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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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Herrn träumte, man trüge einen Todten mit Schande
in das Haus und das alte Haus knackte in allen sei¬
nen Balken und wußte nicht warum. Und der Geist
wandelte noch lang, als Alles schon zu Bette war,
durch seine Zimmer, herauf und herab, her und hin,
auf der Emporlaube, im Gärtchen, im Schuppen und
im Gang und rang die bleichen Hände; er wußte,
warum.


Zwischen Himmel und Erde ist des Schieferdeckers
Reich. Tief unten das lärmende Gewühl der Wande¬
rer der Erde, hoch oben die Wanderer des Himmels,
die stillen Wolken in ihrem großen Gang. Monden,
Jahre, Jahrzehnte lang hat es keine Bewohner, als
der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber
eines Tages öffnet sich in der Mitte der Thurmdach¬
höhe die enge Ausfahrthür; unsichtbare Hände schieben
zwei Rüststangen heraus. Dem Zuschauer von unten
gemahnt's, sie wollen eine Brücke von Strohhalmen in
den Himmel bau'n. Die Dohlen haben sich auf Thurm¬
knopf und Wetterfahne geflüchtet und seh'n herab und
sträuben ihr Gefieder vor Angst. Die Rüststangen
stehen wenige Fuß heraus und die unsichtbaren Hände
lassen vom Schieben ab. Dafür beginnt ein Hämmern
im Herzen des Dachstuhls. Die schlafenden Eulen
schrecken aus und taumeln aus ihren Lucken zackig in

Herrn träumte, man trüge einen Todten mit Schande
in das Haus und das alte Haus knackte in allen ſei¬
nen Balken und wußte nicht warum. Und der Geiſt
wandelte noch lang, als Alles ſchon zu Bette war,
durch ſeine Zimmer, herauf und herab, her und hin,
auf der Emporlaube, im Gärtchen, im Schuppen und
im Gang und rang die bleichen Hände; er wußte,
warum.


Zwiſchen Himmel und Erde iſt des Schieferdeckers
Reich. Tief unten das lärmende Gewühl der Wande¬
rer der Erde, hoch oben die Wanderer des Himmels,
die ſtillen Wolken in ihrem großen Gang. Monden,
Jahre, Jahrzehnte lang hat es keine Bewohner, als
der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber
eines Tages öffnet ſich in der Mitte der Thurmdach¬
höhe die enge Ausfahrthür; unſichtbare Hände ſchieben
zwei Rüſtſtangen heraus. Dem Zuſchauer von unten
gemahnt's, ſie wollen eine Brücke von Strohhalmen in
den Himmel bau'n. Die Dohlen haben ſich auf Thurm¬
knopf und Wetterfahne geflüchtet und ſeh'n herab und
ſträuben ihr Gefieder vor Angſt. Die Rüſtſtangen
ſtehen wenige Fuß heraus und die unſichtbaren Hände
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im Herzen des Dachſtuhls. Die ſchlafenden Eulen
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[69/0078] Herrn träumte, man trüge einen Todten mit Schande in das Haus und das alte Haus knackte in allen ſei¬ nen Balken und wußte nicht warum. Und der Geiſt wandelte noch lang, als Alles ſchon zu Bette war, durch ſeine Zimmer, herauf und herab, her und hin, auf der Emporlaube, im Gärtchen, im Schuppen und im Gang und rang die bleichen Hände; er wußte, warum. Zwiſchen Himmel und Erde iſt des Schieferdeckers Reich. Tief unten das lärmende Gewühl der Wande¬ rer der Erde, hoch oben die Wanderer des Himmels, die ſtillen Wolken in ihrem großen Gang. Monden, Jahre, Jahrzehnte lang hat es keine Bewohner, als der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber eines Tages öffnet ſich in der Mitte der Thurmdach¬ höhe die enge Ausfahrthür; unſichtbare Hände ſchieben zwei Rüſtſtangen heraus. Dem Zuſchauer von unten gemahnt's, ſie wollen eine Brücke von Strohhalmen in den Himmel bau'n. Die Dohlen haben ſich auf Thurm¬ knopf und Wetterfahne geflüchtet und ſeh'n herab und ſträuben ihr Gefieder vor Angſt. Die Rüſtſtangen ſtehen wenige Fuß heraus und die unſichtbaren Hände laſſen vom Schieben ab. Dafür beginnt ein Hämmern im Herzen des Dachſtuhls. Die ſchlafenden Eulen ſchrecken aus und taumeln aus ihren Lucken zackig in

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/78>, abgerufen am 28.11.2024.