hatten ihm seine schweren wachen Träume gezeigt. Und er stand doch wirklich oben, und die Leiter schwankte im Sturme, Schneestaub umwirbelte ihn, Blitze um¬ zuckten ihn; mit jedem flammte die Schneedecke der Dächer, der Berge, des Thals, die ganze Gegend in Einer ungeheuern Flamme auf, und nun schlug's Zwei unter ihm, die Glockentöne heulten, vom Sturm ge¬ zerrt hinaus in den Aufruhr, und er stand, er stand schwindellos, er stürzte nicht. Er wußte, keine Schuld lag auf ihm; er hatte seine Pflicht gethan, wo Tau¬ sende sie nicht gethan hätten; er hatte die Stadt, an der er mit ganzer Seele hing, er allein, von der furcht¬ barsten Gefahr befreit. Aber aller Stolz dieses Ge¬ dankens war in dieser Seele nur ein Dankgebet. Er dachte nicht an die Menschen, die ihn preisen würden, nur an die Menschen, die nun wieder aufathmen durften, an das Elend, das verhütet, an das Glück, welches erhalten war. Und er fühlte selbst nach Mon¬ den wieder, was frei aufathmen heißt. Diese Nacht hatte die Lust ja auch ihm wieder gebracht. Mit Freudigkeit erinnerte er sich jetzt wieder an das Wort, das er sich gegeben. Menschen wie Apollonius ist's der höchste Segen einer braven That, daß sie sich ge¬ stärkt fühlen zu neuem braven Thun.
Die Menge unten schrie noch immer Wo? Wo? und drängte sich durcheinander, als der zweite Einschlag geschah. Alles stand einen Augenblick von Schrecken
hatten ihm ſeine ſchweren wachen Träume gezeigt. Und er ſtand doch wirklich oben, und die Leiter ſchwankte im Sturme, Schneeſtaub umwirbelte ihn, Blitze um¬ zuckten ihn; mit jedem flammte die Schneedecke der Dächer, der Berge, des Thals, die ganze Gegend in Einer ungeheuern Flamme auf, und nun ſchlug's Zwei unter ihm, die Glockentöne heulten, vom Sturm ge¬ zerrt hinaus in den Aufruhr, und er ſtand, er ſtand ſchwindellos, er ſtürzte nicht. Er wußte, keine Schuld lag auf ihm; er hatte ſeine Pflicht gethan, wo Tau¬ ſende ſie nicht gethan hätten; er hatte die Stadt, an der er mit ganzer Seele hing, er allein, von der furcht¬ barſten Gefahr befreit. Aber aller Stolz dieſes Ge¬ dankens war in dieſer Seele nur ein Dankgebet. Er dachte nicht an die Menſchen, die ihn preiſen würden, nur an die Menſchen, die nun wieder aufathmen durften, an das Elend, das verhütet, an das Glück, welches erhalten war. Und er fühlte ſelbſt nach Mon¬ den wieder, was frei aufathmen heißt. Dieſe Nacht hatte die Luſt ja auch ihm wieder gebracht. Mit Freudigkeit erinnerte er ſich jetzt wieder an das Wort, das er ſich gegeben. Menſchen wie Apollonius iſt's der höchſte Segen einer braven That, daß ſie ſich ge¬ ſtärkt fühlen zu neuem braven Thun.
Die Menge unten ſchrie noch immer Wo? Wo? und drängte ſich durcheinander, als der zweite Einſchlag geſchah. Alles ſtand einen Augenblick von Schrecken
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hatten ihm ſeine ſchweren wachen Träume gezeigt.
Und er ſtand doch wirklich oben, und die Leiter ſchwankte
im Sturme, Schneeſtaub umwirbelte ihn, Blitze um¬
zuckten ihn; mit jedem flammte die Schneedecke der
Dächer, der Berge, des Thals, die ganze Gegend in
Einer ungeheuern Flamme auf, und nun ſchlug's Zwei
unter ihm, die Glockentöne heulten, vom Sturm ge¬
zerrt hinaus in den Aufruhr, und er ſtand, er ſtand
ſchwindellos, er ſtürzte nicht. Er wußte, keine Schuld
lag auf ihm; er hatte ſeine Pflicht gethan, wo Tau¬
ſende ſie nicht gethan hätten; er hatte die Stadt, an
der er mit ganzer Seele hing, er allein, von der furcht¬
barſten Gefahr befreit. Aber aller Stolz dieſes Ge¬
dankens war in dieſer Seele nur ein Dankgebet. Er
dachte nicht an die Menſchen, die ihn preiſen würden,
nur an die Menſchen, die nun wieder aufathmen
durften, an das Elend, das verhütet, an das Glück,
welches erhalten war. Und er fühlte ſelbſt nach Mon¬
den wieder, was frei aufathmen heißt. Dieſe Nacht
hatte die Luſt ja auch ihm wieder gebracht. Mit
Freudigkeit erinnerte er ſich jetzt wieder an das Wort,
das er ſich gegeben. Menſchen wie Apollonius iſt's
der höchſte Segen einer braven That, daß ſie ſich ge¬
ſtärkt fühlen zu neuem braven Thun.
Die Menge unten ſchrie noch immer Wo? Wo?
und drängte ſich durcheinander, als der zweite Einſchlag
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/311>, abgerufen am 24.11.2024.
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