wo er sonst immer gesessen, und als wie ein Anderer, denn jetzt! Die Frau hörte seinen leisen Tritt; sein Antlitz konnte sie nicht sehn. Ihr schien, er wußte um Aennchen's Zustand und ging deshalb so leise. Sie sah Aennchen mit einem Blicke an, der sagte, was sie jetzt thun wollte, that sie nur um ihr krankes Kind; ein Blick nach der Thür, aus der er gegangen war, setzte hinzu: und weil er's gesagt. "Da ist der Vater, Aennchen," sagte sie dann; sie redete eigentlich mit dem Gatten, der am Fenster saß; aber sie konnte ihm ihr Gesicht nicht zuwenden, ihre Rede nicht unmittelbar an ihn richten. "Du hast immer nach ihm gefragt. Du hast gemeint, wenn er kommt, wird er sein, wie er sonst war, eh' du krank geworden bist. Deine Mutter will's auch -- um deinetwillen." Ihre Stimme klang so tief aus der Brust herauf, daß der Mann seinen Groll mit Gewalt festhalten mußte. Er dachte: "sie thut so süß, um dich zu hintergehn. Sie haben's verabredet, als er da war." Und der Groll schwoll nur noch grimmiger an den weichen Klängen, mit denen sie fort¬ fuhr: "Und du gehst noch nicht in den Himmel. Nicht, Aennchen? Du bist ja so ein gut' lieb' Kind und bleibst noch bei Vater und Mutter. Wenn nur -- du hast kein Herz vor dem Vater, du dumm' lieb' Aenn¬ chen, weil er laut spricht. Er meint's nicht bös des¬ halb." Sie hielt inne; sie erwartete die Antwort von dem Vater, nicht von dem Kinde. Sie erwartete, er
wo er ſonſt immer geſeſſen, und als wie ein Anderer, denn jetzt! Die Frau hörte ſeinen leiſen Tritt; ſein Antlitz konnte ſie nicht ſehn. Ihr ſchien, er wußte um Aennchen's Zuſtand und ging deshalb ſo leiſe. Sie ſah Aennchen mit einem Blicke an, der ſagte, was ſie jetzt thun wollte, that ſie nur um ihr krankes Kind; ein Blick nach der Thür, aus der er gegangen war, ſetzte hinzu: und weil er's geſagt. „Da iſt der Vater, Aennchen,“ ſagte ſie dann; ſie redete eigentlich mit dem Gatten, der am Fenſter ſaß; aber ſie konnte ihm ihr Geſicht nicht zuwenden, ihre Rede nicht unmittelbar an ihn richten. „Du haſt immer nach ihm gefragt. Du haſt gemeint, wenn er kommt, wird er ſein, wie er ſonſt war, eh' du krank geworden biſt. Deine Mutter will's auch — um deinetwillen.“ Ihre Stimme klang ſo tief aus der Bruſt herauf, daß der Mann ſeinen Groll mit Gewalt feſthalten mußte. Er dachte: „ſie thut ſo ſüß, um dich zu hintergehn. Sie haben's verabredet, als er da war.“ Und der Groll ſchwoll nur noch grimmiger an den weichen Klängen, mit denen ſie fort¬ fuhr: „Und du gehſt noch nicht in den Himmel. Nicht, Aennchen? Du biſt ja ſo ein gut' lieb' Kind und bleibſt noch bei Vater und Mutter. Wenn nur — du haſt kein Herz vor dem Vater, du dumm' lieb' Aenn¬ chen, weil er laut ſpricht. Er meint's nicht bös des¬ halb.“ Sie hielt inne; ſie erwartete die Antwort von dem Vater, nicht von dem Kinde. Sie erwartete, er
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wo er ſonſt immer geſeſſen, und als wie ein Anderer,
denn jetzt! Die Frau hörte ſeinen leiſen Tritt; ſein
Antlitz konnte ſie nicht ſehn. Ihr ſchien, er wußte um
Aennchen's Zuſtand und ging deshalb ſo leiſe. Sie
ſah Aennchen mit einem Blicke an, der ſagte, was ſie
jetzt thun wollte, that ſie nur um ihr krankes Kind;
ein Blick nach der Thür, aus der er gegangen war,
ſetzte hinzu: und weil er's geſagt. „Da iſt der Vater,
Aennchen,“ ſagte ſie dann; ſie redete eigentlich mit dem
Gatten, der am Fenſter ſaß; aber ſie konnte ihm ihr
Geſicht nicht zuwenden, ihre Rede nicht unmittelbar an
ihn richten. „Du haſt immer nach ihm gefragt. Du
haſt gemeint, wenn er kommt, wird er ſein, wie er ſonſt
war, eh' du krank geworden biſt. Deine Mutter will's
auch — um deinetwillen.“ Ihre Stimme klang ſo tief
aus der Bruſt herauf, daß der Mann ſeinen Groll
mit Gewalt feſthalten mußte. Er dachte: „ſie thut ſo
ſüß, um dich zu hintergehn. Sie haben's verabredet,
als er da war.“ Und der Groll ſchwoll nur noch
grimmiger an den weichen Klängen, mit denen ſie fort¬
fuhr: „Und du gehſt noch nicht in den Himmel. Nicht,
Aennchen? Du biſt ja ſo ein gut' lieb' Kind und
bleibſt noch bei Vater und Mutter. Wenn nur — du
haſt kein Herz vor dem Vater, du dumm' lieb' Aenn¬
chen, weil er laut ſpricht. Er meint's nicht bös des¬
halb.“ Sie hielt inne; ſie erwartete die Antwort von
dem Vater, nicht von dem Kinde. Sie erwartete, er
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/171>, abgerufen am 04.12.2024.
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