Junge mehr; er ist ein Mann geworden und was für einer! Ist das Fenster geschlossen, wird Alles zu sei¬ nem Lobe laut, nur die Mädchen nicht, die reif genug waren, sein Neigen mit unwillkührlichem Erröthen zu erwiedern. Die sind stiller als sonst, und die Sonne, die heut so viel heller scheint, als an andern Tagen, bringt die seltsamsten Wirkungen auf sie hervor. Zu¬ nächst einen eigenen Drang der Füße, in der Richtung nach den Fenstern sich zu bewegen; dann ein ebenso wunderbar plötzliches Wiedererwachen längst entschlafe¬ ner Freundschaften, deren Gegenstände in der Nähe des Nettenmair'schen Hauses wohnen und die man besuchen muß; endlich merkwürdig oft wiederkehrenden Andrang des Blutes nach dem Kopfe, den man für ein Errö¬ then angesehen hätte, war nur irgend ein Grund dazu vorhanden.
Ob die Veränderung, die mit unserm Wanderer in der Fremde vorgegangen, seinen Bruder ebenso erfreuen wird, als die Nachbaren?
Er ist an der Thür des Vaterhauses angekommen. Vergeblich hat er an den Fenstern nach einem bekann¬ ten Antlitz gesucht. Jetzt kommt ein untersetzter Herr im schwarzen Frack herausgestürzt. So hastig kommt er gestürzt, so wild umschlingt er jenen, so fest drückt er ihn an seine weiße Weste, so nah' drängt er Wange gegen Wange, so lang' läßt er sie da ruh'n, daß man die Wahl hat, zu glauben, er liebt den Bru¬
Junge mehr; er iſt ein Mann geworden und was für einer! Iſt das Fenſter geſchloſſen, wird Alles zu ſei¬ nem Lobe laut, nur die Mädchen nicht, die reif genug waren, ſein Neigen mit unwillkührlichem Erröthen zu erwiedern. Die ſind ſtiller als ſonſt, und die Sonne, die heut ſo viel heller ſcheint, als an andern Tagen, bringt die ſeltſamſten Wirkungen auf ſie hervor. Zu¬ nächſt einen eigenen Drang der Füße, in der Richtung nach den Fenſtern ſich zu bewegen; dann ein ebenſo wunderbar plötzliches Wiedererwachen längſt entſchlafe¬ ner Freundſchaften, deren Gegenſtände in der Nähe des Nettenmair'ſchen Hauſes wohnen und die man beſuchen muß; endlich merkwürdig oft wiederkehrenden Andrang des Blutes nach dem Kopfe, den man für ein Errö¬ then angeſehen hätte, war nur irgend ein Grund dazu vorhanden.
Ob die Veränderung, die mit unſerm Wanderer in der Fremde vorgegangen, ſeinen Bruder ebenſo erfreuen wird, als die Nachbaren?
Er iſt an der Thür des Vaterhauſes angekommen. Vergeblich hat er an den Fenſtern nach einem bekann¬ ten Antlitz geſucht. Jetzt kommt ein unterſetzter Herr im ſchwarzen Frack herausgeſtürzt. So haſtig kommt er geſtürzt, ſo wild umſchlingt er jenen, ſo feſt drückt er ihn an ſeine weiße Weſte, ſo nah' drängt er Wange gegen Wange, ſo lang' läßt er ſie da ruh'n, daß man die Wahl hat, zu glauben, er liebt den Bru¬
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Junge mehr; er iſt ein Mann geworden und was für
einer! Iſt das Fenſter geſchloſſen, wird Alles zu ſei¬
nem Lobe laut, nur die Mädchen nicht, die reif genug
waren, ſein Neigen mit unwillkührlichem Erröthen zu
erwiedern. Die ſind ſtiller als ſonſt, und die Sonne,
die heut ſo viel heller ſcheint, als an andern Tagen,
bringt die ſeltſamſten Wirkungen auf ſie hervor. Zu¬
nächſt einen eigenen Drang der Füße, in der Richtung
nach den Fenſtern ſich zu bewegen; dann ein ebenſo
wunderbar plötzliches Wiedererwachen längſt entſchlafe¬
ner Freundſchaften, deren Gegenſtände in der Nähe des
Nettenmair'ſchen Hauſes wohnen und die man beſuchen
muß; endlich merkwürdig oft wiederkehrenden Andrang
des Blutes nach dem Kopfe, den man für ein Errö¬
then angeſehen hätte, war nur irgend ein Grund dazu
vorhanden.
Ob die Veränderung, die mit unſerm Wanderer in
der Fremde vorgegangen, ſeinen Bruder ebenſo erfreuen
wird, als die Nachbaren?
Er iſt an der Thür des Vaterhauſes angekommen.
Vergeblich hat er an den Fenſtern nach einem bekann¬
ten Antlitz geſucht. Jetzt kommt ein unterſetzter Herr
im ſchwarzen Frack herausgeſtürzt. So haſtig kommt
er geſtürzt, ſo wild umſchlingt er jenen, ſo feſt
drückt er ihn an ſeine weiße Weſte, ſo nah' drängt er
Wange gegen Wange, ſo lang' läßt er ſie da ruh'n,
daß man die Wahl hat, zu glauben, er liebt den Bru¬
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/52>, abgerufen am 23.11.2024.
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