Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

den Bruder haßt er. Er haßt und weiß sich gehaßt
oder glaubt sich gehaßt in seinem Wahn. Das kleine
Aennchen würde sich an ihn drängen mit aller Kraft
eines liebebedürftigen Kinderherzens, aber er scheucht
das Kind mit Haß von sich; sie ist ihm "der Spion."
Nur an Einem Menschen noch hängt sein Herz, an dem,
der es am wenigsten um ihn verdient. Er kennt ihn
und weiß, der Mensch hat ihn betrogen, hat geholfen,
ihn zu Grunde zu richten, und dennoch hängt er an ihm.
Der Mensch haßt Apollonius, er ist der Einzige außer
ihm, der Apollonius haßt, und deßhalb hängt Apollonius
Bruder an ihm!

Fritz Nettenmair begleitete den Gesellen eine Strecke
Wegs. Der Geselle will schneller ausschreiten und
dankt darum für weitere Begleitung. Wenn Andere
scheiden, ist ihr letztes Gespräch von dem, was sie ge¬
meinsam lieben; das letzte Gespräch Fritz Nettenmair's
und des Gesellen ist von ihrem Haß. Der Geselle
weiß, Apollonius hätte ihn gern in's Zuchthaus ge¬
bracht, wenn er gekonnt. Wie sie nun einander scheidend
gegenüber stehn, mißt der Geselle den Andern mit seinem
Blick. Es war ein böser, lauernder Blick, ein grimmig
verstohlener Blick, welcher Fritz Nettenmair fragte, ohne
daß der es hören sollte, ob er auch reif sei zu irgend
etwas, was er nicht aussprach. Dann sagte er mit
einer heisern Stimme, die einem andern aufgefallen
wäre, aber Fritz Nettenmair war die Stimme gewohnt:

den Bruder haßt er. Er haßt und weiß ſich gehaßt
oder glaubt ſich gehaßt in ſeinem Wahn. Das kleine
Aennchen würde ſich an ihn drängen mit aller Kraft
eines liebebedürftigen Kinderherzens, aber er ſcheucht
das Kind mit Haß von ſich; ſie iſt ihm „der Spion.“
Nur an Einem Menſchen noch hängt ſein Herz, an dem,
der es am wenigſten um ihn verdient. Er kennt ihn
und weiß, der Menſch hat ihn betrogen, hat geholfen,
ihn zu Grunde zu richten, und dennoch hängt er an ihm.
Der Menſch haßt Apollonius, er iſt der Einzige außer
ihm, der Apollonius haßt, und deßhalb hängt Apollonius
Bruder an ihm!

Fritz Nettenmair begleitete den Geſellen eine Strecke
Wegs. Der Geſelle will ſchneller ausſchreiten und
dankt darum für weitere Begleitung. Wenn Andere
ſcheiden, iſt ihr letztes Geſpräch von dem, was ſie ge¬
meinſam lieben; das letzte Geſpräch Fritz Nettenmair's
und des Geſellen iſt von ihrem Haß. Der Geſelle
weiß, Apollonius hätte ihn gern in's Zuchthaus ge¬
bracht, wenn er gekonnt. Wie ſie nun einander ſcheidend
gegenüber ſtehn, mißt der Geſelle den Andern mit ſeinem
Blick. Es war ein böſer, lauernder Blick, ein grimmig
verſtohlener Blick, welcher Fritz Nettenmair fragte, ohne
daß der es hören ſollte, ob er auch reif ſei zu irgend
etwas, was er nicht ausſprach. Dann ſagte er mit
einer heiſern Stimme, die einem andern aufgefallen
wäre, aber Fritz Nettenmair war die Stimme gewohnt:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="155"/>
den Bruder haßt er. Er haßt und weiß &#x017F;ich gehaßt<lb/>
oder glaubt &#x017F;ich gehaßt in &#x017F;einem Wahn. Das kleine<lb/>
Aennchen würde &#x017F;ich an ihn drängen mit aller Kraft<lb/>
eines liebebedürftigen Kinderherzens, aber er &#x017F;cheucht<lb/>
das Kind mit Haß von &#x017F;ich; &#x017F;ie i&#x017F;t ihm &#x201E;der Spion.&#x201C;<lb/>
Nur an Einem Men&#x017F;chen noch hängt &#x017F;ein Herz, an dem,<lb/>
der es am wenig&#x017F;ten um ihn verdient. Er kennt ihn<lb/>
und weiß, der Men&#x017F;ch hat ihn betrogen, hat geholfen,<lb/>
ihn zu Grunde zu richten, und dennoch hängt er an ihm.<lb/>
Der Men&#x017F;ch haßt Apollonius, er i&#x017F;t der Einzige außer<lb/>
ihm, der Apollonius haßt, und deßhalb hängt Apollonius<lb/>
Bruder an ihm!</p><lb/>
        <p>Fritz Nettenmair begleitete den Ge&#x017F;ellen eine Strecke<lb/>
Wegs. Der Ge&#x017F;elle will &#x017F;chneller aus&#x017F;chreiten und<lb/>
dankt darum für weitere Begleitung. Wenn Andere<lb/>
&#x017F;cheiden, i&#x017F;t ihr letztes Ge&#x017F;präch von dem, was &#x017F;ie ge¬<lb/>
mein&#x017F;am lieben; das letzte Ge&#x017F;präch Fritz Nettenmair's<lb/>
und des Ge&#x017F;ellen i&#x017F;t von ihrem Haß. Der Ge&#x017F;elle<lb/>
weiß, Apollonius hätte ihn gern in's Zuchthaus ge¬<lb/>
bracht, wenn er gekonnt. Wie &#x017F;ie nun einander &#x017F;cheidend<lb/>
gegenüber &#x017F;tehn, mißt der Ge&#x017F;elle den Andern mit &#x017F;einem<lb/>
Blick. Es war ein bö&#x017F;er, lauernder Blick, ein grimmig<lb/>
ver&#x017F;tohlener Blick, welcher Fritz Nettenmair fragte, ohne<lb/>
daß der es hören &#x017F;ollte, ob er auch reif &#x017F;ei zu irgend<lb/>
etwas, was er nicht aus&#x017F;prach. Dann &#x017F;agte er mit<lb/>
einer hei&#x017F;ern Stimme, die einem andern aufgefallen<lb/>
wäre, aber Fritz Nettenmair war die Stimme gewohnt:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0164] den Bruder haßt er. Er haßt und weiß ſich gehaßt oder glaubt ſich gehaßt in ſeinem Wahn. Das kleine Aennchen würde ſich an ihn drängen mit aller Kraft eines liebebedürftigen Kinderherzens, aber er ſcheucht das Kind mit Haß von ſich; ſie iſt ihm „der Spion.“ Nur an Einem Menſchen noch hängt ſein Herz, an dem, der es am wenigſten um ihn verdient. Er kennt ihn und weiß, der Menſch hat ihn betrogen, hat geholfen, ihn zu Grunde zu richten, und dennoch hängt er an ihm. Der Menſch haßt Apollonius, er iſt der Einzige außer ihm, der Apollonius haßt, und deßhalb hängt Apollonius Bruder an ihm! Fritz Nettenmair begleitete den Geſellen eine Strecke Wegs. Der Geſelle will ſchneller ausſchreiten und dankt darum für weitere Begleitung. Wenn Andere ſcheiden, iſt ihr letztes Geſpräch von dem, was ſie ge¬ meinſam lieben; das letzte Geſpräch Fritz Nettenmair's und des Geſellen iſt von ihrem Haß. Der Geſelle weiß, Apollonius hätte ihn gern in's Zuchthaus ge¬ bracht, wenn er gekonnt. Wie ſie nun einander ſcheidend gegenüber ſtehn, mißt der Geſelle den Andern mit ſeinem Blick. Es war ein böſer, lauernder Blick, ein grimmig verſtohlener Blick, welcher Fritz Nettenmair fragte, ohne daß der es hören ſollte, ob er auch reif ſei zu irgend etwas, was er nicht ausſprach. Dann ſagte er mit einer heiſern Stimme, die einem andern aufgefallen wäre, aber Fritz Nettenmair war die Stimme gewohnt:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/164
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/164>, abgerufen am 05.12.2024.