nicht Ruh, bis er ihn entfernt. Er war zurückgegan¬ gen, um die Leiter herbeizuholen. Diese lag neben dem Fahrzeug auf dem Balken. Da, indem er sich danach herabbeugt, fühlt er sich ergriffen und mit wilder Gewalt nach der Ausfahrthür zugeschoben. Unwillkürlich faßte er mit der Rechten die untere Kante eines Balkens seitwärts über ihm; mit der Linken sucht er vergebens nach einem Halt. Durch diese Be¬ wegung wendet er sich dem Angreifer zu. Entsetzt sieht er in ein verzerrtes Gesicht. Es ist das wild¬ bleiche Gesicht seines Bruders. Er hat keine Zeit, sich zu fragen, wie das jetzt hierher kommt. "Was willst du?" ruft er. Was er auch erfahren, er kann sich selbst nicht glauben. Ein wahnwitziges Lachen ant¬ wortet ihm: "Du sollst sie allein haben, oder mit hin¬ unter!" ""Fort!"" ruft der Bedrohte. Im zornigen Schmerze sind all die Vorwürfe gegen den Bruder in sein Gesicht heraufgestiegen. Mit seiner ganzen Kraft stößt er mit der freien Hand den Drängenden zurück. "Zeigst du endlich dein wahres Gesicht?" höhnt dieser noch wüthender. "Von jeder Stelle hast du mich ver¬ drängt, wo ich stand; nun ist die Reih an mir. Auf deinem Gewissen sollst du mich haben, du Federchen¬ sucher! Wirf mich hinunter, oder du sollst mit!" Apollonius sieht keine Rettung. Die Hand erlahmt, mit der er sich nur mühsam anhält an der scharfen Kante des starken Balkens. Er muß den Bruder an
Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 17
nicht Ruh, bis er ihn entfernt. Er war zurückgegan¬ gen, um die Leiter herbeizuholen. Dieſe lag neben dem Fahrzeug auf dem Balken. Da, indem er ſich danach herabbeugt, fühlt er ſich ergriffen und mit wilder Gewalt nach der Ausfahrthür zugeſchoben. Unwillkürlich faßte er mit der Rechten die untere Kante eines Balkens ſeitwärts über ihm; mit der Linken ſucht er vergebens nach einem Halt. Durch dieſe Be¬ wegung wendet er ſich dem Angreifer zu. Entſetzt ſieht er in ein verzerrtes Geſicht. Es iſt das wild¬ bleiche Geſicht ſeines Bruders. Er hat keine Zeit, ſich zu fragen, wie das jetzt hierher kommt. „Was willſt du?“ ruft er. Was er auch erfahren, er kann ſich ſelbſt nicht glauben. Ein wahnwitziges Lachen ant¬ wortet ihm: „Du ſollſt ſie allein haben, oder mit hin¬ unter!“ „„Fort!““ ruft der Bedrohte. Im zornigen Schmerze ſind all die Vorwürfe gegen den Bruder in ſein Geſicht heraufgeſtiegen. Mit ſeiner ganzen Kraft ſtößt er mit der freien Hand den Drängenden zurück. „Zeigſt du endlich dein wahres Geſicht?“ höhnt dieſer noch wüthender. „Von jeder Stelle haſt du mich ver¬ drängt, wo ich ſtand; nun iſt die Reih an mir. Auf deinem Gewiſſen ſollſt du mich haben, du Federchen¬ ſucher! Wirf mich hinunter, oder du ſollſt mit!“ Apollonius ſieht keine Rettung. Die Hand erlahmt, mit der er ſich nur mühſam anhält an der ſcharfen Kante des ſtarken Balkens. Er muß den Bruder an
Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 17
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nicht Ruh, bis er ihn entfernt. Er war zurückgegan¬
gen, um die Leiter herbeizuholen. Dieſe lag neben
dem Fahrzeug auf dem Balken. Da, indem er ſich
danach herabbeugt, fühlt er ſich ergriffen und mit
wilder Gewalt nach der Ausfahrthür zugeſchoben.
Unwillkürlich faßte er mit der Rechten die untere Kante
eines Balkens ſeitwärts über ihm; mit der Linken
ſucht er vergebens nach einem Halt. Durch dieſe Be¬
wegung wendet er ſich dem Angreifer zu. Entſetzt
ſieht er in ein verzerrtes Geſicht. Es iſt das wild¬
bleiche Geſicht ſeines Bruders. Er hat keine Zeit, ſich
zu fragen, wie das jetzt hierher kommt. „Was willſt
du?“ ruft er. Was er auch erfahren, er kann ſich
ſelbſt nicht glauben. Ein wahnwitziges Lachen ant¬
wortet ihm: „Du ſollſt ſie allein haben, oder mit hin¬
unter!“ „„Fort!““ ruft der Bedrohte. Im zornigen
Schmerze ſind all die Vorwürfe gegen den Bruder in
ſein Geſicht heraufgeſtiegen. Mit ſeiner ganzen Kraft
ſtößt er mit der freien Hand den Drängenden zurück.
„Zeigſt du endlich dein wahres Geſicht?“ höhnt dieſer
noch wüthender. „Von jeder Stelle haſt du mich ver¬
drängt, wo ich ſtand; nun iſt die Reih an mir. Auf
deinem Gewiſſen ſollſt du mich haben, du Federchen¬
ſucher! Wirf mich hinunter, oder du ſollſt mit!“
Apollonius ſieht keine Rettung. Die Hand erlahmt,
mit der er ſich nur mühſam anhält an der ſcharfen
Kante des ſtarken Balkens. Er muß den Bruder an
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/266>, abgerufen am 27.11.2024.
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