Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Und sie? -- Sie hatte nicht gelacht mit dem Studenten. Wie hätte sie gekonnt? Das Herz war ihr ja zugeschnürt -- im Halse drückte es -- Nicht? Rose-Marie! wer war es denn gewesen? Die Schlange -- keuchte sie, die ist's gewesen. Aber Johannes konnte sie nicht hören, er sah nicht ihre angsterfüllten Blicke, und wenn er nicht erschlagen lag unter einem jener Bäume, die so dicht im Grunde stehen, daß kein Entrinnen möglich ist, so war er ihr schon weit voraus -- auf dem Wege zum Gericht. Es ist aus, hatte er gesagt, ganz aus zwischen uns -- und Johannes war der Mann, sein Wort zu halten. Er bot ihr nicht die Hand mehr zur Versöhnung, -- würde sie es thun? Heftig sprang sie auf, den Baum, den sie erst so heiß umarmt, wieder zornig von sich stoßend. Nichts da! sagte sie, das ist Alles dummes Zeug, und das Weiße ist nur ein Papier gewesen; die rothen Flecken sind vom Heidelbeerkuchen, und das alte Weihlein, das ihn hier verzehrt beim Zapfenlesen oder Beerensuchen, das würde gewaltig lachen, wenn es wüßte, was ich Alles drin gesehen hätte. Sie lachte selber, aber es war nur ein mattes Beginnen, dieses Lachen. Nachdem der Sturm noch eine Weile fortgeras't, standen er und die Rose-Marie mit einander still -- er, und die Flügel einzuziehen vor dem Mächtigeren, der nach ihm kam, -- sie, um sich zu vergewissern, daß sie überhaupt noch lebe. Sie hatte jedoch kaum Zeit ge- Und sie? — Sie hatte nicht gelacht mit dem Studenten. Wie hätte sie gekonnt? Das Herz war ihr ja zugeschnürt — im Halse drückte es — Nicht? Rose-Marie! wer war es denn gewesen? Die Schlange — keuchte sie, die ist's gewesen. Aber Johannes konnte sie nicht hören, er sah nicht ihre angsterfüllten Blicke, und wenn er nicht erschlagen lag unter einem jener Bäume, die so dicht im Grunde stehen, daß kein Entrinnen möglich ist, so war er ihr schon weit voraus — auf dem Wege zum Gericht. Es ist aus, hatte er gesagt, ganz aus zwischen uns — und Johannes war der Mann, sein Wort zu halten. Er bot ihr nicht die Hand mehr zur Versöhnung, — würde sie es thun? Heftig sprang sie auf, den Baum, den sie erst so heiß umarmt, wieder zornig von sich stoßend. Nichts da! sagte sie, das ist Alles dummes Zeug, und das Weiße ist nur ein Papier gewesen; die rothen Flecken sind vom Heidelbeerkuchen, und das alte Weihlein, das ihn hier verzehrt beim Zapfenlesen oder Beerensuchen, das würde gewaltig lachen, wenn es wüßte, was ich Alles drin gesehen hätte. Sie lachte selber, aber es war nur ein mattes Beginnen, dieses Lachen. Nachdem der Sturm noch eine Weile fortgeras't, standen er und die Rose-Marie mit einander still — er, und die Flügel einzuziehen vor dem Mächtigeren, der nach ihm kam, — sie, um sich zu vergewissern, daß sie überhaupt noch lebe. Sie hatte jedoch kaum Zeit ge- <TEI> <text> <body> <div n="0"> <pb facs="#f0035"/> <p>Und sie? — Sie hatte nicht gelacht mit dem Studenten. Wie hätte sie gekonnt? Das Herz war ihr ja zugeschnürt — im Halse drückte es — Nicht? Rose-Marie! wer war es denn gewesen?</p><lb/> <p>Die Schlange — keuchte sie, die ist's gewesen.</p><lb/> <p>Aber Johannes konnte sie nicht hören, er sah nicht ihre angsterfüllten Blicke, und wenn er nicht erschlagen lag unter einem jener Bäume, die so dicht im Grunde stehen, daß kein Entrinnen möglich ist, so war er ihr schon weit voraus — auf dem Wege zum Gericht. Es ist aus, hatte er gesagt, ganz aus zwischen uns — und Johannes war der Mann, sein Wort zu halten. Er bot ihr nicht die Hand mehr zur Versöhnung, — würde sie es thun?</p><lb/> <p>Heftig sprang sie auf, den Baum, den sie erst so heiß umarmt, wieder zornig von sich stoßend. Nichts da! sagte sie, das ist Alles dummes Zeug, und das Weiße ist nur ein Papier gewesen; die rothen Flecken sind vom Heidelbeerkuchen, und das alte Weihlein, das ihn hier verzehrt beim Zapfenlesen oder Beerensuchen, das würde gewaltig lachen, wenn es wüßte, was ich Alles drin gesehen hätte. Sie lachte selber, aber es war nur ein mattes Beginnen, dieses Lachen.</p><lb/> <p>Nachdem der Sturm noch eine Weile fortgeras't, standen er und die Rose-Marie mit einander still — er, und die Flügel einzuziehen vor dem Mächtigeren, der nach ihm kam, — sie, um sich zu vergewissern, daß sie überhaupt noch lebe. Sie hatte jedoch kaum Zeit ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Und sie? — Sie hatte nicht gelacht mit dem Studenten. Wie hätte sie gekonnt? Das Herz war ihr ja zugeschnürt — im Halse drückte es — Nicht? Rose-Marie! wer war es denn gewesen?
Die Schlange — keuchte sie, die ist's gewesen.
Aber Johannes konnte sie nicht hören, er sah nicht ihre angsterfüllten Blicke, und wenn er nicht erschlagen lag unter einem jener Bäume, die so dicht im Grunde stehen, daß kein Entrinnen möglich ist, so war er ihr schon weit voraus — auf dem Wege zum Gericht. Es ist aus, hatte er gesagt, ganz aus zwischen uns — und Johannes war der Mann, sein Wort zu halten. Er bot ihr nicht die Hand mehr zur Versöhnung, — würde sie es thun?
Heftig sprang sie auf, den Baum, den sie erst so heiß umarmt, wieder zornig von sich stoßend. Nichts da! sagte sie, das ist Alles dummes Zeug, und das Weiße ist nur ein Papier gewesen; die rothen Flecken sind vom Heidelbeerkuchen, und das alte Weihlein, das ihn hier verzehrt beim Zapfenlesen oder Beerensuchen, das würde gewaltig lachen, wenn es wüßte, was ich Alles drin gesehen hätte. Sie lachte selber, aber es war nur ein mattes Beginnen, dieses Lachen.
Nachdem der Sturm noch eine Weile fortgeras't, standen er und die Rose-Marie mit einander still — er, und die Flügel einzuziehen vor dem Mächtigeren, der nach ihm kam, — sie, um sich zu vergewissern, daß sie überhaupt noch lebe. Sie hatte jedoch kaum Zeit ge-
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Zitationshilfe: | Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/35>, abgerufen am 16.02.2025. |