Worte gesehnt; heute hörte sie es nicht. "Gib mir deine Hand, Christiane," sagte er. Sie zog ihre Hand krampf¬ haft zurück, als hätte er sie schon berührt. "Ich habe mich geirrt," fuhr er fort; ich will's euch ja glauben, ich seh' es ein; ich will's nicht wieder! Ihr seid besser als ich." ""Das Kind ist todt,"" sagte sie und selbst ihre Stimme klang bleich. "Laß' mich in dieser schrecklichen Angst nicht ohne Trost. Kann ich anders werden, so kann ich's nur jetzt, und wenn du mir die Hand gibst, und richtest mich auf," sagte der Mann. Sie sah auf das Kind, nicht auf ihn. ""Das Kind ist todt,"" wieder¬ holte sie. Hieß das, es war ihr gleichgültig, was mit ihm werden sollte, da seine Besserung das Kind nicht mehr rettete? Oder hatte sie ihn vergessen und sprach mit sich selbst? Der Mann richtete sich halb auf; er faßte ihre Hand mit angstvoller Gewalt und hielt sie fest. "Christiane," schluchzte er wild, "da lieg ich wie ein Wurm. Tritt mich nicht! Tretet mich nicht! Um Gotteswillen, erbarme dich! Ich könnt's nicht ver¬ gessen, hätt ich vergebens gelegen wie ein Wurm. Denk daran! Um Gotteswillen denk daran! Du hast mich jetzt in deiner Hand. Du kannst aus mir machen, was du willst. Ich mach' dich verantwortlich. Du bist Schuld an Allem, was noch werden kann." -- Endlich war es ihr gelungen, ihre Hand ihm zu ent¬ reißen; sie hielt sie weit von sich, als ekelte ihr davor, weil er die Hand berührt. ""Das Kind ist todt,"" sagte
Worte geſehnt; heute hörte ſie es nicht. „Gib mir deine Hand, Chriſtiane,“ ſagte er. Sie zog ihre Hand krampf¬ haft zurück, als hätte er ſie ſchon berührt. „Ich habe mich geirrt,“ fuhr er fort; ich will's euch ja glauben, ich ſeh' es ein; ich will's nicht wieder! Ihr ſeid beſſer als ich.“ „„Das Kind iſt todt,““ ſagte ſie und ſelbſt ihre Stimme klang bleich. „Laß' mich in dieſer ſchrecklichen Angſt nicht ohne Troſt. Kann ich anders werden, ſo kann ich's nur jetzt, und wenn du mir die Hand gibſt, und richteſt mich auf,“ ſagte der Mann. Sie ſah auf das Kind, nicht auf ihn. „„Das Kind iſt todt,““ wieder¬ holte ſie. Hieß das, es war ihr gleichgültig, was mit ihm werden ſollte, da ſeine Beſſerung das Kind nicht mehr rettete? Oder hatte ſie ihn vergeſſen und ſprach mit ſich ſelbſt? Der Mann richtete ſich halb auf; er faßte ihre Hand mit angſtvoller Gewalt und hielt ſie feſt. „Chriſtiane,“ ſchluchzte er wild, „da lieg ich wie ein Wurm. Tritt mich nicht! Tretet mich nicht! Um Gotteswillen, erbarme dich! Ich könnt's nicht ver¬ geſſen, hätt ich vergebens gelegen wie ein Wurm. Denk daran! Um Gotteswillen denk daran! Du haſt mich jetzt in deiner Hand. Du kannſt aus mir machen, was du willſt. Ich mach' dich verantwortlich. Du biſt Schuld an Allem, was noch werden kann.“ — Endlich war es ihr gelungen, ihre Hand ihm zu ent¬ reißen; ſie hielt ſie weit von ſich, als ekelte ihr davor, weil er die Hand berührt. „„Das Kind iſt todt,““ ſagte
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Worte geſehnt; heute hörte ſie es nicht. „Gib mir deine
Hand, Chriſtiane,“ ſagte er. Sie zog ihre Hand krampf¬
haft zurück, als hätte er ſie ſchon berührt. „Ich habe
mich geirrt,“ fuhr er fort; ich will's euch ja glauben,
ich ſeh' es ein; ich will's nicht wieder! Ihr ſeid beſſer
als ich.“ „„Das Kind iſt todt,““ ſagte ſie und ſelbſt ihre
Stimme klang bleich. „Laß' mich in dieſer ſchrecklichen
Angſt nicht ohne Troſt. Kann ich anders werden, ſo
kann ich's nur jetzt, und wenn du mir die Hand gibſt,
und richteſt mich auf,“ ſagte der Mann. Sie ſah auf
das Kind, nicht auf ihn. „„Das Kind iſt todt,““ wieder¬
holte ſie. Hieß das, es war ihr gleichgültig, was mit
ihm werden ſollte, da ſeine Beſſerung das Kind nicht
mehr rettete? Oder hatte ſie ihn vergeſſen und ſprach
mit ſich ſelbſt? Der Mann richtete ſich halb auf; er
faßte ihre Hand mit angſtvoller Gewalt und hielt ſie
feſt. „Chriſtiane,“ ſchluchzte er wild, „da lieg ich wie ein
Wurm. Tritt mich nicht! Tretet mich nicht! Um
Gotteswillen, erbarme dich! Ich könnt's nicht ver¬
geſſen, hätt ich vergebens gelegen wie ein Wurm.
Denk daran! Um Gotteswillen denk daran! Du
haſt mich jetzt in deiner Hand. Du kannſt aus mir
machen, was du willſt. Ich mach' dich verantwortlich.
Du biſt Schuld an Allem, was noch werden kann.“ —
Endlich war es ihr gelungen, ihre Hand ihm zu ent¬
reißen; ſie hielt ſie weit von ſich, als ekelte ihr davor,
weil er die Hand berührt. „„Das Kind iſt todt,““ ſagte
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/182>, abgerufen am 05.12.2024.
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