Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

noch zu retten. Nun kam dem alten Herrn die an
seinen Einbildungen gewonnene Uebung, sich alle Mög¬
lichkeiten vorzustellen, bei dem wirklichen Falle zu statten.
Wenn die krankhaft gewachsene Empfindlichkeit seines
Ehrgefühls ihn spornte, vor dem Aeußersten nicht zurück¬
zuschrecken, so gingen seine Gedanken nun bei dem wirk¬
lichen Falle nur denselben fieberischen Gang, den zu
nehmen sie sich an den wesenlosen Ausgeburten seiner
Furcht gewöhnt. Verheimlichung alles dessen, was zu
einem Verdachtsgrunde auf den älteren Sohn werden
konnte, stellte sich ihm als die nächste Nothwendigkeit
dar. Hatten Valentin und die Frau noch Niemanden
mitgetheilt, was sie wußten, so konnte anderes Der¬
gleichen bereits bekannt sein. Solch ein verbrecheri¬
scher Gedanke entspringt nicht aus dem Ohngefähr.
Er ist die Blüthe eines Giftbaumes mit Stamm und
Zweigen. Valentin mußte ihm erzählen, was seit
Apollonius' Zurückkunft im Hause geschehen war. Wußte
Valentin von Fritz Nettenmair's Eifersucht nichts, oder
wollte er dem alten Herrn, dessen argwöhnische Ge¬
müthsart er kannte, nichts davon sagen; seine Erzählung
wurde die Geschichte eines leichtsinnigen, ehr- und ver¬
gnügungssüchtigen Verschwenders, der, trotz aller, Be¬
mühungen seines besseren Bruders, ihn zu halten, bis
zum gemeinen Wüstling und Trunkenbold herabsank; zu¬
gleich die Geschichte eines treuen Bruders, der dem Ver¬
schwender nothgedrungen die Sorge um Ehre und Bestand

noch zu retten. Nun kam dem alten Herrn die an
ſeinen Einbildungen gewonnene Uebung, ſich alle Mög¬
lichkeiten vorzuſtellen, bei dem wirklichen Falle zu ſtatten.
Wenn die krankhaft gewachſene Empfindlichkeit ſeines
Ehrgefühls ihn ſpornte, vor dem Aeußerſten nicht zurück¬
zuſchrecken, ſo gingen ſeine Gedanken nun bei dem wirk¬
lichen Falle nur denſelben fieberiſchen Gang, den zu
nehmen ſie ſich an den weſenloſen Ausgeburten ſeiner
Furcht gewöhnt. Verheimlichung alles deſſen, was zu
einem Verdachtsgrunde auf den älteren Sohn werden
konnte, ſtellte ſich ihm als die nächſte Nothwendigkeit
dar. Hatten Valentin und die Frau noch Niemanden
mitgetheilt, was ſie wußten, ſo konnte anderes Der¬
gleichen bereits bekannt ſein. Solch ein verbrecheri¬
ſcher Gedanke entſpringt nicht aus dem Ohngefähr.
Er iſt die Blüthe eines Giftbaumes mit Stamm und
Zweigen. Valentin mußte ihm erzählen, was ſeit
Apollonius' Zurückkunft im Hauſe geſchehen war. Wußte
Valentin von Fritz Nettenmair's Eiferſucht nichts, oder
wollte er dem alten Herrn, deſſen argwöhniſche Ge¬
müthsart er kannte, nichts davon ſagen; ſeine Erzählung
wurde die Geſchichte eines leichtſinnigen, ehr- und ver¬
gnügungsſüchtigen Verſchwenders, der, trotz aller, Be¬
mühungen ſeines beſſeren Bruders, ihn zu halten, bis
zum gemeinen Wüſtling und Trunkenbold herabſank; zu¬
gleich die Geſchichte eines treuen Bruders, der dem Ver¬
ſchwender nothgedrungen die Sorge um Ehre und Beſtand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0209" n="200"/>
noch zu retten. Nun kam dem alten Herrn die an<lb/>
&#x017F;einen Einbildungen gewonnene Uebung, &#x017F;ich alle Mög¬<lb/>
lichkeiten vorzu&#x017F;tellen, bei dem wirklichen Falle zu &#x017F;tatten.<lb/>
Wenn die krankhaft gewach&#x017F;ene Empfindlichkeit &#x017F;eines<lb/>
Ehrgefühls ihn &#x017F;pornte, vor dem Aeußer&#x017F;ten nicht zurück¬<lb/>
zu&#x017F;chrecken, &#x017F;o gingen &#x017F;eine Gedanken nun bei dem wirk¬<lb/>
lichen Falle nur den&#x017F;elben fieberi&#x017F;chen Gang, den zu<lb/>
nehmen &#x017F;ie &#x017F;ich an den we&#x017F;enlo&#x017F;en Ausgeburten &#x017F;einer<lb/>
Furcht gewöhnt. Verheimlichung alles de&#x017F;&#x017F;en, was zu<lb/>
einem Verdachtsgrunde auf den älteren Sohn werden<lb/>
konnte, &#x017F;tellte &#x017F;ich ihm als die näch&#x017F;te Nothwendigkeit<lb/>
dar. Hatten Valentin und die Frau noch Niemanden<lb/>
mitgetheilt, was &#x017F;ie wußten, &#x017F;o konnte anderes Der¬<lb/>
gleichen bereits bekannt &#x017F;ein. Solch ein verbrecheri¬<lb/>
&#x017F;cher Gedanke ent&#x017F;pringt nicht aus dem Ohngefähr.<lb/>
Er i&#x017F;t die Blüthe eines Giftbaumes mit Stamm und<lb/>
Zweigen. Valentin mußte ihm erzählen, was &#x017F;eit<lb/>
Apollonius' Zurückkunft im Hau&#x017F;e ge&#x017F;chehen war. Wußte<lb/>
Valentin von Fritz Nettenmair's Eifer&#x017F;ucht nichts, oder<lb/>
wollte er dem alten Herrn, de&#x017F;&#x017F;en argwöhni&#x017F;che Ge¬<lb/>
müthsart er kannte, nichts davon &#x017F;agen; &#x017F;eine Erzählung<lb/>
wurde die Ge&#x017F;chichte eines leicht&#x017F;innigen, ehr- und ver¬<lb/>
gnügungs&#x017F;üchtigen Ver&#x017F;chwenders, der, trotz aller, Be¬<lb/>
mühungen &#x017F;eines be&#x017F;&#x017F;eren Bruders, ihn zu halten, bis<lb/>
zum gemeinen Wü&#x017F;tling und Trunkenbold herab&#x017F;ank; zu¬<lb/>
gleich die Ge&#x017F;chichte eines treuen Bruders, der dem Ver¬<lb/>
&#x017F;chwender nothgedrungen die Sorge um Ehre und Be&#x017F;tand<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0209] noch zu retten. Nun kam dem alten Herrn die an ſeinen Einbildungen gewonnene Uebung, ſich alle Mög¬ lichkeiten vorzuſtellen, bei dem wirklichen Falle zu ſtatten. Wenn die krankhaft gewachſene Empfindlichkeit ſeines Ehrgefühls ihn ſpornte, vor dem Aeußerſten nicht zurück¬ zuſchrecken, ſo gingen ſeine Gedanken nun bei dem wirk¬ lichen Falle nur denſelben fieberiſchen Gang, den zu nehmen ſie ſich an den weſenloſen Ausgeburten ſeiner Furcht gewöhnt. Verheimlichung alles deſſen, was zu einem Verdachtsgrunde auf den älteren Sohn werden konnte, ſtellte ſich ihm als die nächſte Nothwendigkeit dar. Hatten Valentin und die Frau noch Niemanden mitgetheilt, was ſie wußten, ſo konnte anderes Der¬ gleichen bereits bekannt ſein. Solch ein verbrecheri¬ ſcher Gedanke entſpringt nicht aus dem Ohngefähr. Er iſt die Blüthe eines Giftbaumes mit Stamm und Zweigen. Valentin mußte ihm erzählen, was ſeit Apollonius' Zurückkunft im Hauſe geſchehen war. Wußte Valentin von Fritz Nettenmair's Eiferſucht nichts, oder wollte er dem alten Herrn, deſſen argwöhniſche Ge¬ müthsart er kannte, nichts davon ſagen; ſeine Erzählung wurde die Geſchichte eines leichtſinnigen, ehr- und ver¬ gnügungsſüchtigen Verſchwenders, der, trotz aller, Be¬ mühungen ſeines beſſeren Bruders, ihn zu halten, bis zum gemeinen Wüſtling und Trunkenbold herabſank; zu¬ gleich die Geſchichte eines treuen Bruders, der dem Ver¬ ſchwender nothgedrungen die Sorge um Ehre und Beſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/209
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/209>, abgerufen am 05.12.2024.