angestrengt, damit die Leute vor dem Sturm und dem ununterbrochenen Rollen des Donners ihn versteh'n konnten. Er ergriff das Rohr des kürzesten Schlauches, dessen unteres Ende der Zimmermann einschraubend an der Spritze befestigte, und wand sich den obern Theil um den Leib. "Wenn ich zweimal hintereinander den Schlauch anziehe, drückt los. Meister, wir retten die Kirche, vielleicht die Stadt!" Die rechte Hand gegen die Verschalung gestemmt, bog er sich aus der Ausfahrthür; in der linken hielt er die leichte Dach¬ leiter frei hinaus, um sie an dem nächsten Dachhacken über der Thüre anzuhängen. Den Werkleuten schien das unmöglich. Der Sturm mußte die Leiter in die Lüfte reißen und -- nur zu möglich war's, er riß den Mann mit. Es kam Apollonius zu statten, daß der Wind die Leiter gegen die Dachfläche drückte. An Licht fehlte es nicht, den Hacken zu finden; aber der Schneestaub, der dazwischen wirbelte und, vom Dache herabrollend, in seine Augen schlug, war hinderlich. Aber er fühlte, die Leiter hing fest. Zeit war nicht zu verlieren; er schwang sich hinaus. Er mußte sich mehr der Kraft und Sicherheit seiner Hände und Arme vertrau'n, als dem sichern Tritt seiner Füße, als er hinaufklomm; denn der Sturm schaukelte die Leiter sammt dem Mann wie eine Glocke hin und her. Oben, seitwärts über der ersten Sprosse der Leiter, hüpften bläuliche Flammen mit gelben Spitzen unter der Lücke
angeſtrengt, damit die Leute vor dem Sturm und dem ununterbrochenen Rollen des Donners ihn verſteh'n konnten. Er ergriff das Rohr des kürzeſten Schlauches, deſſen unteres Ende der Zimmermann einſchraubend an der Spritze befeſtigte, und wand ſich den obern Theil um den Leib. „Wenn ich zweimal hintereinander den Schlauch anziehe, drückt los. Meiſter, wir retten die Kirche, vielleicht die Stadt!“ Die rechte Hand gegen die Verſchalung geſtemmt, bog er ſich aus der Ausfahrthür; in der linken hielt er die leichte Dach¬ leiter frei hinaus, um ſie an dem nächſten Dachhacken über der Thüre anzuhängen. Den Werkleuten ſchien das unmöglich. Der Sturm mußte die Leiter in die Lüfte reißen und — nur zu möglich war's, er riß den Mann mit. Es kam Apollonius zu ſtatten, daß der Wind die Leiter gegen die Dachfläche drückte. An Licht fehlte es nicht, den Hacken zu finden; aber der Schneeſtaub, der dazwiſchen wirbelte und, vom Dache herabrollend, in ſeine Augen ſchlug, war hinderlich. Aber er fühlte, die Leiter hing feſt. Zeit war nicht zu verlieren; er ſchwang ſich hinaus. Er mußte ſich mehr der Kraft und Sicherheit ſeiner Hände und Arme vertrau'n, als dem ſichern Tritt ſeiner Füße, als er hinaufklomm; denn der Sturm ſchaukelte die Leiter ſammt dem Mann wie eine Glocke hin und her. Oben, ſeitwärts über der erſten Sproſſe der Leiter, hüpften bläuliche Flammen mit gelben Spitzen unter der Lücke
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0307"n="298"/>
angeſtrengt, damit die Leute vor dem Sturm und dem<lb/>
ununterbrochenen Rollen des Donners ihn verſteh'n<lb/>
konnten. Er ergriff das Rohr des kürzeſten Schlauches,<lb/>
deſſen unteres Ende der Zimmermann einſchraubend<lb/>
an der Spritze befeſtigte, und wand ſich den obern<lb/>
Theil um den Leib. „Wenn ich zweimal hintereinander<lb/>
den Schlauch anziehe, drückt los. Meiſter, wir retten<lb/>
die Kirche, vielleicht die Stadt!“ Die rechte Hand<lb/>
gegen die Verſchalung geſtemmt, bog er ſich aus der<lb/>
Ausfahrthür; in der linken hielt er die leichte Dach¬<lb/>
leiter frei hinaus, um ſie an dem nächſten Dachhacken<lb/>
über der Thüre anzuhängen. Den Werkleuten ſchien<lb/>
das unmöglich. Der Sturm mußte die Leiter in die<lb/>
Lüfte reißen und — nur zu möglich war's, er riß den<lb/>
Mann mit. Es kam Apollonius zu ſtatten, daß der<lb/>
Wind die Leiter gegen die Dachfläche drückte. An<lb/>
Licht fehlte es nicht, den Hacken zu finden; aber der<lb/>
Schneeſtaub, der dazwiſchen wirbelte und, vom Dache<lb/>
herabrollend, in ſeine Augen ſchlug, war hinderlich.<lb/>
Aber er fühlte, die Leiter hing feſt. Zeit war nicht zu<lb/>
verlieren; er ſchwang ſich hinaus. Er mußte ſich mehr<lb/>
der Kraft und Sicherheit ſeiner Hände und Arme<lb/>
vertrau'n, als dem ſichern Tritt ſeiner Füße, als er<lb/>
hinaufklomm; denn der Sturm ſchaukelte die Leiter<lb/>ſammt dem Mann wie eine Glocke hin und her. Oben,<lb/>ſeitwärts über der erſten Sproſſe der Leiter, hüpften<lb/>
bläuliche Flammen mit gelben Spitzen unter der Lücke<lb/></p></div></body></text></TEI>
[298/0307]
angeſtrengt, damit die Leute vor dem Sturm und dem
ununterbrochenen Rollen des Donners ihn verſteh'n
konnten. Er ergriff das Rohr des kürzeſten Schlauches,
deſſen unteres Ende der Zimmermann einſchraubend
an der Spritze befeſtigte, und wand ſich den obern
Theil um den Leib. „Wenn ich zweimal hintereinander
den Schlauch anziehe, drückt los. Meiſter, wir retten
die Kirche, vielleicht die Stadt!“ Die rechte Hand
gegen die Verſchalung geſtemmt, bog er ſich aus der
Ausfahrthür; in der linken hielt er die leichte Dach¬
leiter frei hinaus, um ſie an dem nächſten Dachhacken
über der Thüre anzuhängen. Den Werkleuten ſchien
das unmöglich. Der Sturm mußte die Leiter in die
Lüfte reißen und — nur zu möglich war's, er riß den
Mann mit. Es kam Apollonius zu ſtatten, daß der
Wind die Leiter gegen die Dachfläche drückte. An
Licht fehlte es nicht, den Hacken zu finden; aber der
Schneeſtaub, der dazwiſchen wirbelte und, vom Dache
herabrollend, in ſeine Augen ſchlug, war hinderlich.
Aber er fühlte, die Leiter hing feſt. Zeit war nicht zu
verlieren; er ſchwang ſich hinaus. Er mußte ſich mehr
der Kraft und Sicherheit ſeiner Hände und Arme
vertrau'n, als dem ſichern Tritt ſeiner Füße, als er
hinaufklomm; denn der Sturm ſchaukelte die Leiter
ſammt dem Mann wie eine Glocke hin und her. Oben,
ſeitwärts über der erſten Sproſſe der Leiter, hüpften
bläuliche Flammen mit gelben Spitzen unter der Lücke
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/307>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.