vergeblich. Ihr ist's, als müßte jene wiederkehren und dieser gehn, wenn sie sich nur recht angestrengt mühte, dieses Kehren und Gehn zu bemerken. Und dabei kann sie doch noch daran denken, wie plötzlich das gekommen ist, was sie so sehr beängstigt. Wie das Aennchen auf einmal im Bette neben ihrem wie mit fremder Stimme aufgeschrien, dann nicht mehr hat sprechen können; wie sie aufgesprungen und sich angekleidet; wie sie in der Angst den Valentin, und dieser, ohne ihr Wissen, den Apollonius geweckt. Daß der alte Gesell alle Schlüssel im Hause probirt, bis sich ergab, der Schuppenschlüssel schließe die Hinterthür; das wußte sie nicht. Desto lebendiger stand's vor ihr, wie Apollonius hereingetreten, wie ihr bei seinem unerwarteten Kommen gewesen, wie sie voll Schreck und Scham und doch voll wunderbarer Be¬ ruhigung sich gefühlt. Apollonius hatte sogleich den Arzt, und sodann Arzneien geholt. Er hatte an dem Bettchen gestanden und sich über das Aennchen gebeugt, wie jetzt sie that. Er hatte sie voll Schmerz angesehn und gesagt, Aennchen's Krankheit komme von dem ehe¬ lichen Zerwürfniß, und es werde nicht gesund, höre dieß nicht auf. Er hatte von den Wundern erzählt, die einer Mutter möglich würden, und wie sich der Mensch bezwingen könne und müsse. Dann hatte er dem Va¬ lentin noch Manches des Aennchen's wegen anbefohlen; und war gegangen aus Sorge, der Bruder könnte sonst in seinem Irrwahn glauben, er wolle ihn auch von dem
vergeblich. Ihr iſt's, als müßte jene wiederkehren und dieſer gehn, wenn ſie ſich nur recht angeſtrengt mühte, dieſes Kehren und Gehn zu bemerken. Und dabei kann ſie doch noch daran denken, wie plötzlich das gekommen iſt, was ſie ſo ſehr beängſtigt. Wie das Aennchen auf einmal im Bette neben ihrem wie mit fremder Stimme aufgeſchrien, dann nicht mehr hat ſprechen können; wie ſie aufgeſprungen und ſich angekleidet; wie ſie in der Angſt den Valentin, und dieſer, ohne ihr Wiſſen, den Apollonius geweckt. Daß der alte Geſell alle Schlüſſel im Hauſe probirt, bis ſich ergab, der Schuppenſchlüſſel ſchließe die Hinterthür; das wußte ſie nicht. Deſto lebendiger ſtand's vor ihr, wie Apollonius hereingetreten, wie ihr bei ſeinem unerwarteten Kommen geweſen, wie ſie voll Schreck und Scham und doch voll wunderbarer Be¬ ruhigung ſich gefühlt. Apollonius hatte ſogleich den Arzt, und ſodann Arzneien geholt. Er hatte an dem Bettchen geſtanden und ſich über das Aennchen gebeugt, wie jetzt ſie that. Er hatte ſie voll Schmerz angeſehn und geſagt, Aennchen's Krankheit komme von dem ehe¬ lichen Zerwürfniß, und es werde nicht geſund, höre dieß nicht auf. Er hatte von den Wundern erzählt, die einer Mutter möglich würden, und wie ſich der Menſch bezwingen könne und müſſe. Dann hatte er dem Va¬ lentin noch Manches des Aennchen's wegen anbefohlen; und war gegangen aus Sorge, der Bruder könnte ſonſt in ſeinem Irrwahn glauben, er wolle ihn auch von dem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0169"n="160"/>
vergeblich. Ihr iſt's, als müßte jene wiederkehren und<lb/>
dieſer gehn, wenn ſie ſich nur recht angeſtrengt mühte,<lb/>
dieſes Kehren und Gehn zu bemerken. Und dabei kann<lb/>ſie doch noch daran denken, wie plötzlich das gekommen<lb/>
iſt, was ſie ſo ſehr beängſtigt. Wie das Aennchen auf<lb/>
einmal im Bette neben ihrem wie mit fremder Stimme<lb/>
aufgeſchrien, dann nicht mehr hat ſprechen können; wie ſie<lb/>
aufgeſprungen und ſich angekleidet; wie ſie in der Angſt<lb/>
den Valentin, und dieſer, ohne ihr Wiſſen, den Apollonius<lb/>
geweckt. Daß der alte Geſell alle Schlüſſel im Hauſe<lb/>
probirt, bis ſich ergab, der Schuppenſchlüſſel ſchließe die<lb/>
Hinterthür; das wußte ſie nicht. Deſto lebendiger ſtand's<lb/>
vor ihr, wie Apollonius hereingetreten, wie ihr bei<lb/>ſeinem unerwarteten Kommen geweſen, wie ſie voll<lb/>
Schreck und Scham und doch voll wunderbarer Be¬<lb/>
ruhigung ſich gefühlt. Apollonius hatte ſogleich den<lb/>
Arzt, und ſodann Arzneien geholt. Er hatte an dem<lb/>
Bettchen geſtanden und ſich über das Aennchen gebeugt,<lb/>
wie jetzt ſie that. Er hatte ſie voll Schmerz angeſehn<lb/>
und geſagt, Aennchen's Krankheit komme von dem ehe¬<lb/>
lichen Zerwürfniß, und es werde nicht geſund, höre dieß<lb/>
nicht auf. Er hatte von den Wundern erzählt, die<lb/>
einer Mutter möglich würden, und wie ſich der Menſch<lb/>
bezwingen könne und müſſe. Dann hatte er dem Va¬<lb/>
lentin noch Manches des Aennchen's wegen anbefohlen;<lb/>
und war gegangen aus Sorge, der Bruder könnte ſonſt<lb/>
in ſeinem Irrwahn glauben, er wolle ihn auch von dem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[160/0169]
vergeblich. Ihr iſt's, als müßte jene wiederkehren und
dieſer gehn, wenn ſie ſich nur recht angeſtrengt mühte,
dieſes Kehren und Gehn zu bemerken. Und dabei kann
ſie doch noch daran denken, wie plötzlich das gekommen
iſt, was ſie ſo ſehr beängſtigt. Wie das Aennchen auf
einmal im Bette neben ihrem wie mit fremder Stimme
aufgeſchrien, dann nicht mehr hat ſprechen können; wie ſie
aufgeſprungen und ſich angekleidet; wie ſie in der Angſt
den Valentin, und dieſer, ohne ihr Wiſſen, den Apollonius
geweckt. Daß der alte Geſell alle Schlüſſel im Hauſe
probirt, bis ſich ergab, der Schuppenſchlüſſel ſchließe die
Hinterthür; das wußte ſie nicht. Deſto lebendiger ſtand's
vor ihr, wie Apollonius hereingetreten, wie ihr bei
ſeinem unerwarteten Kommen geweſen, wie ſie voll
Schreck und Scham und doch voll wunderbarer Be¬
ruhigung ſich gefühlt. Apollonius hatte ſogleich den
Arzt, und ſodann Arzneien geholt. Er hatte an dem
Bettchen geſtanden und ſich über das Aennchen gebeugt,
wie jetzt ſie that. Er hatte ſie voll Schmerz angeſehn
und geſagt, Aennchen's Krankheit komme von dem ehe¬
lichen Zerwürfniß, und es werde nicht geſund, höre dieß
nicht auf. Er hatte von den Wundern erzählt, die
einer Mutter möglich würden, und wie ſich der Menſch
bezwingen könne und müſſe. Dann hatte er dem Va¬
lentin noch Manches des Aennchen's wegen anbefohlen;
und war gegangen aus Sorge, der Bruder könnte ſonſt
in ſeinem Irrwahn glauben, er wolle ihn auch von dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/169>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.