Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

umzogen; immer massiger und schwärzer schoben die Wolken mit bleifarbenen Rändern herauf, eine Schichte drängte die andere, und schwerer und schwerer drückte das Gewölbe droben auf die untere Luft herab, die bald regungslos unter ihrer Last erzitterte. Nicht der leiseste Flügelschlag wehrte dieser Schwüle, die alles Leben zu ersticken schien; der Schatten gewährte keine Kühle mehr, und der sonst so gewürzig-frische Nadelduft vermehrte durch sein betäubendes Arom nur noch die Unerträglichkeit des Luftdruckes, unter dem die Pflanzen so gut wie Menschen und Thiere litten. Büsche und Bäume standen, wie von einer mächtigen Hand niedergehalten, furchtsam in sich hineingeschmiegt, die Blumen legten sich an die Erde hin, wie sterbend. Dazu das Schweigen, das unheilbrütend in den Lüften lag, diesen Lüften, die keine mehr zu nennen waren -- dieses Schweigen, das fürchterliche Nichts, dem das lauschend gespannte Ohr zu erliegen meint, es ward von keinem Tone, nicht dem Zirpen eines Vögelchens, nicht dem Summen eines Insectes unterbrochen.

Wer einmal im Walde war, einsam, vor dem Ausbruch eines schweren Wetters, der weiß, was es zu bedeuten hat, dieses Schweigen, und wie das Herz des Muthigsten sich beengt fühlt unter seinem Drucke. Dann versucht man wohl, es zu unterbrechen, indem man leise vor sich hin zu singen oder zu pfeifen beginnt, man spricht am Ende mit sich selbst, um nur den Trost einer Menschenstimme zu vernehmen, aber das Singen bleibt

umzogen; immer massiger und schwärzer schoben die Wolken mit bleifarbenen Rändern herauf, eine Schichte drängte die andere, und schwerer und schwerer drückte das Gewölbe droben auf die untere Luft herab, die bald regungslos unter ihrer Last erzitterte. Nicht der leiseste Flügelschlag wehrte dieser Schwüle, die alles Leben zu ersticken schien; der Schatten gewährte keine Kühle mehr, und der sonst so gewürzig-frische Nadelduft vermehrte durch sein betäubendes Arom nur noch die Unerträglichkeit des Luftdruckes, unter dem die Pflanzen so gut wie Menschen und Thiere litten. Büsche und Bäume standen, wie von einer mächtigen Hand niedergehalten, furchtsam in sich hineingeschmiegt, die Blumen legten sich an die Erde hin, wie sterbend. Dazu das Schweigen, das unheilbrütend in den Lüften lag, diesen Lüften, die keine mehr zu nennen waren — dieses Schweigen, das fürchterliche Nichts, dem das lauschend gespannte Ohr zu erliegen meint, es ward von keinem Tone, nicht dem Zirpen eines Vögelchens, nicht dem Summen eines Insectes unterbrochen.

Wer einmal im Walde war, einsam, vor dem Ausbruch eines schweren Wetters, der weiß, was es zu bedeuten hat, dieses Schweigen, und wie das Herz des Muthigsten sich beengt fühlt unter seinem Drucke. Dann versucht man wohl, es zu unterbrechen, indem man leise vor sich hin zu singen oder zu pfeifen beginnt, man spricht am Ende mit sich selbst, um nur den Trost einer Menschenstimme zu vernehmen, aber das Singen bleibt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="0">
        <p><pb facs="#f0025"/>
umzogen; immer massiger und schwärzer schoben die Wolken mit      bleifarbenen Rändern herauf, eine Schichte drängte die andere, und schwerer und schwerer      drückte das Gewölbe droben auf die untere Luft herab, die bald regungslos unter ihrer Last      erzitterte. Nicht der leiseste Flügelschlag wehrte dieser Schwüle, die alles Leben zu ersticken      schien; der Schatten gewährte keine Kühle mehr, und der sonst so gewürzig-frische Nadelduft      vermehrte durch sein betäubendes Arom nur noch die Unerträglichkeit des Luftdruckes, unter dem      die Pflanzen so gut wie Menschen und Thiere litten. Büsche und Bäume standen, wie von einer      mächtigen Hand niedergehalten, furchtsam in sich hineingeschmiegt, die Blumen legten sich an      die Erde hin, wie sterbend. Dazu das Schweigen, das unheilbrütend in den Lüften lag, diesen      Lüften, die keine mehr zu nennen waren &#x2014; dieses Schweigen, das fürchterliche Nichts, dem das      lauschend gespannte Ohr zu erliegen meint, es ward von keinem Tone, nicht dem Zirpen eines      Vögelchens, nicht dem Summen eines Insectes unterbrochen.</p><lb/>
        <p>Wer einmal im Walde war, einsam, vor dem Ausbruch eines schweren Wetters, der weiß, was es zu      bedeuten hat, dieses Schweigen, und wie das Herz des Muthigsten sich beengt fühlt unter seinem      Drucke. Dann versucht man wohl, es zu unterbrechen, indem man leise vor sich hin zu singen oder      zu pfeifen beginnt, man spricht am Ende mit sich selbst, um nur den Trost einer Menschenstimme      zu vernehmen, aber das Singen bleibt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] umzogen; immer massiger und schwärzer schoben die Wolken mit bleifarbenen Rändern herauf, eine Schichte drängte die andere, und schwerer und schwerer drückte das Gewölbe droben auf die untere Luft herab, die bald regungslos unter ihrer Last erzitterte. Nicht der leiseste Flügelschlag wehrte dieser Schwüle, die alles Leben zu ersticken schien; der Schatten gewährte keine Kühle mehr, und der sonst so gewürzig-frische Nadelduft vermehrte durch sein betäubendes Arom nur noch die Unerträglichkeit des Luftdruckes, unter dem die Pflanzen so gut wie Menschen und Thiere litten. Büsche und Bäume standen, wie von einer mächtigen Hand niedergehalten, furchtsam in sich hineingeschmiegt, die Blumen legten sich an die Erde hin, wie sterbend. Dazu das Schweigen, das unheilbrütend in den Lüften lag, diesen Lüften, die keine mehr zu nennen waren — dieses Schweigen, das fürchterliche Nichts, dem das lauschend gespannte Ohr zu erliegen meint, es ward von keinem Tone, nicht dem Zirpen eines Vögelchens, nicht dem Summen eines Insectes unterbrochen. Wer einmal im Walde war, einsam, vor dem Ausbruch eines schweren Wetters, der weiß, was es zu bedeuten hat, dieses Schweigen, und wie das Herz des Muthigsten sich beengt fühlt unter seinem Drucke. Dann versucht man wohl, es zu unterbrechen, indem man leise vor sich hin zu singen oder zu pfeifen beginnt, man spricht am Ende mit sich selbst, um nur den Trost einer Menschenstimme zu vernehmen, aber das Singen bleibt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/25
Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/25>, abgerufen am 27.11.2024.