Eines Abends sah man denn die schwarze Bahre vor dem Hause mit den grünen Fensterladen stehn, das darüber wegsah, um sein rosiges Aussehn zu recht¬ fertigen. Etwas entfernter standen Frauen und Kinder in Gruppen zusammen, bald leise flüsternd, bald voll Aufmerksamkeit, die zeitweilig bis zur Ungeduld stieg. Dasselbe Treiben, dieselben Empfindungen, mit der die gebildetere Schicht der Bevölkerung des Augenblickes harrt, wo der Vorhang vor den rührenden Gebilden des Dichters aufrauschen soll. Dasselbe Bedürfniß hat die blauen Schürzen hierhergezogen, das dort die schön¬ sten Gewänder der Stadt versammelt. Zuweilen kommt ein schwarzer Mantel unter dreieckigem Hute in düsterer Gravität die Straße daher und tritt hinter der Bahre hinweg in's Haus. Und endlich geht die Thüre doppelt auf. Der Sarg steht auf der Bahre, das Leichentuch bedeckt beides; leise und in gleichmäßiger Bewegung hebt sich die schwarze wallende Masse; nun ist sie an ihrer Stelle, denn die Träger rücken den Hut zurecht. Und nun bewegt sich's schwankend, flatternd. Obenauf blitzt der Deckhammer, den Valentin polirt hat, und sagt, was man jetzt der Erde zu übergeben geht, hat ehrlich zwischen Erde und Himmel handthiert. Die alten Weiber schwemmen mit süßen Thränen hinweg, was von Schmutz auf seinem Andenken liegt. Inner¬ lich geben sie sich das Wort, Niemand, den sie daran hindern können, soll ein Schieferdecker werden. Es ist
Eines Abends ſah man denn die ſchwarze Bahre vor dem Hauſe mit den grünen Fenſterladen ſtehn, das darüber wegſah, um ſein roſiges Ausſehn zu recht¬ fertigen. Etwas entfernter ſtanden Frauen und Kinder in Gruppen zuſammen, bald leiſe flüſternd, bald voll Aufmerkſamkeit, die zeitweilig bis zur Ungeduld ſtieg. Dasſelbe Treiben, dieſelben Empfindungen, mit der die gebildetere Schicht der Bevölkerung des Augenblickes harrt, wo der Vorhang vor den rührenden Gebilden des Dichters aufrauſchen ſoll. Dasſelbe Bedürfniß hat die blauen Schürzen hierhergezogen, das dort die ſchön¬ ſten Gewänder der Stadt verſammelt. Zuweilen kommt ein ſchwarzer Mantel unter dreieckigem Hute in düſterer Gravität die Straße daher und tritt hinter der Bahre hinweg in's Haus. Und endlich geht die Thüre doppelt auf. Der Sarg ſteht auf der Bahre, das Leichentuch bedeckt beides; leiſe und in gleichmäßiger Bewegung hebt ſich die ſchwarze wallende Maſſe; nun iſt ſie an ihrer Stelle, denn die Träger rücken den Hut zurecht. Und nun bewegt ſich's ſchwankend, flatternd. Obenauf blitzt der Deckhammer, den Valentin polirt hat, und ſagt, was man jetzt der Erde zu übergeben geht, hat ehrlich zwiſchen Erde und Himmel handthiert. Die alten Weiber ſchwemmen mit ſüßen Thränen hinweg, was von Schmutz auf ſeinem Andenken liegt. Inner¬ lich geben ſie ſich das Wort, Niemand, den ſie daran hindern können, ſoll ein Schieferdecker werden. Es iſt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0271"n="262"/><p>Eines Abends ſah man denn die ſchwarze Bahre<lb/>
vor dem Hauſe mit den grünen Fenſterladen ſtehn,<lb/>
das darüber wegſah, um ſein roſiges Ausſehn zu recht¬<lb/>
fertigen. Etwas entfernter ſtanden Frauen und Kinder<lb/>
in Gruppen zuſammen, bald leiſe flüſternd, bald voll<lb/>
Aufmerkſamkeit, die zeitweilig bis zur Ungeduld ſtieg.<lb/>
Dasſelbe Treiben, dieſelben Empfindungen, mit der die<lb/>
gebildetere Schicht der Bevölkerung des Augenblickes<lb/>
harrt, wo der Vorhang vor den rührenden Gebilden<lb/>
des Dichters aufrauſchen ſoll. Dasſelbe Bedürfniß hat<lb/>
die blauen Schürzen hierhergezogen, das dort die ſchön¬<lb/>ſten Gewänder der Stadt verſammelt. Zuweilen kommt<lb/>
ein ſchwarzer Mantel unter dreieckigem Hute in düſterer<lb/>
Gravität die Straße daher und tritt hinter der Bahre<lb/>
hinweg in's Haus. Und endlich geht die Thüre doppelt<lb/>
auf. Der Sarg ſteht auf der Bahre, das Leichentuch<lb/>
bedeckt beides; leiſe und in gleichmäßiger Bewegung<lb/>
hebt ſich die ſchwarze wallende Maſſe; nun iſt ſie an<lb/>
ihrer Stelle, denn die Träger rücken den Hut zurecht.<lb/>
Und nun bewegt ſich's ſchwankend, flatternd. Obenauf<lb/>
blitzt der Deckhammer, den Valentin polirt hat, und<lb/>ſagt, was man jetzt der Erde zu übergeben geht, hat<lb/>
ehrlich zwiſchen Erde und Himmel handthiert. Die<lb/>
alten Weiber ſchwemmen mit ſüßen Thränen hinweg,<lb/>
was von Schmutz auf ſeinem Andenken liegt. Inner¬<lb/>
lich geben ſie ſich das Wort, Niemand, den ſie daran<lb/>
hindern können, ſoll ein Schieferdecker werden. Es iſt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[262/0271]
Eines Abends ſah man denn die ſchwarze Bahre
vor dem Hauſe mit den grünen Fenſterladen ſtehn,
das darüber wegſah, um ſein roſiges Ausſehn zu recht¬
fertigen. Etwas entfernter ſtanden Frauen und Kinder
in Gruppen zuſammen, bald leiſe flüſternd, bald voll
Aufmerkſamkeit, die zeitweilig bis zur Ungeduld ſtieg.
Dasſelbe Treiben, dieſelben Empfindungen, mit der die
gebildetere Schicht der Bevölkerung des Augenblickes
harrt, wo der Vorhang vor den rührenden Gebilden
des Dichters aufrauſchen ſoll. Dasſelbe Bedürfniß hat
die blauen Schürzen hierhergezogen, das dort die ſchön¬
ſten Gewänder der Stadt verſammelt. Zuweilen kommt
ein ſchwarzer Mantel unter dreieckigem Hute in düſterer
Gravität die Straße daher und tritt hinter der Bahre
hinweg in's Haus. Und endlich geht die Thüre doppelt
auf. Der Sarg ſteht auf der Bahre, das Leichentuch
bedeckt beides; leiſe und in gleichmäßiger Bewegung
hebt ſich die ſchwarze wallende Maſſe; nun iſt ſie an
ihrer Stelle, denn die Träger rücken den Hut zurecht.
Und nun bewegt ſich's ſchwankend, flatternd. Obenauf
blitzt der Deckhammer, den Valentin polirt hat, und
ſagt, was man jetzt der Erde zu übergeben geht, hat
ehrlich zwiſchen Erde und Himmel handthiert. Die
alten Weiber ſchwemmen mit ſüßen Thränen hinweg,
was von Schmutz auf ſeinem Andenken liegt. Inner¬
lich geben ſie ſich das Wort, Niemand, den ſie daran
hindern können, ſoll ein Schieferdecker werden. Es iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/271>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.