sah nicht das Flehen in des Kindes Blick, er sollte der Mutter gut sein, die Mutter sei auch gut. Er sah nicht, wie das häusliche Zerwürfniß auf dem Kinde lastete und es bleich gemacht; wie es den Zu¬ stand mit durchlitt, ohne ihn zu verstehn. Er sah nur, wie gespannt es horchte, um dem erzählen zu können, der es zum Horchen abgerichtet. Es wollte seine Knie umschlingen, sein Blick, seine gehobene Faust drängte es zurück. Die Mutter nahm das Kind in stillem Schmerz auf die Arme, und trug es in die Kammer und in sein Bett zurück. Sie fürchtete, was der Mann ihm thun konnte. Was er ihr thun konnte, das fürchtete sie nicht. Sie sagte es dem Manne, als sie wieder hereinkam und die Thüre verschlossen, wie um das Kind vor ihm zu retten. "Ich bin eins ge¬ worden mit mir," sagte sie und in ihren Augen stand das mit so glänzender Schrift, daß der Mann wieder hin und herschritt, um nicht hineinsehn zu müssen. "Ich bin eins geworden mit mir. Die Gedanken sind gekommen, daran bin ich nicht schuld und ich hab' sie nicht kommen heißen. Ich hab' nicht gewußt, sie waren bös. Dann hab' ich mit den Gedanken ge¬ kämpft, und ich will nicht müd' werden, so lang' ich lebe. Ich bin mit meiner Seele an dem Bett meiner seligen Mutter gewesen, wo sie gestorben ist, und hab' sie liegen sehn, und hab' die drei Finger auf ihr Herz gelegt. Ich hab' ihr versprochen, ich will nichts Un¬
ſah nicht das Flehen in des Kindes Blick, er ſollte der Mutter gut ſein, die Mutter ſei auch gut. Er ſah nicht, wie das häusliche Zerwürfniß auf dem Kinde laſtete und es bleich gemacht; wie es den Zu¬ ſtand mit durchlitt, ohne ihn zu verſtehn. Er ſah nur, wie geſpannt es horchte, um dem erzählen zu können, der es zum Horchen abgerichtet. Es wollte ſeine Knie umſchlingen, ſein Blick, ſeine gehobene Fauſt drängte es zurück. Die Mutter nahm das Kind in ſtillem Schmerz auf die Arme, und trug es in die Kammer und in ſein Bett zurück. Sie fürchtete, was der Mann ihm thun konnte. Was er ihr thun konnte, das fürchtete ſie nicht. Sie ſagte es dem Manne, als ſie wieder hereinkam und die Thüre verſchloſſen, wie um das Kind vor ihm zu retten. „Ich bin eins ge¬ worden mit mir,“ ſagte ſie und in ihren Augen ſtand das mit ſo glänzender Schrift, daß der Mann wieder hin und herſchritt, um nicht hineinſehn zu müſſen. „Ich bin eins geworden mit mir. Die Gedanken ſind gekommen, daran bin ich nicht ſchuld und ich hab' ſie nicht kommen heißen. Ich hab' nicht gewußt, ſie waren bös. Dann hab' ich mit den Gedanken ge¬ kämpft, und ich will nicht müd' werden, ſo lang' ich lebe. Ich bin mit meiner Seele an dem Bett meiner ſeligen Mutter geweſen, wo ſie geſtorben iſt, und hab' ſie liegen ſehn, und hab' die drei Finger auf ihr Herz gelegt. Ich hab' ihr verſprochen, ich will nichts Un¬
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ſah nicht das Flehen in des Kindes Blick, er ſollte
der Mutter gut ſein, die Mutter ſei auch gut. Er
ſah nicht, wie das häusliche Zerwürfniß auf dem
Kinde laſtete und es bleich gemacht; wie es den Zu¬
ſtand mit durchlitt, ohne ihn zu verſtehn. Er ſah
nur, wie geſpannt es horchte, um dem erzählen zu
können, der es zum Horchen abgerichtet. Es wollte
ſeine Knie umſchlingen, ſein Blick, ſeine gehobene Fauſt
drängte es zurück. Die Mutter nahm das Kind in
ſtillem Schmerz auf die Arme, und trug es in die
Kammer und in ſein Bett zurück. Sie fürchtete, was
der Mann ihm thun konnte. Was er ihr thun konnte,
das fürchtete ſie nicht. Sie ſagte es dem Manne, als
ſie wieder hereinkam und die Thüre verſchloſſen, wie
um das Kind vor ihm zu retten. „Ich bin eins ge¬
worden mit mir,“ ſagte ſie und in ihren Augen ſtand
das mit ſo glänzender Schrift, daß der Mann wieder
hin und herſchritt, um nicht hineinſehn zu müſſen.
„Ich bin eins geworden mit mir. Die Gedanken ſind
gekommen, daran bin ich nicht ſchuld und ich hab' ſie
nicht kommen heißen. Ich hab' nicht gewußt, ſie
waren bös. Dann hab' ich mit den Gedanken ge¬
kämpft, und ich will nicht müd' werden, ſo lang' ich
lebe. Ich bin mit meiner Seele an dem Bett meiner
ſeligen Mutter geweſen, wo ſie geſtorben iſt, und hab'
ſie liegen ſehn, und hab' die drei Finger auf ihr Herz
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/128>, abgerufen am 24.11.2024.
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