konnte. Es war, als hätten sie die Ohnmacht ihrer Besitzerin benutzt, ihm nachzugeben. Der alte Valentin machte sich die Hände frei, indem er ihre Last vorsichtig leise auf den Boden gleiten ließ, und versuchte die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Er mußte sehn, ob sie noch lebe. Das verursachte ihm lange Zeit ver¬ gebliche Mühe; die Angst machte seine alten Hände noch ungeschickter; dazu kam die eigene Scheu, die einen alten Junggesellen unerbittlich in so enger weib¬ licher Nähe befängt; und der Eigensinn der Haare, die immer wieder im krausen Gelock über dem Gesichte zusammenschlugen. Der Hals- und der Schläfenpuls wehrten sich dagegen, er sah, wie sie die Haare mit ihren Schlägen bewegten und faßte wieder Hoffnung. Auf dem Tisch stand eine Flasche mit Wasser; er goß sich davon in die hole Hand und spritzte ihr es auf Haare und Gesicht. Das wirkte. Sie machte eine Bewegung; er half ihr den Oberleib aufrichten und stützte ihn. Sie strich sich nun selbst die widerstreben¬ den Haare aus dem Gesicht und sah sich um. Ihr Blick hatte etwas so Fremdes, daß der Valentin von Neuem erschrack. Dann nickte sie mit dem Kopfe und sagte mit leiser Stimme: "Ja." Valentin verstand, sie sagte sich, sie habe die schreckliche Nachricht gehört und nicht geträumt. An dem Ton ihrer Stimme hörte er, sie sagte sich wohl, was geschehn, aber sie begriff es nicht. Es war, als ginge es nicht sie an, was sie
konnte. Es war, als hätten ſie die Ohnmacht ihrer Beſitzerin benutzt, ihm nachzugeben. Der alte Valentin machte ſich die Hände frei, indem er ihre Laſt vorſichtig leiſe auf den Boden gleiten ließ, und verſuchte die Haare aus dem Geſicht zu ſtreichen. Er mußte ſehn, ob ſie noch lebe. Das verurſachte ihm lange Zeit ver¬ gebliche Mühe; die Angſt machte ſeine alten Hände noch ungeſchickter; dazu kam die eigene Scheu, die einen alten Junggeſellen unerbittlich in ſo enger weib¬ licher Nähe befängt; und der Eigenſinn der Haare, die immer wieder im krauſen Gelock über dem Geſichte zuſammenſchlugen. Der Hals- und der Schläfenpuls wehrten ſich dagegen, er ſah, wie ſie die Haare mit ihren Schlägen bewegten und faßte wieder Hoffnung. Auf dem Tiſch ſtand eine Flaſche mit Waſſer; er goß ſich davon in die hole Hand und ſpritzte ihr es auf Haare und Geſicht. Das wirkte. Sie machte eine Bewegung; er half ihr den Oberleib aufrichten und ſtützte ihn. Sie ſtrich ſich nun ſelbſt die widerſtreben¬ den Haare aus dem Geſicht und ſah ſich um. Ihr Blick hatte etwas ſo Fremdes, daß der Valentin von Neuem erſchrack. Dann nickte ſie mit dem Kopfe und ſagte mit leiſer Stimme: „Ja.“ Valentin verſtand, ſie ſagte ſich, ſie habe die ſchreckliche Nachricht gehört und nicht geträumt. An dem Ton ihrer Stimme hörte er, ſie ſagte ſich wohl, was geſchehn, aber ſie begriff es nicht. Es war, als ginge es nicht ſie an, was ſie
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konnte. Es war, als hätten ſie die Ohnmacht ihrer
Beſitzerin benutzt, ihm nachzugeben. Der alte Valentin
machte ſich die Hände frei, indem er ihre Laſt vorſichtig
leiſe auf den Boden gleiten ließ, und verſuchte die
Haare aus dem Geſicht zu ſtreichen. Er mußte ſehn,
ob ſie noch lebe. Das verurſachte ihm lange Zeit ver¬
gebliche Mühe; die Angſt machte ſeine alten Hände
noch ungeſchickter; dazu kam die eigene Scheu, die
einen alten Junggeſellen unerbittlich in ſo enger weib¬
licher Nähe befängt; und der Eigenſinn der Haare,
die immer wieder im krauſen Gelock über dem Geſichte
zuſammenſchlugen. Der Hals- und der Schläfenpuls
wehrten ſich dagegen, er ſah, wie ſie die Haare mit
ihren Schlägen bewegten und faßte wieder Hoffnung.
Auf dem Tiſch ſtand eine Flaſche mit Waſſer; er goß
ſich davon in die hole Hand und ſpritzte ihr es auf
Haare und Geſicht. Das wirkte. Sie machte eine
Bewegung; er half ihr den Oberleib aufrichten und
ſtützte ihn. Sie ſtrich ſich nun ſelbſt die widerſtreben¬
den Haare aus dem Geſicht und ſah ſich um. Ihr
Blick hatte etwas ſo Fremdes, daß der Valentin von
Neuem erſchrack. Dann nickte ſie mit dem Kopfe und
ſagte mit leiſer Stimme: „Ja.“ Valentin verſtand,
ſie ſagte ſich, ſie habe die ſchreckliche Nachricht gehört
und nicht geträumt. An dem Ton ihrer Stimme hörte
er, ſie ſagte ſich wohl, was geſchehn, aber ſie begriff
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/233>, abgerufen am 05.12.2024.
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