seinem Gesichte tiefer und flattern nicht mehr so schnell darüber hin. Er betrachtet die schönen Züge der jun¬ gen Frau genauer, ja es ist, als ob er sie belauere, als ob er sorgenvoll sich frage, ob sie den Ausdruck von Widerwillen, der über ihnen hängt, behalten werde, bis -- und klingt dann zufällig ein stärkerer Tritt von der Straße herein an sein Ohr, dann schrickt er auf, aber er vermeidet ihre schönen offenen Augen, die sie nach ihm hin aufschlagen kann vom Klange des Tritts geweckt.
Im Gärtchen kann der alte Valentin einem eben so alten Herrn im blauen Rock nichts recht machen. Er ist zu aufgeregt und horcht und sieht zu viel durch den Zaun nach der Straße, darüber thut er bald zu wenig, bald zu viel. Und der alte Herr schilt manch¬ mal, scheint es auch nur, um seine eigene Bewegung zu verbergen. Die Hände zittern merklich, mit denen er untersucht, ob die Buchsbaumeinfassung der kleinen Beete auch so eigensinnig gleichmäßig geschoren ist, wie er sie geschoren haben würde, besäß' er noch das scharfe Aug' von ehedem. Der alte Valentin müßte eine Thräne von den hohlen Backen wischen, wie es so oft geschieht, über die Hülflosigkeit des alten Herrn und tausend Vergleiche zwischen sonst und jetzt, die ihm der Anblick derselben herbeiruft; aber seine Augen und seine Gedanken sind auf der Straße vor dem Zaun.
ſeinem Geſichte tiefer und flattern nicht mehr ſo ſchnell darüber hin. Er betrachtet die ſchönen Züge der jun¬ gen Frau genauer, ja es iſt, als ob er ſie belauere, als ob er ſorgenvoll ſich frage, ob ſie den Ausdruck von Widerwillen, der über ihnen hängt, behalten werde, bis — und klingt dann zufällig ein ſtärkerer Tritt von der Straße herein an ſein Ohr, dann ſchrickt er auf, aber er vermeidet ihre ſchönen offenen Augen, die ſie nach ihm hin aufſchlagen kann vom Klange des Tritts geweckt.
Im Gärtchen kann der alte Valentin einem eben ſo alten Herrn im blauen Rock nichts recht machen. Er iſt zu aufgeregt und horcht und ſieht zu viel durch den Zaun nach der Straße, darüber thut er bald zu wenig, bald zu viel. Und der alte Herr ſchilt manch¬ mal, ſcheint es auch nur, um ſeine eigene Bewegung zu verbergen. Die Hände zittern merklich, mit denen er unterſucht, ob die Buchsbaumeinfaſſung der kleinen Beete auch ſo eigenſinnig gleichmäßig geſchoren iſt, wie er ſie geſchoren haben würde, beſäß' er noch das ſcharfe Aug' von ehedem. Der alte Valentin müßte eine Thräne von den hohlen Backen wiſchen, wie es ſo oft geſchieht, über die Hülfloſigkeit des alten Herrn und tauſend Vergleiche zwiſchen ſonſt und jetzt, die ihm der Anblick derſelben herbeiruft; aber ſeine Augen und ſeine Gedanken ſind auf der Straße vor dem Zaun.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0046"n="37"/>ſeinem Geſichte tiefer und flattern nicht mehr ſo ſchnell<lb/>
darüber hin. Er betrachtet die ſchönen Züge der jun¬<lb/>
gen Frau genauer, ja es iſt, als ob er ſie belauere,<lb/>
als ob er ſorgenvoll ſich frage, ob ſie den Ausdruck<lb/>
von Widerwillen, der über ihnen hängt, behalten werde,<lb/>
bis — und klingt dann zufällig ein ſtärkerer Tritt von<lb/>
der Straße herein an ſein Ohr, dann ſchrickt er auf,<lb/>
aber er vermeidet ihre ſchönen offenen Augen, die ſie<lb/>
nach ihm hin aufſchlagen kann vom Klange des Tritts<lb/>
geweckt.</p><lb/><p>Im Gärtchen kann der alte Valentin einem eben<lb/>ſo alten Herrn im blauen Rock nichts recht machen.<lb/>
Er iſt zu aufgeregt und horcht und ſieht zu viel durch<lb/>
den Zaun nach der Straße, darüber thut er bald zu<lb/>
wenig, bald zu viel. Und der alte Herr ſchilt manch¬<lb/>
mal, ſcheint es auch nur, um ſeine eigene Bewegung<lb/>
zu verbergen. Die Hände zittern merklich, mit denen<lb/>
er unterſucht, ob die Buchsbaumeinfaſſung der kleinen<lb/>
Beete auch ſo eigenſinnig gleichmäßig geſchoren iſt, wie<lb/>
er ſie geſchoren haben würde, beſäß' er noch das ſcharfe<lb/>
Aug' von ehedem. Der alte Valentin müßte eine<lb/>
Thräne von den hohlen Backen wiſchen, wie es ſo oft<lb/>
geſchieht, über die Hülfloſigkeit des alten Herrn und<lb/>
tauſend Vergleiche zwiſchen ſonſt und jetzt, die ihm<lb/>
der Anblick derſelben herbeiruft; aber ſeine Augen<lb/>
und ſeine Gedanken ſind auf der Straße vor dem<lb/>
Zaun.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[37/0046]
ſeinem Geſichte tiefer und flattern nicht mehr ſo ſchnell
darüber hin. Er betrachtet die ſchönen Züge der jun¬
gen Frau genauer, ja es iſt, als ob er ſie belauere,
als ob er ſorgenvoll ſich frage, ob ſie den Ausdruck
von Widerwillen, der über ihnen hängt, behalten werde,
bis — und klingt dann zufällig ein ſtärkerer Tritt von
der Straße herein an ſein Ohr, dann ſchrickt er auf,
aber er vermeidet ihre ſchönen offenen Augen, die ſie
nach ihm hin aufſchlagen kann vom Klange des Tritts
geweckt.
Im Gärtchen kann der alte Valentin einem eben
ſo alten Herrn im blauen Rock nichts recht machen.
Er iſt zu aufgeregt und horcht und ſieht zu viel durch
den Zaun nach der Straße, darüber thut er bald zu
wenig, bald zu viel. Und der alte Herr ſchilt manch¬
mal, ſcheint es auch nur, um ſeine eigene Bewegung
zu verbergen. Die Hände zittern merklich, mit denen
er unterſucht, ob die Buchsbaumeinfaſſung der kleinen
Beete auch ſo eigenſinnig gleichmäßig geſchoren iſt, wie
er ſie geſchoren haben würde, beſäß' er noch das ſcharfe
Aug' von ehedem. Der alte Valentin müßte eine
Thräne von den hohlen Backen wiſchen, wie es ſo oft
geſchieht, über die Hülfloſigkeit des alten Herrn und
tauſend Vergleiche zwiſchen ſonſt und jetzt, die ihm
der Anblick derſelben herbeiruft; aber ſeine Augen
und ſeine Gedanken ſind auf der Straße vor dem
Zaun.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/46>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.