Gefühle aufklären, sie dann bei ihrer Ehre, bei ihrem weiblichen Stolze fassen. Er konnte sie zwingen -- wozu? Zur Verstellung? Zum Leugnen? Zur Ver¬ heimlichung, wenn sie einmal wußte, was sie wollte? Würde sie nicht zu sich sagen: den Betrüger betrügen, das Gestohlene heimlich wieder nehmen, ist kein Betrug, kein Diebstahl. Das war's! Das Bewußtsein seiner Schuld verfälschte ihm die Dinge, die Menschen. Er kannte das starke Ehrgefühl seiner Frau, wie die bis zum Eigensinn feste Rechtlichkeit des Bruders und er hätte Beiden in allem getraut; nur in dem Einen traute er ihnen nicht, wo er das Gefühl hatte, er hab' es verdient, von ihnen betrogen zu sein. So zog er doch den Weg vor, den er bis jetzt gegangen. Er machte einen kleinen Umweg über des "Federchensuchers Narrheiten." Er wußte, kleine Lächerlichkeiten sind ge¬ schickter, eine werdende Neigung zu vernüchtern, als große Fehler. Er agirte Apollonius, wie er den Weg, den er mit einem Lichte gemacht, noch einmal zurück¬ ging, aus Sorge, er könnte einen Funken verloren haben. Wie es ihn bei Nacht nicht ruhen ließ, wenn ihm einfiel, er hatte bei einer Arbeit seinen gewöhn¬ lichen Eigensinn vergessen, oder ein Arbeiter hatte das strenge Wort nicht verdient, das er, vom Drang der Geschäfte erhitzt, gegeben. Wie er aus dem Bette aufgesprungen, um ein Lineal, das er im schiefen Winkel mit der Tischkante liegen lassen, in den rechten
Gefühle aufklären, ſie dann bei ihrer Ehre, bei ihrem weiblichen Stolze faſſen. Er konnte ſie zwingen — wozu? Zur Verſtellung? Zum Leugnen? Zur Ver¬ heimlichung, wenn ſie einmal wußte, was ſie wollte? Würde ſie nicht zu ſich ſagen: den Betrüger betrügen, das Geſtohlene heimlich wieder nehmen, iſt kein Betrug, kein Diebſtahl. Das war's! Das Bewußtſein ſeiner Schuld verfälſchte ihm die Dinge, die Menſchen. Er kannte das ſtarke Ehrgefühl ſeiner Frau, wie die bis zum Eigenſinn feſte Rechtlichkeit des Bruders und er hätte Beiden in allem getraut; nur in dem Einen traute er ihnen nicht, wo er das Gefühl hatte, er hab' es verdient, von ihnen betrogen zu ſein. So zog er doch den Weg vor, den er bis jetzt gegangen. Er machte einen kleinen Umweg über des „Federchenſuchers Narrheiten.“ Er wußte, kleine Lächerlichkeiten ſind ge¬ ſchickter, eine werdende Neigung zu vernüchtern, als große Fehler. Er agirte Apollonius, wie er den Weg, den er mit einem Lichte gemacht, noch einmal zurück¬ ging, aus Sorge, er könnte einen Funken verloren haben. Wie es ihn bei Nacht nicht ruhen ließ, wenn ihm einfiel, er hatte bei einer Arbeit ſeinen gewöhn¬ lichen Eigenſinn vergeſſen, oder ein Arbeiter hatte das ſtrenge Wort nicht verdient, das er, vom Drang der Geſchäfte erhitzt, gegeben. Wie er aus dem Bette aufgeſprungen, um ein Lineal, das er im ſchiefen Winkel mit der Tiſchkante liegen laſſen, in den rechten
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Gefühle aufklären, ſie dann bei ihrer Ehre, bei ihrem
weiblichen Stolze faſſen. Er konnte ſie zwingen —
wozu? Zur Verſtellung? Zum Leugnen? Zur Ver¬
heimlichung, wenn ſie einmal wußte, was ſie wollte?
Würde ſie nicht zu ſich ſagen: den Betrüger betrügen,
das Geſtohlene heimlich wieder nehmen, iſt kein Betrug,
kein Diebſtahl. Das war's! Das Bewußtſein ſeiner
Schuld verfälſchte ihm die Dinge, die Menſchen. Er
kannte das ſtarke Ehrgefühl ſeiner Frau, wie die bis
zum Eigenſinn feſte Rechtlichkeit des Bruders und er
hätte Beiden in allem getraut; nur in dem Einen
traute er ihnen nicht, wo er das Gefühl hatte, er hab'
es verdient, von ihnen betrogen zu ſein. So zog er
doch den Weg vor, den er bis jetzt gegangen. Er
machte einen kleinen Umweg über des „Federchenſuchers
Narrheiten.“ Er wußte, kleine Lächerlichkeiten ſind ge¬
ſchickter, eine werdende Neigung zu vernüchtern, als
große Fehler. Er agirte Apollonius, wie er den Weg,
den er mit einem Lichte gemacht, noch einmal zurück¬
ging, aus Sorge, er könnte einen Funken verloren
haben. Wie es ihn bei Nacht nicht ruhen ließ, wenn
ihm einfiel, er hatte bei einer Arbeit ſeinen gewöhn¬
lichen Eigenſinn vergeſſen, oder ein Arbeiter hatte das
ſtrenge Wort nicht verdient, das er, vom Drang der
Geſchäfte erhitzt, gegeben. Wie er aus dem Bette
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/119>, abgerufen am 25.11.2024.
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