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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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einander vor Angst; da ihm einfiel, er stehe in der
Hausthür und sei verantwortlich für jedes Gerede, das
der Ausdruck seiner "Einbildungen" veranlassen konnte,
that er, als hab' er die Hände in einander gelegt, um
sie behaglich zu reiben.

Der Blechschmiedegeselle hatte gehört, Herr Netten¬
mair sei schon seit Jahren blind; der selbst hatte ihm
gesagt, sein Augenleiden sei unbedeutend; er merkte
bald, die Leute möchten doch recht haben. Nun nickte
ein rasch Vorübergehender, und auf sein "Wie geht's?"
lächelte der alte Herr wiederum: "Ich leide etwas an
den Augen, aber es hat nichts zu sagen." Ueber jeden
Andern an Herrn Nettenmair's Stelle würde der Ge¬
sell gelacht haben. Aber die mächtige Persönlichkeit
des alten Mannes setzte ihn so in Respekt, daß er den
Widerspruch seiner sinnlichen Wahrnehmung mit dessen
Worten auf sich beruhen ließ, und zugleich seinen Sin¬
nen glaubte: Herr Nettenmair sei blind, und Herrn
Nettenmair selbst: es habe nichts zu sagen. Das Er¬
scheinen des alten Herrn auf der Straße war ein
Wunder, und sicherlich würde es Aufsehen gemacht
haben und der alte Herr durch hundert Hän¬
deschüttler und Frager aufgehalten worden sein, hätte
nicht ein anderes Etwas die Aufmerksamkeit von ihm
abgelenkt. Da lief ein halblaut und schnell Ausge¬
sprochenes durch die Straßen. Zwei, Drei blieben
stehn, das Näherkommen eines Dritten, Vierten

einander vor Angſt; da ihm einfiel, er ſtehe in der
Hausthür und ſei verantwortlich für jedes Gerede, das
der Ausdruck ſeiner „Einbildungen“ veranlaſſen konnte,
that er, als hab' er die Hände in einander gelegt, um
ſie behaglich zu reiben.

Der Blechſchmiedegeſelle hatte gehört, Herr Netten¬
mair ſei ſchon ſeit Jahren blind; der ſelbſt hatte ihm
geſagt, ſein Augenleiden ſei unbedeutend; er merkte
bald, die Leute möchten doch recht haben. Nun nickte
ein raſch Vorübergehender, und auf ſein „Wie geht's?“
lächelte der alte Herr wiederum: „Ich leide etwas an
den Augen, aber es hat nichts zu ſagen.“ Ueber jeden
Andern an Herrn Nettenmair's Stelle würde der Ge¬
ſell gelacht haben. Aber die mächtige Perſönlichkeit
des alten Mannes ſetzte ihn ſo in Reſpekt, daß er den
Widerſpruch ſeiner ſinnlichen Wahrnehmung mit deſſen
Worten auf ſich beruhen ließ, und zugleich ſeinen Sin¬
nen glaubte: Herr Nettenmair ſei blind, und Herrn
Nettenmair ſelbſt: es habe nichts zu ſagen. Das Er¬
ſcheinen des alten Herrn auf der Straße war ein
Wunder, und ſicherlich würde es Aufſehen gemacht
haben und der alte Herr durch hundert Hän¬
deſchüttler und Frager aufgehalten worden ſein, hätte
nicht ein anderes Etwas die Aufmerkſamkeit von ihm
abgelenkt. Da lief ein halblaut und ſchnell Ausge¬
ſprochenes durch die Straßen. Zwei, Drei blieben
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[206/0215] einander vor Angſt; da ihm einfiel, er ſtehe in der Hausthür und ſei verantwortlich für jedes Gerede, das der Ausdruck ſeiner „Einbildungen“ veranlaſſen konnte, that er, als hab' er die Hände in einander gelegt, um ſie behaglich zu reiben. Der Blechſchmiedegeſelle hatte gehört, Herr Netten¬ mair ſei ſchon ſeit Jahren blind; der ſelbſt hatte ihm geſagt, ſein Augenleiden ſei unbedeutend; er merkte bald, die Leute möchten doch recht haben. Nun nickte ein raſch Vorübergehender, und auf ſein „Wie geht's?“ lächelte der alte Herr wiederum: „Ich leide etwas an den Augen, aber es hat nichts zu ſagen.“ Ueber jeden Andern an Herrn Nettenmair's Stelle würde der Ge¬ ſell gelacht haben. Aber die mächtige Perſönlichkeit des alten Mannes ſetzte ihn ſo in Reſpekt, daß er den Widerſpruch ſeiner ſinnlichen Wahrnehmung mit deſſen Worten auf ſich beruhen ließ, und zugleich ſeinen Sin¬ nen glaubte: Herr Nettenmair ſei blind, und Herrn Nettenmair ſelbſt: es habe nichts zu ſagen. Das Er¬ ſcheinen des alten Herrn auf der Straße war ein Wunder, und ſicherlich würde es Aufſehen gemacht haben und der alte Herr durch hundert Hän¬ deſchüttler und Frager aufgehalten worden ſein, hätte nicht ein anderes Etwas die Aufmerkſamkeit von ihm abgelenkt. Da lief ein halblaut und ſchnell Ausge¬ ſprochenes durch die Straßen. Zwei, Drei blieben ſtehn, das Näherkommen eines Dritten, Vierten

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/215>, abgerufen am 12.12.2024.