eigentliches Dasein ist, -- denn Alles, was war und werden kann, ist blos Schatten; was sie erzählt, hat sie geträumt; und erlebt, fühlt und weiß es erst jetzt; was gewesen ist und kommen wird, ist gewesen und kommt nur, damit dieser Augenblick sein kann; vor und nach diesem Augenblick ist die Zeit zu Ende; -- al¬ les das durchdrang sich, alles das zitterte zugleich in jedem einzelnen Klang der fliegenden, sich pressen¬ den Rede. "Er hat mich und dich belogen. Er hat mir gesagt, du verhöhntest mich und hättst meine Blume vor den Gesellen ausgeboten. Ach du weißt's ja noch, beim Pfingstschießen die Blume, das kleine Glöckchen, das ich liegen ließ. Und du hast's ihm geschickt. Ich hab's gesehn. Ich wußte nicht, warum. Du hast mich gedauert. Daß du so still warst und trüb und so allein, das hat mir weh gethan. Da hat er mir beim Tanz gesagt, du hättest deinen Spott über mich. Da gingst du in die Fremde und er hat mir gesagt, wie du in deinen Briefen über mich spot¬ test; das that mir weh. Du glaubst nicht, wie weh mir das that, wenn ich schon nicht gewußt hab', wa¬ rum. Der Vater wollte, ich sollte ihn frein. Und wie du kamst, hab ich mich vor dir gefürchtet; du hast mich immer noch gedauert und ich hab' dich immer noch geliebt und wußt' es nur nicht. Er selbst hat mir's erst gesagt. Da bin ich dir ausgewichen. Ich wollte nicht schlecht werden und will's auch nicht. Gewiß
eigentliches Daſein iſt, — denn Alles, was war und werden kann, iſt blos Schatten; was ſie erzählt, hat ſie geträumt; und erlebt, fühlt und weiß es erſt jetzt; was geweſen iſt und kommen wird, iſt geweſen und kommt nur, damit dieſer Augenblick ſein kann; vor und nach dieſem Augenblick iſt die Zeit zu Ende; — al¬ les das durchdrang ſich, alles das zitterte zugleich in jedem einzelnen Klang der fliegenden, ſich preſſen¬ den Rede. „Er hat mich und dich belogen. Er hat mir geſagt, du verhöhnteſt mich und hättſt meine Blume vor den Geſellen ausgeboten. Ach du weißt's ja noch, beim Pfingſtſchießen die Blume, das kleine Glöckchen, das ich liegen ließ. Und du haſt's ihm geſchickt. Ich hab's geſehn. Ich wußte nicht, warum. Du haſt mich gedauert. Daß du ſo ſtill warſt und trüb und ſo allein, das hat mir weh gethan. Da hat er mir beim Tanz geſagt, du hätteſt deinen Spott über mich. Da gingſt du in die Fremde und er hat mir geſagt, wie du in deinen Briefen über mich ſpot¬ teſt; das that mir weh. Du glaubſt nicht, wie weh mir das that, wenn ich ſchon nicht gewußt hab', wa¬ rum. Der Vater wollte, ich ſollte ihn frein. Und wie du kamſt, hab ich mich vor dir gefürchtet; du haſt mich immer noch gedauert und ich hab' dich immer noch geliebt und wußt' es nur nicht. Er ſelbſt hat mir's erſt geſagt. Da bin ich dir ausgewichen. Ich wollte nicht ſchlecht werden und will's auch nicht. Gewiß
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eigentliches Daſein iſt, — denn Alles, was war und
werden kann, iſt blos Schatten; was ſie erzählt, hat
ſie geträumt; und erlebt, fühlt und weiß es erſt jetzt;
was geweſen iſt und kommen wird, iſt geweſen und
kommt nur, damit dieſer Augenblick ſein kann; vor
und nach dieſem Augenblick iſt die Zeit zu Ende; — al¬
les das durchdrang ſich, alles das zitterte zugleich
in jedem einzelnen Klang der fliegenden, ſich preſſen¬
den Rede. „Er hat mich und dich belogen. Er hat
mir geſagt, du verhöhnteſt mich und hättſt meine
Blume vor den Geſellen ausgeboten. Ach du weißt's
ja noch, beim Pfingſtſchießen die Blume, das kleine
Glöckchen, das ich liegen ließ. Und du haſt's ihm
geſchickt. Ich hab's geſehn. Ich wußte nicht, warum.
Du haſt mich gedauert. Daß du ſo ſtill warſt und
trüb und ſo allein, das hat mir weh gethan. Da hat
er mir beim Tanz geſagt, du hätteſt deinen Spott
über mich. Da gingſt du in die Fremde und er hat
mir geſagt, wie du in deinen Briefen über mich ſpot¬
teſt; das that mir weh. Du glaubſt nicht, wie weh
mir das that, wenn ich ſchon nicht gewußt hab', wa¬
rum. Der Vater wollte, ich ſollte ihn frein. Und wie
du kamſt, hab ich mich vor dir gefürchtet; du haſt mich
immer noch gedauert und ich hab' dich immer noch
geliebt und wußt' es nur nicht. Er ſelbſt hat mir's
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/243>, abgerufen am 30.11.2024.
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