Fritz Nettenmair dachte den ganzen Tag, was das sein möge, was Apollonius ihm morgen sagen wolle; "morgen; weil ich heut nicht gelaunt bin? Gelaunt? Ich habe den Federchensucher in meine Karten sehen lassen. Hätt' ich's nicht, wär' er plump herausgegangen; nun hab' ich ihn gewarnt und vorsichtig gemacht. Ich bin zu ehrlich mit solch einem falschen Spieler; ich muß verlieren. Gut; ich will morgen "gelaunt" sein, ich will thun, als wär ich blind und taub; als säh' ich nicht, was er will, und wär's noch deutlicher. Eine Spinnenwebe auf meine Rockklappen, damit er was zu bürsten hat. Ich kann's nicht leiden, wenn mir so einer in's Gesicht sieht, solch ein Heuchler!"
Und so vorbereitet und entschlossen, den Lister zu überlisten, gält's auch die schwerste Probe von Selbst¬ beherrschung, fand Apollonius den Bruder am folgenden Tage seiner harrend. Auch Apollonius hatte seinen Entschluß gefaßt. Er wollte sich von keiner Laune seines Bruders mehr irren lassen; es kam ja eben darauf an, all diesen Launen ihre Quelle abzuschneiden. Fritz bot ihm den unbefangensten, jovialsten guten Morgen, der ihm zu Gebote stand. "Wenn du mich ruhig und brüderlich anhören willst," sagte Apollonius, "so hoff' ich, dieser Morgen soll der beste sein für dich und mich und uns Alle." ""Und uns Alle, wiederholte Fritz, und legte von seiner Erklärung der drei Worte nichts in seinen Ton. Ich weiß, daß du immer an
Fritz Nettenmair dachte den ganzen Tag, was das ſein möge, was Apollonius ihm morgen ſagen wolle; „morgen; weil ich heut nicht gelaunt bin? Gelaunt? Ich habe den Federchenſucher in meine Karten ſehen laſſen. Hätt' ich's nicht, wär' er plump herausgegangen; nun hab' ich ihn gewarnt und vorſichtig gemacht. Ich bin zu ehrlich mit ſolch einem falſchen Spieler; ich muß verlieren. Gut; ich will morgen „gelaunt“ ſein, ich will thun, als wär ich blind und taub; als ſäh' ich nicht, was er will, und wär's noch deutlicher. Eine Spinnenwebe auf meine Rockklappen, damit er was zu bürſten hat. Ich kann's nicht leiden, wenn mir ſo einer in's Geſicht ſieht, ſolch ein Heuchler!“
Und ſo vorbereitet und entſchloſſen, den Liſter zu überliſten, gält's auch die ſchwerſte Probe von Selbſt¬ beherrſchung, fand Apollonius den Bruder am folgenden Tage ſeiner harrend. Auch Apollonius hatte ſeinen Entſchluß gefaßt. Er wollte ſich von keiner Laune ſeines Bruders mehr irren laſſen; es kam ja eben darauf an, all dieſen Launen ihre Quelle abzuſchneiden. Fritz bot ihm den unbefangenſten, jovialſten guten Morgen, der ihm zu Gebote ſtand. „Wenn du mich ruhig und brüderlich anhören willſt,“ ſagte Apollonius, „ſo hoff' ich, dieſer Morgen ſoll der beſte ſein für dich und mich und uns Alle.“ „„Und uns Alle, wiederholte Fritz, und legte von ſeiner Erklärung der drei Worte nichts in ſeinen Ton. Ich weiß, daß du immer an
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Fritz Nettenmair dachte den ganzen Tag, was das
ſein möge, was Apollonius ihm morgen ſagen wolle;
„morgen; weil ich heut nicht gelaunt bin? Gelaunt?
Ich habe den Federchenſucher in meine Karten ſehen
laſſen. Hätt' ich's nicht, wär' er plump herausgegangen;
nun hab' ich ihn gewarnt und vorſichtig gemacht. Ich
bin zu ehrlich mit ſolch einem falſchen Spieler; ich
muß verlieren. Gut; ich will morgen „gelaunt“ ſein,
ich will thun, als wär ich blind und taub; als ſäh'
ich nicht, was er will, und wär's noch deutlicher. Eine
Spinnenwebe auf meine Rockklappen, damit er was
zu bürſten hat. Ich kann's nicht leiden, wenn mir ſo
einer in's Geſicht ſieht, ſolch ein Heuchler!“
Und ſo vorbereitet und entſchloſſen, den Liſter zu
überliſten, gält's auch die ſchwerſte Probe von Selbſt¬
beherrſchung, fand Apollonius den Bruder am folgenden
Tage ſeiner harrend. Auch Apollonius hatte ſeinen
Entſchluß gefaßt. Er wollte ſich von keiner Laune
ſeines Bruders mehr irren laſſen; es kam ja eben
darauf an, all dieſen Launen ihre Quelle abzuſchneiden.
Fritz bot ihm den unbefangenſten, jovialſten guten
Morgen, der ihm zu Gebote ſtand. „Wenn du mich
ruhig und brüderlich anhören willſt,“ ſagte Apollonius,
„ſo hoff' ich, dieſer Morgen ſoll der beſte ſein für dich
und mich und uns Alle.“ „„Und uns Alle, wiederholte
Fritz, und legte von ſeiner Erklärung der drei Worte
nichts in ſeinen Ton. Ich weiß, daß du immer an
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/107>, abgerufen am 24.11.2024.
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