Ohr an das Schlüsselloch legte, als setz' er voraus, es müsse noch jetzt zu hören sein, wenn man sich nur recht mühe. Die Unruhe weckte ihn aus der Zer¬ streuung. Er pochte zum zweiten und zum dritten mal, und als der Ruf immer noch ausblieb, faßte er sich Muth, öffnete und trat in die Stube. Die junge Frau war ihm schon seit einiger Zeit immer ausgewichen. Sie that es auch diesmal; aber heute mußte er sie sprechen. Sie saß, absichtlich von den Fenstern ent¬ fernt, an der Kammerthüre. Der Alte sah nicht, daß sie eben so unruhig war, als er, und sein Hiersein sie noch mehr ängstete. Er entschuldigte sein Eindringen. Als sie eine Bewegung machte, sich zu entfernen, ver¬ sicherte er, sein Bleiben solle kurz sein; er wäre nicht mit Gewalt hereingedrungen, wenn nicht etwas ihn triebe, was vielleicht sehr wichtig sei. Er wünsche das nicht, aber es sei doch möglich. Die Frau horchte und sah immer ängstlicher bald nach den Fenstern, bald nach der Thür. Müsse er ihr etwas sagen, soll er's, so schnell er könne. Valentin schien zugleich auf die ängstlichen Blicke der Frau zu antworten, als er begann: "Herr Fritz sind auf dem Kirchendach von Sankt Georg. Ich hab' ihn eben noch vom Hofe aus gesehn." ""Und hat er hierher gesehn? Hat er euch in's Haus gehn sehn?"" fragte die Frau in einem Athem. "Bewahre," sagte der Alte; "er arbeitet heute wie ein Feind. Denkt an kein Essen und Trinken.
Ohr an das Schlüſſelloch legte, als ſetz' er voraus, es müſſe noch jetzt zu hören ſein, wenn man ſich nur recht mühe. Die Unruhe weckte ihn aus der Zer¬ ſtreuung. Er pochte zum zweiten und zum dritten mal, und als der Ruf immer noch ausblieb, faßte er ſich Muth, öffnete und trat in die Stube. Die junge Frau war ihm ſchon ſeit einiger Zeit immer ausgewichen. Sie that es auch diesmal; aber heute mußte er ſie ſprechen. Sie ſaß, abſichtlich von den Fenſtern ent¬ fernt, an der Kammerthüre. Der Alte ſah nicht, daß ſie eben ſo unruhig war, als er, und ſein Hierſein ſie noch mehr ängſtete. Er entſchuldigte ſein Eindringen. Als ſie eine Bewegung machte, ſich zu entfernen, ver¬ ſicherte er, ſein Bleiben ſolle kurz ſein; er wäre nicht mit Gewalt hereingedrungen, wenn nicht etwas ihn triebe, was vielleicht ſehr wichtig ſei. Er wünſche das nicht, aber es ſei doch möglich. Die Frau horchte und ſah immer ängſtlicher bald nach den Fenſtern, bald nach der Thür. Müſſe er ihr etwas ſagen, ſoll er's, ſo ſchnell er könne. Valentin ſchien zugleich auf die ängſtlichen Blicke der Frau zu antworten, als er begann: „Herr Fritz ſind auf dem Kirchendach von Sankt Georg. Ich hab' ihn eben noch vom Hofe aus geſehn.“ „„Und hat er hierher geſehn? Hat er euch in's Haus gehn ſehn?““ fragte die Frau in einem Athem. „Bewahre,“ ſagte der Alte; „er arbeitet heute wie ein Feind. Denkt an kein Eſſen und Trinken.
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Ohr an das Schlüſſelloch legte, als ſetz' er voraus, es
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recht mühe. Die Unruhe weckte ihn aus der Zer¬
ſtreuung. Er pochte zum zweiten und zum dritten mal,
und als der Ruf immer noch ausblieb, faßte er ſich
Muth, öffnete und trat in die Stube. Die junge Frau
war ihm ſchon ſeit einiger Zeit immer ausgewichen.
Sie that es auch diesmal; aber heute mußte er ſie
ſprechen. Sie ſaß, abſichtlich von den Fenſtern ent¬
fernt, an der Kammerthüre. Der Alte ſah nicht, daß
ſie eben ſo unruhig war, als er, und ſein Hierſein ſie
noch mehr ängſtete. Er entſchuldigte ſein Eindringen.
Als ſie eine Bewegung machte, ſich zu entfernen, ver¬
ſicherte er, ſein Bleiben ſolle kurz ſein; er wäre nicht
mit Gewalt hereingedrungen, wenn nicht etwas ihn
triebe, was vielleicht ſehr wichtig ſei. Er wünſche das
nicht, aber es ſei doch möglich. Die Frau horchte
und ſah immer ängſtlicher bald nach den Fenſtern,
bald nach der Thür. Müſſe er ihr etwas ſagen, ſoll
er's, ſo ſchnell er könne. Valentin ſchien zugleich auf
die ängſtlichen Blicke der Frau zu antworten, als er
begann: „Herr Fritz ſind auf dem Kirchendach von
Sankt Georg. Ich hab' ihn eben noch vom Hofe aus
geſehn.“ „„Und hat er hierher geſehn? Hat er euch
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Athem. „Bewahre,“ ſagte der Alte; „er arbeitet heute
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/200>, abgerufen am 04.12.2024.
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