die Leute aufschrein vor Schrecken, die eben noch so gleichgültig aus den Fenstern sehn oder über die Straße gehn. Dann zählte er immer fieberhaftiger, der kalte Schweiß rann ihm über die Stirn; und die Breter brachen nicht, das Tau riß nicht, die Leute schrien nicht auf vor Schrecken. Und immer wilder lachte er vor sich hin, wenn er nach langem Warten müde und ver¬ zweifelt weiter ging: Wär's nur mein Unglück, könnt er mich nur noch elender damit machen, als er mich schon gemacht hat, er wäre längst schon todt. Nur, weil mich sein Leben elend macht, lebt er noch. Er will nicht eher sterben, bis er mich ganz elend ge¬ macht hat!
Die Furcht ließ ihn nicht los, sie preßte ihn immer erstickender. Trug er sie spät in der Nacht heim, dann machte der ruhige Schlaf seiner Frau ihn wüthend. Die schlief ruhig, die ihn nicht schlafen ließ! Er setzte sich an ihr Bett und rüttelte sie auf und erzählte ihr leise in's Ohr, was er an ihrem Liebsten thun will. Es waren grausige Dinge. Wenn die Glieder ihr flogen vor Angst und Entsetzen, dann lachte er zufrie¬ den auf, daß er doch Etwas hatte, sie aus der stum¬ men Verachtung zu scheuchen, womit sie sich gegen ihn gewappnet, und vergaß daran minutenlang seine Qual. Dann lachte er fast jovial; er hat ihr Angst machen wollen. Es ist nur einer von Fritz Nettenmair's neu¬ modischen Späßen. So weit haben sie ihn doch noch
die Leute aufſchrein vor Schrecken, die eben noch ſo gleichgültig aus den Fenſtern ſehn oder über die Straße gehn. Dann zählte er immer fieberhaftiger, der kalte Schweiß rann ihm über die Stirn; und die Breter brachen nicht, das Tau riß nicht, die Leute ſchrien nicht auf vor Schrecken. Und immer wilder lachte er vor ſich hin, wenn er nach langem Warten müde und ver¬ zweifelt weiter ging: Wär's nur mein Unglück, könnt er mich nur noch elender damit machen, als er mich ſchon gemacht hat, er wäre längſt ſchon todt. Nur, weil mich ſein Leben elend macht, lebt er noch. Er will nicht eher ſterben, bis er mich ganz elend ge¬ macht hat!
Die Furcht ließ ihn nicht los, ſie preßte ihn immer erſtickender. Trug er ſie ſpät in der Nacht heim, dann machte der ruhige Schlaf ſeiner Frau ihn wüthend. Die ſchlief ruhig, die ihn nicht ſchlafen ließ! Er ſetzte ſich an ihr Bett und rüttelte ſie auf und erzählte ihr leiſe in's Ohr, was er an ihrem Liebſten thun will. Es waren grauſige Dinge. Wenn die Glieder ihr flogen vor Angſt und Entſetzen, dann lachte er zufrie¬ den auf, daß er doch Etwas hatte, ſie aus der ſtum¬ men Verachtung zu ſcheuchen, womit ſie ſich gegen ihn gewappnet, und vergaß daran minutenlang ſeine Qual. Dann lachte er faſt jovial; er hat ihr Angſt machen wollen. Es iſt nur einer von Fritz Nettenmair's neu¬ modiſchen Späßen. So weit haben ſie ihn doch noch
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die Leute aufſchrein vor Schrecken, die eben noch ſo
gleichgültig aus den Fenſtern ſehn oder über die Straße
gehn. Dann zählte er immer fieberhaftiger, der kalte
Schweiß rann ihm über die Stirn; und die Breter
brachen nicht, das Tau riß nicht, die Leute ſchrien nicht
auf vor Schrecken. Und immer wilder lachte er vor
ſich hin, wenn er nach langem Warten müde und ver¬
zweifelt weiter ging: Wär's nur mein Unglück, könnt
er mich nur noch elender damit machen, als er mich
ſchon gemacht hat, er wäre längſt ſchon todt. Nur,
weil mich ſein Leben elend macht, lebt er noch. Er
will nicht eher ſterben, bis er mich ganz elend ge¬
macht hat!
Die Furcht ließ ihn nicht los, ſie preßte ihn immer
erſtickender. Trug er ſie ſpät in der Nacht heim, dann
machte der ruhige Schlaf ſeiner Frau ihn wüthend.
Die ſchlief ruhig, die ihn nicht ſchlafen ließ! Er ſetzte
ſich an ihr Bett und rüttelte ſie auf und erzählte ihr
leiſe in's Ohr, was er an ihrem Liebſten thun will.
Es waren grauſige Dinge. Wenn die Glieder ihr
flogen vor Angſt und Entſetzen, dann lachte er zufrie¬
den auf, daß er doch Etwas hatte, ſie aus der ſtum¬
men Verachtung zu ſcheuchen, womit ſie ſich gegen ihn
gewappnet, und vergaß daran minutenlang ſeine Qual.
Dann lachte er faſt jovial; er hat ihr Angſt machen
wollen. Es iſt nur einer von Fritz Nettenmair's neu¬
modiſchen Späßen. So weit haben ſie ihn doch noch
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/189>, abgerufen am 04.12.2024.
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