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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Der unter den Stech-Disteln
der Christenheit, seyen die jenigen Menschen, die fein niemand aus
ihrem Hertzen ausschliessen, sondern wie Sonnen allen scheinen; Wie
Blumen, Bäume, jedermann, wer auch immer an sie kommt,
ihren Geruch und Früchte mittheilen, und nur ihrem GOTT zum
Preiß und Diensten da stehen, ohne Anhänglichkeit an sich selbst,
ohne Acht zu geben wie und wem sie Christus brauche.

Schmertzlich erfahrt man, wie sich jetz zertrennen
Kinder der Mutter, die droben gebirt;
Wie auch die Brüder einander nicht kennen,
Hertzliche Freundschafft sich täglich verliert:
Viele sich scheiden, und viele sich spalten,
Weil man die Liebe so lässet erkalten.
Betrach-
tungen
wodurch
der Lieblo-
figkeit kan
gesteuret
werden.

§. 4. Ach dencket zurück, wie offt ihr das Heilig Abendmahl mit
einander gehalten! Warum dann einander verachten, richten und
also ungütlich durch die Hechel ziehen? Wie manche Seel hätte es
noch leidentlich mit ihrem Zustand, und wurde grausame Gewissens-
Angst entübriget bleiben, wann sie nur ihren Nächsten zu frieden ge-
lassen, und nicht aus Hochmuth über andere hergefahren wäre, mit
Vernichten und Verurtheilen! Dann wie wir mit unserem Neben-
Menschen umgehen wird uns GOtt wieder messen, und ein streng
Gericht ergehen lassen über den, der nicht Barmhertzigkeit geübt
hat a, unterm Schein des Rechten; und also machen wir alle un-
sere Schein-Frömmigkeit stinckend vor GOtt, und zernichten alle
unsere Gaben. Haben wir nicht Böses genug an uns selbst zu has-
sen, und zu richten, wann wir je hassen und richten müssen? Ein
Christ, sagte ein erleuchteter Jüngling, hat ein dreyfaches Hertz; ei-
nes Kindes Hertz gegen GOTT, voller guten Zutrauens, Ehrerbie-
tung und beugsamen Gehorsams; ein Richters Hertz gegen sich selbst,
alles Böse in sich ohne Schonen abzuthun und auszurotten; und ein
Mutter Hertz gegen seinem Nächsten: Nun wird keine recht geartete
Mutter ihrer Kinder leiblich oder geistlich Leben und Wachsthum
hemmen, erwürgen und untertrucken, unterm Vorwand, das Kind
habe es verschuldet. "Wie gräulich ist es dann, innerlich in sei-
"nem vergallten Hertzen bey aller guten Verstellung von aussen sol-
"che gifftige arge Kräffte und feindliche Gedancken hegen, und in

des
a Matth. VI. 1. 2. Jac. III. 13.

Der unter den Stech-Diſteln
der Chriſtenheit, ſeyen die jenigen Menſchen, die fein niemand aus
ihrem Hertzen ausſchlieſſen, ſondern wie Sonnen allen ſcheinen; Wie
Blumen, Baͤume, jedermann, wer auch immer an ſie kommt,
ihren Geruch und Fruͤchte mittheilen, und nur ihrem GOTT zum
Preiß und Dienſten da ſtehen, ohne Anhaͤnglichkeit an ſich ſelbſt,
ohne Acht zu geben wie und wem ſie Chriſtus brauche.

Schmertzlich erfahrt man, wie ſich jetz zertrennen
Kinder der Mutter, die droben gebirt;
Wie auch die Bruͤder einander nicht kennen,
Hertzliche Freundſchafft ſich taͤglich verliert:
Viele ſich ſcheiden, und viele ſich ſpalten,
Weil man die Liebe ſo laͤſſet erkalten.
Betrach-
tungen
wodurch
der Lieblo-
figkeit kan
geſteuret
werden.

§. 4. Ach dencket zuruͤck, wie offt ihr das Heilig Abendmahl mit
einander gehalten! Warum dann einander verachten, richten und
alſo unguͤtlich durch die Hechel ziehen? Wie manche Seel haͤtte es
noch leidentlich mit ihrem Zuſtand, und wurde grauſame Gewiſſens-
Angſt entuͤbriget bleiben, wann ſie nur ihren Naͤchſten zu frieden ge-
laſſen, und nicht aus Hochmuth uͤber andere hergefahren waͤre, mit
Vernichten und Verurtheilen! Dann wie wir mit unſerem Neben-
Menſchen umgehen wird uns GOtt wieder meſſen, und ein ſtreng
Gericht ergehen laſſen uͤber den, der nicht Barmhertzigkeit geuͤbt
hat a, unterm Schein des Rechten; und alſo machen wir alle un-
ſere Schein-Froͤmmigkeit ſtinckend vor GOtt, und zernichten alle
unſere Gaben. Haben wir nicht Boͤſes genug an uns ſelbſt zu haſ-
ſen, und zu richten, wann wir je haſſen und richten muͤſſen? Ein
Chriſt, ſagte ein erleuchteter Juͤngling, hat ein dreyfaches Hertz; ei-
nes Kindes Hertz gegen GOTT, voller guten Zutrauens, Ehrerbie-
tung und beugſamen Gehorſams; ein Richters Hertz gegen ſich ſelbſt,
alles Boͤſe in ſich ohne Schonen abzuthun und auszurotten; und ein
Mutter Hertz gegen ſeinem Naͤchſten: Nun wird keine recht geartete
Mutter ihrer Kinder leiblich oder geiſtlich Leben und Wachsthum
hemmen, erwuͤrgen und untertrucken, unterm Vorwand, das Kind
habe es verſchuldet. „Wie graͤulich iſt es dann, innerlich in ſei-
„nem vergallten Hertzen bey aller guten Verſtellung von auſſen ſol-
„che gifftige arge Kraͤffte und feindliche Gedancken hegen, und in

des
a Matth. VI. 1. 2. Jac. III. 13.
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[762/0858] Der unter den Stech-Diſteln der Chriſtenheit, ſeyen die jenigen Menſchen, die fein niemand aus ihrem Hertzen ausſchlieſſen, ſondern wie Sonnen allen ſcheinen; Wie Blumen, Baͤume, jedermann, wer auch immer an ſie kommt, ihren Geruch und Fruͤchte mittheilen, und nur ihrem GOTT zum Preiß und Dienſten da ſtehen, ohne Anhaͤnglichkeit an ſich ſelbſt, ohne Acht zu geben wie und wem ſie Chriſtus brauche. Schmertzlich erfahrt man, wie ſich jetz zertrennen Kinder der Mutter, die droben gebirt; Wie auch die Bruͤder einander nicht kennen, Hertzliche Freundſchafft ſich taͤglich verliert: Viele ſich ſcheiden, und viele ſich ſpalten, Weil man die Liebe ſo laͤſſet erkalten. §. 4. Ach dencket zuruͤck, wie offt ihr das Heilig Abendmahl mit einander gehalten! Warum dann einander verachten, richten und alſo unguͤtlich durch die Hechel ziehen? Wie manche Seel haͤtte es noch leidentlich mit ihrem Zuſtand, und wurde grauſame Gewiſſens- Angſt entuͤbriget bleiben, wann ſie nur ihren Naͤchſten zu frieden ge- laſſen, und nicht aus Hochmuth uͤber andere hergefahren waͤre, mit Vernichten und Verurtheilen! Dann wie wir mit unſerem Neben- Menſchen umgehen wird uns GOtt wieder meſſen, und ein ſtreng Gericht ergehen laſſen uͤber den, der nicht Barmhertzigkeit geuͤbt hat a, unterm Schein des Rechten; und alſo machen wir alle un- ſere Schein-Froͤmmigkeit ſtinckend vor GOtt, und zernichten alle unſere Gaben. Haben wir nicht Boͤſes genug an uns ſelbſt zu haſ- ſen, und zu richten, wann wir je haſſen und richten muͤſſen? Ein Chriſt, ſagte ein erleuchteter Juͤngling, hat ein dreyfaches Hertz; ei- nes Kindes Hertz gegen GOTT, voller guten Zutrauens, Ehrerbie- tung und beugſamen Gehorſams; ein Richters Hertz gegen ſich ſelbſt, alles Boͤſe in ſich ohne Schonen abzuthun und auszurotten; und ein Mutter Hertz gegen ſeinem Naͤchſten: Nun wird keine recht geartete Mutter ihrer Kinder leiblich oder geiſtlich Leben und Wachsthum hemmen, erwuͤrgen und untertrucken, unterm Vorwand, das Kind habe es verſchuldet. „Wie graͤulich iſt es dann, innerlich in ſei- „nem vergallten Hertzen bey aller guten Verſtellung von auſſen ſol- „che gifftige arge Kraͤffte und feindliche Gedancken hegen, und in des a Matth. VI. 1. 2. Jac. III. 13.

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 762. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/858>, abgerufen am 25.11.2024.