als Menschen und Bürger ganz genau ermessen. Da stand er, den rothen Kopf in den Schultern, die das ungeheuchelte Gefühl seiner Wichtigkeit -- und seine eigene stille Meinung von sich war noch ungeheuchel¬ ter, als die laut ausgesprochene der bedeutendsten Leute im Saal über ihn -- noch mehr als gewöhnlich in die Höhe gezogen, die Arme bald in graziöser Eckigkeit an den Leib gedrückt, bald ausgestreckt, um mit dem Stocke irgend einem der bedeutendsten Leute eine klatschende Liebkosung zu versetzen, die jederzeit mit einem dankba¬ ren Lächeln erwiedert wurde.
Als der Tanz begann, zog Fritz Nettenmair den Bruder in eine Nebenstube. Du mußt tanzen, sagte er. Von meiner Frau würdest du einen Korb holen und das wär' mir unangenehm. Ich will dir eine zuführen, die firm ist und dich im Takt erhalten kann. Nur herzhaft, Junge, wenn's auch nicht gleich geh'n will. Fritz Nettenmair hatte in der Aufregung der Eitelkeit sechs Jahre vergessen. Der Bruder war ihm noch der alte Träumer, den er zuweilen zu seinem Vergnügen zu tanzen zwang. Als er ihm, auf dessen Weigerung er nicht geachtet, das Mädchen zuführte, ergab sich dieser, um nicht unhöflich zu erscheinen.
Herr Fritz Nettenmair war der gutmüthigste Mensch von der Welt, so lang er sich den alleinigen Gegen¬ stand der allgemeinen Bewunderung wußte. In solcher Stimmung konnte er für diejenigen, die sein Glanz
als Menſchen und Bürger ganz genau ermeſſen. Da ſtand er, den rothen Kopf in den Schultern, die das ungeheuchelte Gefühl ſeiner Wichtigkeit — und ſeine eigene ſtille Meinung von ſich war noch ungeheuchel¬ ter, als die laut ausgeſprochene der bedeutendſten Leute im Saal über ihn — noch mehr als gewöhnlich in die Höhe gezogen, die Arme bald in graziöſer Eckigkeit an den Leib gedrückt, bald ausgeſtreckt, um mit dem Stocke irgend einem der bedeutendſten Leute eine klatſchende Liebkoſung zu verſetzen, die jederzeit mit einem dankba¬ ren Lächeln erwiedert wurde.
Als der Tanz begann, zog Fritz Nettenmair den Bruder in eine Nebenſtube. Du mußt tanzen, ſagte er. Von meiner Frau würdeſt du einen Korb holen und das wär' mir unangenehm. Ich will dir eine zuführen, die firm iſt und dich im Takt erhalten kann. Nur herzhaft, Junge, wenn's auch nicht gleich geh'n will. Fritz Nettenmair hatte in der Aufregung der Eitelkeit ſechs Jahre vergeſſen. Der Bruder war ihm noch der alte Träumer, den er zuweilen zu ſeinem Vergnügen zu tanzen zwang. Als er ihm, auf deſſen Weigerung er nicht geachtet, das Mädchen zuführte, ergab ſich dieſer, um nicht unhöflich zu erſcheinen.
Herr Fritz Nettenmair war der gutmüthigſte Menſch von der Welt, ſo lang er ſich den alleinigen Gegen¬ ſtand der allgemeinen Bewunderung wußte. In ſolcher Stimmung konnte er für diejenigen, die ſein Glanz
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als Menſchen und Bürger ganz genau ermeſſen. Da
ſtand er, den rothen Kopf in den Schultern, die das
ungeheuchelte Gefühl ſeiner Wichtigkeit — und ſeine
eigene ſtille Meinung von ſich war noch ungeheuchel¬
ter, als die laut ausgeſprochene der bedeutendſten Leute
im Saal über ihn — noch mehr als gewöhnlich in die
Höhe gezogen, die Arme bald in graziöſer Eckigkeit an
den Leib gedrückt, bald ausgeſtreckt, um mit dem Stocke
irgend einem der bedeutendſten Leute eine klatſchende
Liebkoſung zu verſetzen, die jederzeit mit einem dankba¬
ren Lächeln erwiedert wurde.
Als der Tanz begann, zog Fritz Nettenmair den
Bruder in eine Nebenſtube. Du mußt tanzen, ſagte
er. Von meiner Frau würdeſt du einen Korb holen
und das wär' mir unangenehm. Ich will dir eine
zuführen, die firm iſt und dich im Takt erhalten kann.
Nur herzhaft, Junge, wenn's auch nicht gleich geh'n
will. Fritz Nettenmair hatte in der Aufregung der
Eitelkeit ſechs Jahre vergeſſen. Der Bruder war ihm
noch der alte Träumer, den er zuweilen zu ſeinem
Vergnügen zu tanzen zwang. Als er ihm, auf deſſen
Weigerung er nicht geachtet, das Mädchen zuführte,
ergab ſich dieſer, um nicht unhöflich zu erſcheinen.
Herr Fritz Nettenmair war der gutmüthigſte Menſch
von der Welt, ſo lang er ſich den alleinigen Gegen¬
ſtand der allgemeinen Bewunderung wußte. In ſolcher
Stimmung konnte er für diejenigen, die ſein Glanz
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/63>, abgerufen am 24.11.2024.
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