, als je. Sie hatte nur das Gefühl der Lange¬ weile, das nach Abwechſelung ausſieht; ſie wußte nicht, daß ſie Jemand ſuchte. Fritz Nettenmair wußte es, und wollte vor Lachen erſticken. Er wußte mehr, als ſie; er wußte, wen ſie ſuchte. Gegen alle andere Welt jovial, that er gegen ſie den blauen Rock an. Er wird ſie bald dahin bringen, den ſonſt Gefürchteten mit ihm zu vergleichen.
Sie ſaß im Garten, während der alte Herr ſeine ſchweren Mittagsträume träumte. Fritz Nettenmair lag in der Stube auf dem Sopha und trug die Nachwehen einer durchſchwärmten Nacht. Vorher hatte er nach dem Thurmdach geſehn. Sie fühlte ſich ſo eigen wohl daheim. Und ſollte ſie nicht? Spielten nicht ihre Kinder um ſie? Sie dachte nicht daran, wie oft ſie ſich von den Kindern fortgeſehnt in den Wirbel, der ſie nicht mehr lockte. Sie nähte. Die Knaben ſpielten zu ihren Füßen, ſo ſtill, als wär' der alte Herr zugegen. Doch nicht ſo; war der alte Herr im Gärtchen, ſie hätten ſich gar nicht hinein getraut. Das Mädchen hatte die Mutter umſchlungen, die ſelber, in der Unberührtheit ihres Weſens, noch ein Mädchen ſchien. Wenig mehr
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von Apollonius Ankunft. Damals war ſie Apollonius
ausgewichen; ſie hatte Beleidigung von ihm erwartet.
Jetzt ſuchte ſie mit den Augen durch den Saal; Nie¬
mand ſah's, als Fritz Nettenmair, der es am wenigſten
zu ſehen ſchien. Denn er lachte und trank wilder und
jovialer, als je. Sie hatte nur das Gefühl der Lange¬
weile, das nach Abwechſelung ausſieht; ſie wußte nicht,
daß ſie Jemand ſuchte. Fritz Nettenmair wußte es, und
wollte vor Lachen erſticken. Er wußte mehr, als ſie;
er wußte, wen ſie ſuchte. Gegen alle andere Welt
jovial, that er gegen ſie den blauen Rock an. Er wird
ſie bald dahin bringen, den ſonſt Gefürchteten mit ihm
zu vergleichen.
Sie ſaß im Garten, während der alte Herr ſeine
ſchweren Mittagsträume träumte. Fritz Nettenmair lag
in der Stube auf dem Sopha und trug die Nachwehen
einer durchſchwärmten Nacht. Vorher hatte er nach
dem Thurmdach geſehn. Sie fühlte ſich ſo eigen wohl
daheim. Und ſollte ſie nicht? Spielten nicht ihre Kinder
um ſie? Sie dachte nicht daran, wie oft ſie ſich von
den Kindern fortgeſehnt in den Wirbel, der ſie nicht
mehr lockte. Sie nähte. Die Knaben ſpielten zu ihren
Füßen, ſo ſtill, als wär' der alte Herr zugegen. Doch
nicht ſo; war der alte Herr im Gärtchen, ſie hätten
ſich gar nicht hinein getraut. Das Mädchen hatte die
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/98>, abgerufen am 22.11.2024.
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