nahm den Stoß als eine Aufforderung sich zu setzen. Er konnte durch eine Lucke nach Apollonius Fenster sehn; er wollte das Auslöschen des Lichtes hier erwar¬ ten. Der Schieferdecker verrichtet oft Zimmermanns¬ arbeit, er führt daher auch ein kleines Zimmerbeil un¬ ter seinem Werkzeuge. Ein solches hatte auf der Bank gelegen; es war herabgefallen, als er sich gesetzt. Er hob es auf und behielt es absichtslos in seinen Hän¬ den. Denn seine Gedanken waren mit ihm in der Kammer; er saß am Bette der Frau und ängstigte sie mit Drohungen. Der Aerger über das Zögern Apol¬ lonius machte sich darin Luft, das ihn hinderte, sich im Trunk Betäubung zu suchen. Er hat seine Hand auf das Bette der Frau gestützt und fühlt an den Bewe¬ gungen der Decke das Zittern ihrer Glieder. Er fühlt sich in ihre Angst hinein, er fühlt, wie er selbst Apol¬ lonius zu ihrem einzigen Gedanken macht. Er fühlt, wie sie morgen ihm entgegenstürzen muß, wenn er von der Arbeit heimkommt. Und wären sie nicht seine Teu¬ fel, wären sie Engel, es müßte morgen kommen, was er verhüten will. Wenn sie ihn mit der Glut der Angst umfaßt, das schöne, fluchvoll schöne Weib, er müßte nicht Blut in seinen Adern haben -- und hätt' er nie den Gedanken gehabt, mit dem er doch einschläft und aufwacht Tag für Tag, er müßte jetzt den Ge¬ danken denken. Es muß kommen, wovor die bloße Furcht Fritz Nettenmair zu dem elendesten der Menschen
nahm den Stoß als eine Aufforderung ſich zu ſetzen. Er konnte durch eine Lucke nach Apollonius Fenſter ſehn; er wollte das Auslöſchen des Lichtes hier erwar¬ ten. Der Schieferdecker verrichtet oft Zimmermanns¬ arbeit, er führt daher auch ein kleines Zimmerbeil un¬ ter ſeinem Werkzeuge. Ein ſolches hatte auf der Bank gelegen; es war herabgefallen, als er ſich geſetzt. Er hob es auf und behielt es abſichtslos in ſeinen Hän¬ den. Denn ſeine Gedanken waren mit ihm in der Kammer; er ſaß am Bette der Frau und ängſtigte ſie mit Drohungen. Der Aerger über das Zögern Apol¬ lonius machte ſich darin Luft, das ihn hinderte, ſich im Trunk Betäubung zu ſuchen. Er hat ſeine Hand auf das Bette der Frau geſtützt und fühlt an den Bewe¬ gungen der Decke das Zittern ihrer Glieder. Er fühlt ſich in ihre Angſt hinein, er fühlt, wie er ſelbſt Apol¬ lonius zu ihrem einzigen Gedanken macht. Er fühlt, wie ſie morgen ihm entgegenſtürzen muß, wenn er von der Arbeit heimkommt. Und wären ſie nicht ſeine Teu¬ fel, wären ſie Engel, es müßte morgen kommen, was er verhüten will. Wenn ſie ihn mit der Glut der Angſt umfaßt, das ſchöne, fluchvoll ſchöne Weib, er müßte nicht Blut in ſeinen Adern haben — und hätt' er nie den Gedanken gehabt, mit dem er doch einſchläft und aufwacht Tag für Tag, er müßte jetzt den Ge¬ danken denken. Es muß kommen, wovor die bloße Furcht Fritz Nettenmair zu dem elendeſten der Menſchen
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nahm den Stoß als eine Aufforderung ſich zu ſetzen.
Er konnte durch eine Lucke nach Apollonius Fenſter
ſehn; er wollte das Auslöſchen des Lichtes hier erwar¬
ten. Der Schieferdecker verrichtet oft Zimmermanns¬
arbeit, er führt daher auch ein kleines Zimmerbeil un¬
ter ſeinem Werkzeuge. Ein ſolches hatte auf der Bank
gelegen; es war herabgefallen, als er ſich geſetzt. Er
hob es auf und behielt es abſichtslos in ſeinen Hän¬
den. Denn ſeine Gedanken waren mit ihm in der
Kammer; er ſaß am Bette der Frau und ängſtigte ſie
mit Drohungen. Der Aerger über das Zögern Apol¬
lonius machte ſich darin Luft, das ihn hinderte, ſich im
Trunk Betäubung zu ſuchen. Er hat ſeine Hand auf
das Bette der Frau geſtützt und fühlt an den Bewe¬
gungen der Decke das Zittern ihrer Glieder. Er fühlt
ſich in ihre Angſt hinein, er fühlt, wie er ſelbſt Apol¬
lonius zu ihrem einzigen Gedanken macht. Er fühlt,
wie ſie morgen ihm entgegenſtürzen muß, wenn er von
der Arbeit heimkommt. Und wären ſie nicht ſeine Teu¬
fel, wären ſie Engel, es müßte morgen kommen, was
er verhüten will. Wenn ſie ihn mit der Glut der
Angſt umfaßt, das ſchöne, fluchvoll ſchöne Weib, er
müßte nicht Blut in ſeinen Adern haben — und hätt'
er nie den Gedanken gehabt, mit dem er doch einſchläft
und aufwacht Tag für Tag, er müßte jetzt den Ge¬
danken denken. Es muß kommen, wovor die bloße
Furcht Fritz Nettenmair zu dem elendeſten der Menſchen
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/192>, abgerufen am 04.12.2024.
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