§. 2. Es könnte uns bald etwas begegnen, das wir nicht also na-Gefahr die uns dabey be- vorstehet. he zu seyn vermuthet hätten; das Pulver ist längsten eingelegt, das Gericht schlafft noch schlummert nicht, es wartet der Feind nur auf den Winck Göttlicher Gerechtigkeit a, daß ers anzünde, es wird auch laut der Weissagungen Knall und Fall auf einen Tag kommen; un- ser Muthwill blaset noch darzu den Lunten oder Feurseil immer auf; man laßt es nicht mehr bloß dabey bewenden, daß man GOtt we- nig oder gar nichts achtet, und gantz aus den Augen setzet; man trotzet ihn gar, und fordert ihn gleichsam aus, man will ihn auf die Probe setzen, ob er gerecht und allwissend sey. O du heiliger, lang- müthiger GOtt! Wie lange wirst du uns noch zu sehen?
§. 3. Wie viel tausend mahl mehr Ursach hätte Paulus uns zuKlag über den Man- gel der Liebe. zuschreiben, als denen Corintheren; ich förchte wann ich komme, daß ich euch nicht finde wie ich will, und ihr mich auch nicht findet wie ihr wollt, daß nicht Hader, Neid, Zorn, Zanck, Affterreden, Ohrenblasen, Aufblähen da seye? Ach! Es ist ein jeder zerstreut in das Seine, und kan ein jedes Lüfftlein die Liebes-Lampen auslöschen; es ist fast keine biß ans End in allen Proben ausharrende und nie- mahls erkaltende Liebe anzutreffen: Falsches, partheyisches, eigen- nütziges aneinander hangen, findet man noch wohl; aber o welch ei- nen grausamen Schrecken wird das Mitternacht-Geschrey in allen solchen Seelen erwecken! Weilen sie dem Königlichen Befehl, nicht mit besser Ehr-Forcht entsprochen, so ist das Urtheil schon ergangen, daß sie sollen verbannet, Stadt und Lands verwiesen seyn, und vom Hochzeit-Saal ausgeschlossen bleiben; wem der Zucker der süssen Hertzens-Neigung nicht schmeckt, der wird höllischer Gallen genug schlucken müssen. Wir sollten ja ein einig, angenehm Liebes-Volck Christi seyn; so nimmt einer diese Weiß und Meynung, ein anderer was anders an sich. Nun möchte man wohl jedem seine Freyheit lassen, Persohnen und Ubungen sich zu erwehlen, wie es ein jeder zu wahrem Wachsthum in der wahren Gnade gut befindet; wann nur die Christliche allgemeine Liebe und Einigkeit nicht gekränckt wurde, keines eine heimliche falsche Liebe zu seinem Anhang in sich aufkom- men liesse, gegen anderen aber frembd, unachtsam und kaltsinnig wurde. Jch halte, die herrlichste Exempel, und der schönste Schmuck
der
a 2 Petr. II. 3.
D d d d d
hervor bluͤhende Lilien-Zweig.
§. 2. Es koͤnnte uns bald etwas begegnen, das wir nicht alſo na-Gefahr die uns dabey be- vorſtehet. he zu ſeyn vermuthet haͤtten; das Pulver iſt laͤngſten eingelegt, das Gericht ſchlafft noch ſchlummert nicht, es wartet der Feind nur auf den Winck Goͤttlicher Gerechtigkeit a, daß ers anzuͤnde, es wird auch laut der Weiſſagungen Knall und Fall auf einen Tag kommen; un- ſer Muthwill blaſet noch darzu den Lunten oder Feurſeil immer auf; man laßt es nicht mehr bloß dabey bewenden, daß man GOtt we- nig oder gar nichts achtet, und gantz aus den Augen ſetzet; man trotzet ihn gar, und fordert ihn gleichſam aus, man will ihn auf die Probe ſetzen, ob er gerecht und allwiſſend ſey. O du heiliger, lang- muͤthiger GOtt! Wie lange wirſt du uns noch zu ſehen?
§. 3. Wie viel tauſend mahl mehr Urſach haͤtte Paulus uns zuKlag uͤber den Man- gel der Liebe. zuſchreiben, als denen Corintheren; ich foͤrchte wann ich komme, daß ich euch nicht finde wie ich will, und ihr mich auch nicht findet wie ihr wollt, daß nicht Hader, Neid, Zorn, Zanck, Affterreden, Ohrenblaſen, Aufblaͤhen da ſeye? Ach! Es iſt ein jeder zerſtreut in das Seine, und kan ein jedes Luͤfftlein die Liebes-Lampen ausloͤſchen; es iſt faſt keine biß ans End in allen Proben ausharrende und nie- mahls erkaltende Liebe anzutreffen: Falſches, partheyiſches, eigen- nuͤtziges aneinander hangen, findet man noch wohl; aber o welch ei- nen grauſamen Schrecken wird das Mitternacht-Geſchrey in allen ſolchen Seelen erwecken! Weilen ſie dem Koͤniglichen Befehl, nicht mit beſſer Ehr-Forcht entſprochen, ſo iſt das Urtheil ſchon ergangen, daß ſie ſollen verbannet, Stadt und Lands verwieſen ſeyn, und vom Hochzeit-Saal ausgeſchloſſen bleiben; wem der Zucker der ſuͤſſen Hertzens-Neigung nicht ſchmeckt, der wird hoͤlliſcher Gallen genug ſchlucken muͤſſen. Wir ſollten ja ein einig, angenehm Liebes-Volck Chriſti ſeyn; ſo nimmt einer dieſe Weiß und Meynung, ein anderer was anders an ſich. Nun moͤchte man wohl jedem ſeine Freyheit laſſen, Perſohnen und Ubungen ſich zu erwehlen, wie es ein jeder zu wahrem Wachsthum in der wahren Gnade gut befindet; wann nur die Chriſtliche allgemeine Liebe und Einigkeit nicht gekraͤnckt wurde, keines eine heimliche falſche Liebe zu ſeinem Anhang in ſich aufkom- men lieſſe, gegen anderen aber frembd, unachtſam und kaltſinnig wurde. Jch halte, die herrlichſte Exempel, und der ſchoͤnſte Schmuck
der
a 2 Petr. II. 3.
D d d d d
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hervor bluͤhende Lilien-Zweig.
§. 2. Es koͤnnte uns bald etwas begegnen, das wir nicht alſo na-
he zu ſeyn vermuthet haͤtten; das Pulver iſt laͤngſten eingelegt, das
Gericht ſchlafft noch ſchlummert nicht, es wartet der Feind nur auf
den Winck Goͤttlicher Gerechtigkeit a, daß ers anzuͤnde, es wird auch
laut der Weiſſagungen Knall und Fall auf einen Tag kommen; un-
ſer Muthwill blaſet noch darzu den Lunten oder Feurſeil immer auf;
man laßt es nicht mehr bloß dabey bewenden, daß man GOtt we-
nig oder gar nichts achtet, und gantz aus den Augen ſetzet; man
trotzet ihn gar, und fordert ihn gleichſam aus, man will ihn auf die
Probe ſetzen, ob er gerecht und allwiſſend ſey. O du heiliger, lang-
muͤthiger GOtt! Wie lange wirſt du uns noch zu ſehen?
Gefahr
die uns
dabey be-
vorſtehet.
§. 3. Wie viel tauſend mahl mehr Urſach haͤtte Paulus uns zu
zuſchreiben, als denen Corintheren; ich foͤrchte wann ich komme,
daß ich euch nicht finde wie ich will, und ihr mich auch nicht findet
wie ihr wollt, daß nicht Hader, Neid, Zorn, Zanck, Affterreden,
Ohrenblaſen, Aufblaͤhen da ſeye? Ach! Es iſt ein jeder zerſtreut in
das Seine, und kan ein jedes Luͤfftlein die Liebes-Lampen ausloͤſchen;
es iſt faſt keine biß ans End in allen Proben ausharrende und nie-
mahls erkaltende Liebe anzutreffen: Falſches, partheyiſches, eigen-
nuͤtziges aneinander hangen, findet man noch wohl; aber o welch ei-
nen grauſamen Schrecken wird das Mitternacht-Geſchrey in allen
ſolchen Seelen erwecken! Weilen ſie dem Koͤniglichen Befehl, nicht
mit beſſer Ehr-Forcht entſprochen, ſo iſt das Urtheil ſchon ergangen,
daß ſie ſollen verbannet, Stadt und Lands verwieſen ſeyn, und vom
Hochzeit-Saal ausgeſchloſſen bleiben; wem der Zucker der ſuͤſſen
Hertzens-Neigung nicht ſchmeckt, der wird hoͤlliſcher Gallen genug
ſchlucken muͤſſen. Wir ſollten ja ein einig, angenehm Liebes-Volck
Chriſti ſeyn; ſo nimmt einer dieſe Weiß und Meynung, ein anderer
was anders an ſich. Nun moͤchte man wohl jedem ſeine Freyheit
laſſen, Perſohnen und Ubungen ſich zu erwehlen, wie es ein jeder zu
wahrem Wachsthum in der wahren Gnade gut befindet; wann nur
die Chriſtliche allgemeine Liebe und Einigkeit nicht gekraͤnckt wurde,
keines eine heimliche falſche Liebe zu ſeinem Anhang in ſich aufkom-
men lieſſe, gegen anderen aber frembd, unachtſam und kaltſinnig
wurde. Jch halte, die herrlichſte Exempel, und der ſchoͤnſte Schmuck
der
Klag uͤber
den Man-
gel der
Liebe.
a 2 Petr. II. 3.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 761. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/857>, abgerufen am 21.11.2024.
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