Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

mit aller Schmach, die sie fand. Sie zeigte ihm die
Reinheit des Gesichtes, das an seinem Herzen lag und
schwärmend zu ihm aufsah, und wie er mehr an ihr
und an sich selbst verderben würde, als um was er ihren
und seinen Feind anklagte. Noch stand die heilige Scheu
schützend zwischen ihm und ihr, die ein einziger Druck,
ein einziger Blick, für immer verscheuchen konnte. Und
doch sah er angstvoll nach einem Helfer sich um. Wenn
nur Valentin käme! Dann mußt' er sie aus seinen
Armen lassen. Valentin kam nicht. Aber die Scham
über seine Schwäche, die die Hülfe außen suchte,
wurde zum Helfer. Er legte die Kraftlose sanft auf
den Rasen. Als er die weichen Glieder aus den Hän¬
den ließ, verlor er sie erst. Er mußte sich abwenden
und konnte einem lauten Schluchzen nicht wehren. Da
sah der jüngste Knabe neugierig in den Hof. Er eilte
hin, hob das Kind in seine Arme, drückte es an sein
Herz und stellte es zwischen sich und sie. Es war
eigen; mit dem Drucke, mit dem er das Kind an sein
Herz gedrückt, entband sich der wilde Drang und nun
erst lös'ten sich die gespannten Muskeln. Er hatte sie
in dem Kinde an sein Herz gedrückt, wie allein er sie
an sein Herz drücken durfte. Die Frau sah ihn den
Knaben zwischen sich und ihn stellen und verstand ihn.
Glühende Röthe stieg ihr bis unter die wilden braunen
Locken. Sie wußte nun erst, daß sie in seinen Armen
gelegen, daß sie ihn umfaßt hatte und mit ihm gespro¬

mit aller Schmach, die ſie fand. Sie zeigte ihm die
Reinheit des Geſichtes, das an ſeinem Herzen lag und
ſchwärmend zu ihm aufſah, und wie er mehr an ihr
und an ſich ſelbſt verderben würde, als um was er ihren
und ſeinen Feind anklagte. Noch ſtand die heilige Scheu
ſchützend zwiſchen ihm und ihr, die ein einziger Druck,
ein einziger Blick, für immer verſcheuchen konnte. Und
doch ſah er angſtvoll nach einem Helfer ſich um. Wenn
nur Valentin käme! Dann mußt' er ſie aus ſeinen
Armen laſſen. Valentin kam nicht. Aber die Scham
über ſeine Schwäche, die die Hülfe außen ſuchte,
wurde zum Helfer. Er legte die Kraftloſe ſanft auf
den Raſen. Als er die weichen Glieder aus den Hän¬
den ließ, verlor er ſie erſt. Er mußte ſich abwenden
und konnte einem lauten Schluchzen nicht wehren. Da
ſah der jüngſte Knabe neugierig in den Hof. Er eilte
hin, hob das Kind in ſeine Arme, drückte es an ſein
Herz und ſtellte es zwiſchen ſich und ſie. Es war
eigen; mit dem Drucke, mit dem er das Kind an ſein
Herz gedrückt, entband ſich der wilde Drang und nun
erſt löſ'ten ſich die geſpannten Muskeln. Er hatte ſie
in dem Kinde an ſein Herz gedrückt, wie allein er ſie
an ſein Herz drücken durfte. Die Frau ſah ihn den
Knaben zwiſchen ſich und ihn ſtellen und verſtand ihn.
Glühende Röthe ſtieg ihr bis unter die wilden braunen
Locken. Sie wußte nun erſt, daß ſie in ſeinen Armen
gelegen, daß ſie ihn umfaßt hatte und mit ihm geſpro¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0247" n="238"/>
mit aller Schmach, die &#x017F;ie fand. Sie zeigte ihm die<lb/>
Reinheit des Ge&#x017F;ichtes, das an &#x017F;einem Herzen lag und<lb/>
&#x017F;chwärmend zu ihm auf&#x017F;ah, und wie er mehr an ihr<lb/>
und an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verderben würde, als um was er ihren<lb/>
und &#x017F;einen Feind anklagte. Noch &#x017F;tand die heilige Scheu<lb/>
&#x017F;chützend zwi&#x017F;chen ihm und ihr, die ein einziger Druck,<lb/>
ein einziger Blick, für immer ver&#x017F;cheuchen konnte. Und<lb/>
doch &#x017F;ah er ang&#x017F;tvoll nach einem Helfer &#x017F;ich um. Wenn<lb/>
nur Valentin käme! Dann mußt' er &#x017F;ie aus &#x017F;einen<lb/>
Armen la&#x017F;&#x017F;en. Valentin kam nicht. Aber die Scham<lb/>
über &#x017F;eine Schwäche, die die Hülfe außen &#x017F;uchte,<lb/>
wurde zum Helfer. Er legte die Kraftlo&#x017F;e &#x017F;anft auf<lb/>
den Ra&#x017F;en. Als er die weichen Glieder aus den Hän¬<lb/>
den ließ, verlor er &#x017F;ie er&#x017F;t. Er mußte &#x017F;ich abwenden<lb/>
und konnte einem lauten Schluchzen nicht wehren. Da<lb/>
&#x017F;ah der jüng&#x017F;te Knabe neugierig in den Hof. Er eilte<lb/>
hin, hob das Kind in &#x017F;eine Arme, drückte es an &#x017F;ein<lb/>
Herz und &#x017F;tellte es zwi&#x017F;chen &#x017F;ich und &#x017F;ie. Es war<lb/>
eigen; mit dem Drucke, mit dem er das Kind an &#x017F;ein<lb/>
Herz gedrückt, entband &#x017F;ich der wilde Drang und nun<lb/>
er&#x017F;t lö&#x017F;'ten &#x017F;ich die ge&#x017F;pannten Muskeln. Er hatte &#x017F;ie<lb/>
in dem Kinde an &#x017F;ein Herz gedrückt, wie allein er &#x017F;ie<lb/>
an &#x017F;ein Herz drücken durfte. Die Frau &#x017F;ah ihn den<lb/>
Knaben zwi&#x017F;chen &#x017F;ich und ihn &#x017F;tellen und ver&#x017F;tand ihn.<lb/>
Glühende Röthe &#x017F;tieg ihr bis unter die wilden braunen<lb/>
Locken. Sie wußte nun er&#x017F;t, daß &#x017F;ie in &#x017F;einen Armen<lb/>
gelegen, daß &#x017F;ie ihn umfaßt hatte und mit ihm ge&#x017F;pro¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0247] mit aller Schmach, die ſie fand. Sie zeigte ihm die Reinheit des Geſichtes, das an ſeinem Herzen lag und ſchwärmend zu ihm aufſah, und wie er mehr an ihr und an ſich ſelbſt verderben würde, als um was er ihren und ſeinen Feind anklagte. Noch ſtand die heilige Scheu ſchützend zwiſchen ihm und ihr, die ein einziger Druck, ein einziger Blick, für immer verſcheuchen konnte. Und doch ſah er angſtvoll nach einem Helfer ſich um. Wenn nur Valentin käme! Dann mußt' er ſie aus ſeinen Armen laſſen. Valentin kam nicht. Aber die Scham über ſeine Schwäche, die die Hülfe außen ſuchte, wurde zum Helfer. Er legte die Kraftloſe ſanft auf den Raſen. Als er die weichen Glieder aus den Hän¬ den ließ, verlor er ſie erſt. Er mußte ſich abwenden und konnte einem lauten Schluchzen nicht wehren. Da ſah der jüngſte Knabe neugierig in den Hof. Er eilte hin, hob das Kind in ſeine Arme, drückte es an ſein Herz und ſtellte es zwiſchen ſich und ſie. Es war eigen; mit dem Drucke, mit dem er das Kind an ſein Herz gedrückt, entband ſich der wilde Drang und nun erſt löſ'ten ſich die geſpannten Muskeln. Er hatte ſie in dem Kinde an ſein Herz gedrückt, wie allein er ſie an ſein Herz drücken durfte. Die Frau ſah ihn den Knaben zwiſchen ſich und ihn ſtellen und verſtand ihn. Glühende Röthe ſtieg ihr bis unter die wilden braunen Locken. Sie wußte nun erſt, daß ſie in ſeinen Armen gelegen, daß ſie ihn umfaßt hatte und mit ihm geſpro¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/247
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/247>, abgerufen am 29.11.2024.