um seinen Fuß, und sank wieder ununterscheidbar in's Dunkel zurück. Der Sturm riß die Stehenden an Hüten und Mänteln und schlug mit eigenen und frem¬ den Haaren und Kleiderzüpfeln nach ihnen, als wollte er sie's büßen lassen, daß er vergeblich an den steiner¬ nen Rippen sich wund stieß, und warf sie mit feinem Schneegeriesel, das in dem Schein der Blitze wie glühender Funkenregen an ihnen herniederstäubte. Und wie die Menschen bald erschienen, bald verschwanden, so wurde ihr verwirrtes Durcheinanderreden immer wieder vom Sturm und vom Donner überbraust und überrollt. Da rief einer, sich selbst tröstend: "es ist ein kalter Schlag gewesen. Man sieht ja nichts." Ein Anderer meinte, die Flamme von dem Schlag könne noch ausbrechen. Ein Dritter wurde zornig; er nahm den Einwand wie einen Wunsch, der Schlag möge nicht ein kalter gewesen sein, und die Flamme noch ausbrechen. Er hatte sich schon getröstet, und rächte sich für die Unruhe, die der Einwand wieder neu in ihm erregte. Viele sahen, vor Angst und Kälte zitternd, mit den geblendeten Augen stumpf in die Höhe, und wußten nicht mehr, warum. Hundert Stimmen setzten dagegen auseinander, welch Unglück die Stadt betreffen könne, ja betreffen müsse, wenn der Schlag kein kalter war. Einer sprach von der Natur der Schiefer, wie sie im Brande schmelzen und als bren¬
um ſeinen Fuß, und ſank wieder ununterſcheidbar in's Dunkel zurück. Der Sturm riß die Stehenden an Hüten und Mänteln und ſchlug mit eigenen und frem¬ den Haaren und Kleiderzüpfeln nach ihnen, als wollte er ſie's büßen laſſen, daß er vergeblich an den ſteiner¬ nen Rippen ſich wund ſtieß, und warf ſie mit feinem Schneegerieſel, das in dem Schein der Blitze wie glühender Funkenregen an ihnen herniederſtäubte. Und wie die Menſchen bald erſchienen, bald verſchwanden, ſo wurde ihr verwirrtes Durcheinanderreden immer wieder vom Sturm und vom Donner überbrauſt und überrollt. Da rief einer, ſich ſelbſt tröſtend: „es iſt ein kalter Schlag geweſen. Man ſieht ja nichts.“ Ein Anderer meinte, die Flamme von dem Schlag könne noch ausbrechen. Ein Dritter wurde zornig; er nahm den Einwand wie einen Wunſch, der Schlag möge nicht ein kalter geweſen ſein, und die Flamme noch ausbrechen. Er hatte ſich ſchon getröſtet, und rächte ſich für die Unruhe, die der Einwand wieder neu in ihm erregte. Viele ſahen, vor Angſt und Kälte zitternd, mit den geblendeten Augen ſtumpf in die Höhe, und wußten nicht mehr, warum. Hundert Stimmen ſetzten dagegen auseinander, welch Unglück die Stadt betreffen könne, ja betreffen müſſe, wenn der Schlag kein kalter war. Einer ſprach von der Natur der Schiefer, wie ſie im Brande ſchmelzen und als bren¬
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um ſeinen Fuß, und ſank wieder ununterſcheidbar in's
Dunkel zurück. Der Sturm riß die Stehenden an
Hüten und Mänteln und ſchlug mit eigenen und frem¬
den Haaren und Kleiderzüpfeln nach ihnen, als wollte
er ſie's büßen laſſen, daß er vergeblich an den ſteiner¬
nen Rippen ſich wund ſtieß, und warf ſie mit feinem
Schneegerieſel, das in dem Schein der Blitze wie
glühender Funkenregen an ihnen herniederſtäubte. Und
wie die Menſchen bald erſchienen, bald verſchwanden,
ſo wurde ihr verwirrtes Durcheinanderreden immer
wieder vom Sturm und vom Donner überbrauſt und
überrollt. Da rief einer, ſich ſelbſt tröſtend: „es iſt
ein kalter Schlag geweſen. Man ſieht ja nichts.“
Ein Anderer meinte, die Flamme von dem Schlag
könne noch ausbrechen. Ein Dritter wurde zornig; er
nahm den Einwand wie einen Wunſch, der Schlag
möge nicht ein kalter geweſen ſein, und die Flamme
noch ausbrechen. Er hatte ſich ſchon getröſtet, und
rächte ſich für die Unruhe, die der Einwand wieder
neu in ihm erregte. Viele ſahen, vor Angſt und Kälte
zitternd, mit den geblendeten Augen ſtumpf in die Höhe,
und wußten nicht mehr, warum. Hundert Stimmen
ſetzten dagegen auseinander, welch Unglück die Stadt
betreffen könne, ja betreffen müſſe, wenn der Schlag
kein kalter war. Einer ſprach von der Natur der
Schiefer, wie ſie im Brande ſchmelzen und als bren¬
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/302>, abgerufen am 24.11.2024.
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