und sieht ihr in die Augen mit einem Blick, vor dem die Reinheit erröthen muß, den nur die Verworfenheit lachend erträgt. Er nimmt das Erröthen für ein Ge¬ ständniß und lacht noch wilder. "Du willst sagen, ich bin noch schlechter als er. Hahaha! Du hast recht. Ich hab' solch eine geheirathet. Das hätt er nicht. Dazu ist er doch nicht schlecht genug!"
Jeder Tag, jede Nacht brachte solche Auftritte. Wußte Fritz Nettenmair den Bruder auswärts oder auf seiner Kammer und den alten Herrn im Gärtchen, dann ließ er seinen Zorn an Tischen und Stühlen aus. An der Frau selber sich zu vergreifen, wagte er noch nicht. Erst muß ihn die Wuth einmal über den Zau¬ berkreis hinwegreißen, den ihre Unschuld, die Hohheit stillen Duldens um sie zieht. Ist es einmal gescheh'n, dann hat der Zauber seine Macht verloren und er wird zuletzt aus bloßer Gewohnheit thun, wovor er jetzt noch zurückschreckt. Die Menschen wissen nicht, was sie thun, wenn sie sagen: "ich thu's ja nur dies einemal." Sie wissen nicht, welch' wohlthätigen Zauber sie zerstö¬ ren. Daß Einmal nie Einmal bleibt.
Der alte Valentin mußte doch nicht Wort gehalten haben oder es führte Apollonius ein Zufall an der Thür vorbei, als der Bruder ihn fern glaubte. Er hörte das Poltern, den wilden Zornesausbruch des Bruders, er hörte den reinen Klang von der Stimme der Frau dazwischen, noch in der Aufregung rein
und ſieht ihr in die Augen mit einem Blick, vor dem die Reinheit erröthen muß, den nur die Verworfenheit lachend erträgt. Er nimmt das Erröthen für ein Ge¬ ſtändniß und lacht noch wilder. „Du willſt ſagen, ich bin noch ſchlechter als er. Hahaha! Du haſt recht. Ich hab' ſolch eine geheirathet. Das hätt er nicht. Dazu iſt er doch nicht ſchlecht genug!“
Jeder Tag, jede Nacht brachte ſolche Auftritte. Wußte Fritz Nettenmair den Bruder auswärts oder auf ſeiner Kammer und den alten Herrn im Gärtchen, dann ließ er ſeinen Zorn an Tiſchen und Stühlen aus. An der Frau ſelber ſich zu vergreifen, wagte er noch nicht. Erſt muß ihn die Wuth einmal über den Zau¬ berkreis hinwegreißen, den ihre Unſchuld, die Hohheit ſtillen Duldens um ſie zieht. Iſt es einmal geſcheh'n, dann hat der Zauber ſeine Macht verloren und er wird zuletzt aus bloßer Gewohnheit thun, wovor er jetzt noch zurückſchreckt. Die Menſchen wiſſen nicht, was ſie thun, wenn ſie ſagen: „ich thu's ja nur dies einemal.“ Sie wiſſen nicht, welch' wohlthätigen Zauber ſie zerſtö¬ ren. Daß Einmal nie Einmal bleibt.
Der alte Valentin mußte doch nicht Wort gehalten haben oder es führte Apollonius ein Zufall an der Thür vorbei, als der Bruder ihn fern glaubte. Er hörte das Poltern, den wilden Zornesausbruch des Bruders, er hörte den reinen Klang von der Stimme der Frau dazwiſchen, noch in der Aufregung rein
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und ſieht ihr in die Augen mit einem Blick, vor dem
die Reinheit erröthen muß, den nur die Verworfenheit
lachend erträgt. Er nimmt das Erröthen für ein Ge¬
ſtändniß und lacht noch wilder. „Du willſt ſagen, ich
bin noch ſchlechter als er. Hahaha! Du haſt recht.
Ich hab' ſolch eine geheirathet. Das hätt er nicht.
Dazu iſt er doch nicht ſchlecht genug!“
Jeder Tag, jede Nacht brachte ſolche Auftritte.
Wußte Fritz Nettenmair den Bruder auswärts oder
auf ſeiner Kammer und den alten Herrn im Gärtchen,
dann ließ er ſeinen Zorn an Tiſchen und Stühlen aus.
An der Frau ſelber ſich zu vergreifen, wagte er noch
nicht. Erſt muß ihn die Wuth einmal über den Zau¬
berkreis hinwegreißen, den ihre Unſchuld, die Hohheit
ſtillen Duldens um ſie zieht. Iſt es einmal geſcheh'n,
dann hat der Zauber ſeine Macht verloren und er wird
zuletzt aus bloßer Gewohnheit thun, wovor er jetzt noch
zurückſchreckt. Die Menſchen wiſſen nicht, was ſie
thun, wenn ſie ſagen: „ich thu's ja nur dies einemal.“
Sie wiſſen nicht, welch' wohlthätigen Zauber ſie zerſtö¬
ren. Daß Einmal nie Einmal bleibt.
Der alte Valentin mußte doch nicht Wort gehalten
haben oder es führte Apollonius ein Zufall an der
Thür vorbei, als der Bruder ihn fern glaubte. Er
hörte das Poltern, den wilden Zornesausbruch des
Bruders, er hörte den reinen Klang von der Stimme
der Frau dazwiſchen, noch in der Aufregung rein
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/155>, abgerufen am 23.11.2024.
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