Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

als sie ihn zurückstieß. Je näher er drohen sah, was
kommen mußte, desto wilder wurde seine Liebe oder auch
sein Haß; denn beide waren in dem Gefühl beisam¬
men, das sie immer glühender ihm einflößte. Desto
gelehriger lernten seine Augen jeden kleinsten Reiz ihrer
Gestalt, desto schmerzender stach diese Schönheit durch
seine Augen in sein Herz. Diese verruchte Schönheit,
die die Ursache all' seines Elendes war. Diese fluch¬
volle Schönheit, um derentwillen der eigene Bruder
ihn aus Schuppen und Haus verdrängt und der Ver¬
achtung der Welt und des Weibes selbst preisgegeben.
Er fing an, über Gedanken zu brüten, wie er diese
Schönheit vernichten konnte, damit sie dem Buhlen ein
Eckel wurde, und dieser, um seinen Zweck betrogen, ihn
umsonst elend gemacht hatte. Und dachte er sich das
ausgeführt, dann lachte er in so wilder Schadenfreude
auf, daß seine starknervigen Trinkkameraden erschracken,
und die Leute, die ihm begegneten, unwillkürlich inne
hielten in ihrem Gang. Und doch war der Gedanke
nur ein Vorläufer eines noch schlimmeren. Dazwischen
fiel ihm dann der Frohnweißblick ein. Dann wurde
sein Traum nach der wilden That zur Wirklichkeit.
Dann stand er stundenlang bald da, bald dort, wo man
Apollonius auf dem Kirchendache arbeiten sah, und
blickte hinauf und wartete und zählte. Jetzt müssen die
Breter unter dem Hämmernden brechen, jetzt muß das
Tau reißen, daran der Dachstuhl hängt. Jetzt müssen

12*

als ſie ihn zurückſtieß. Je näher er drohen ſah, was
kommen mußte, deſto wilder wurde ſeine Liebe oder auch
ſein Haß; denn beide waren in dem Gefühl beiſam¬
men, das ſie immer glühender ihm einflößte. Deſto
gelehriger lernten ſeine Augen jeden kleinſten Reiz ihrer
Geſtalt, deſto ſchmerzender ſtach dieſe Schönheit durch
ſeine Augen in ſein Herz. Dieſe verruchte Schönheit,
die die Urſache all' ſeines Elendes war. Dieſe fluch¬
volle Schönheit, um derentwillen der eigene Bruder
ihn aus Schuppen und Haus verdrängt und der Ver¬
achtung der Welt und des Weibes ſelbſt preisgegeben.
Er fing an, über Gedanken zu brüten, wie er dieſe
Schönheit vernichten konnte, damit ſie dem Buhlen ein
Eckel wurde, und dieſer, um ſeinen Zweck betrogen, ihn
umſonſt elend gemacht hatte. Und dachte er ſich das
ausgeführt, dann lachte er in ſo wilder Schadenfreude
auf, daß ſeine ſtarknervigen Trinkkameraden erſchracken,
und die Leute, die ihm begegneten, unwillkürlich inne
hielten in ihrem Gang. Und doch war der Gedanke
nur ein Vorläufer eines noch ſchlimmeren. Dazwiſchen
fiel ihm dann der Frohnweißblick ein. Dann wurde
ſein Traum nach der wilden That zur Wirklichkeit.
Dann ſtand er ſtundenlang bald da, bald dort, wo man
Apollonius auf dem Kirchendache arbeiten ſah, und
blickte hinauf und wartete und zählte. Jetzt müſſen die
Breter unter dem Hämmernden brechen, jetzt muß das
Tau reißen, daran der Dachſtuhl hängt. Jetzt müſſen

12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="179"/>
als &#x017F;ie ihn zurück&#x017F;tieß. Je näher er drohen &#x017F;ah, was<lb/>
kommen mußte, de&#x017F;to wilder wurde &#x017F;eine Liebe oder auch<lb/>
&#x017F;ein Haß; denn beide waren in dem Gefühl bei&#x017F;am¬<lb/>
men, das &#x017F;ie immer glühender ihm einflößte. De&#x017F;to<lb/>
gelehriger lernten &#x017F;eine Augen jeden klein&#x017F;ten Reiz ihrer<lb/>
Ge&#x017F;talt, de&#x017F;to &#x017F;chmerzender &#x017F;tach die&#x017F;e Schönheit durch<lb/>
&#x017F;eine Augen in &#x017F;ein Herz. Die&#x017F;e verruchte Schönheit,<lb/>
die die Ur&#x017F;ache all' &#x017F;eines Elendes war. Die&#x017F;e fluch¬<lb/>
volle Schönheit, um derentwillen der eigene Bruder<lb/>
ihn aus Schuppen und Haus verdrängt und der Ver¬<lb/>
achtung der Welt und des Weibes &#x017F;elb&#x017F;t preisgegeben.<lb/>
Er fing an, über Gedanken zu brüten, wie er die&#x017F;e<lb/>
Schönheit vernichten konnte, damit &#x017F;ie dem Buhlen ein<lb/>
Eckel wurde, und die&#x017F;er, um &#x017F;einen Zweck betrogen, ihn<lb/>
um&#x017F;on&#x017F;t elend gemacht hatte. Und dachte er &#x017F;ich das<lb/>
ausgeführt, dann lachte er in &#x017F;o wilder Schadenfreude<lb/>
auf, daß &#x017F;eine &#x017F;tarknervigen Trinkkameraden er&#x017F;chracken,<lb/>
und die Leute, die ihm begegneten, unwillkürlich inne<lb/>
hielten in ihrem Gang. Und doch war der Gedanke<lb/>
nur ein Vorläufer eines noch &#x017F;chlimmeren. Dazwi&#x017F;chen<lb/>
fiel ihm dann der Frohnweißblick ein. Dann wurde<lb/>
&#x017F;ein Traum nach der wilden That zur Wirklichkeit.<lb/>
Dann &#x017F;tand er &#x017F;tundenlang bald da, bald dort, wo man<lb/>
Apollonius auf dem Kirchendache arbeiten &#x017F;ah, und<lb/>
blickte hinauf und wartete und zählte. Jetzt mü&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
Breter unter dem Hämmernden brechen, jetzt muß das<lb/>
Tau reißen, daran der Dach&#x017F;tuhl hängt. Jetzt mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0188] als ſie ihn zurückſtieß. Je näher er drohen ſah, was kommen mußte, deſto wilder wurde ſeine Liebe oder auch ſein Haß; denn beide waren in dem Gefühl beiſam¬ men, das ſie immer glühender ihm einflößte. Deſto gelehriger lernten ſeine Augen jeden kleinſten Reiz ihrer Geſtalt, deſto ſchmerzender ſtach dieſe Schönheit durch ſeine Augen in ſein Herz. Dieſe verruchte Schönheit, die die Urſache all' ſeines Elendes war. Dieſe fluch¬ volle Schönheit, um derentwillen der eigene Bruder ihn aus Schuppen und Haus verdrängt und der Ver¬ achtung der Welt und des Weibes ſelbſt preisgegeben. Er fing an, über Gedanken zu brüten, wie er dieſe Schönheit vernichten konnte, damit ſie dem Buhlen ein Eckel wurde, und dieſer, um ſeinen Zweck betrogen, ihn umſonſt elend gemacht hatte. Und dachte er ſich das ausgeführt, dann lachte er in ſo wilder Schadenfreude auf, daß ſeine ſtarknervigen Trinkkameraden erſchracken, und die Leute, die ihm begegneten, unwillkürlich inne hielten in ihrem Gang. Und doch war der Gedanke nur ein Vorläufer eines noch ſchlimmeren. Dazwiſchen fiel ihm dann der Frohnweißblick ein. Dann wurde ſein Traum nach der wilden That zur Wirklichkeit. Dann ſtand er ſtundenlang bald da, bald dort, wo man Apollonius auf dem Kirchendache arbeiten ſah, und blickte hinauf und wartete und zählte. Jetzt müſſen die Breter unter dem Hämmernden brechen, jetzt muß das Tau reißen, daran der Dachſtuhl hängt. Jetzt müſſen 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/188
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/188>, abgerufen am 12.12.2024.