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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Der unter den Stech-Disteln
viel
schmücken
sich damit
aber
fälschlich,

§. 2. Wer von der Liebes-Majestät des heiligen Geistes eingenom-
men ist, wie er, der kans ihm nachthun; sonst wolte ich es niemand
rathen: Es stehet uns schwachen Anfängeren in der Gnade viel bes-
ser an, unsere mitkrancken Brüder oder noch arme, gefangene
Neben-Menschen auf unsere Schulteren zu nehmen, und mit Bit-
ten, Flehen und Ernst-demüthigem Vortrag zu unserem allgemei-
nen Heiland hinzuschleppen. Zähle hiemit den heiligen Zorn in un-
seren Zeiten fast bey nahe zu Christi Wunder-Wercken; wiewohl
sich einige, ja viele darmit schmucken, da es, wo man es beym
Liecht besiehet, mehr Hochmuth, Eigensinn, Ungelassenheit, und
falscher Eifer ist, als aber lautere Liebe GOttes und des Nächsten.

insonder-
heit Pha-
risäische
Prediger
in ihrem
Amts-
Eyfer,

§. 3. Warum erzürnet sich sonst mancher Prediger, wann die Leu-
te bey allem seinem Zusprechen unbekehrt bleiben, da er es wol lei-
den mag, daß sein Nachbar oder Mit-Arbeiter nichts ausrichte?
Wolte er heiliglich zürnen, so solte er bey sich selbs anfahen, sich
eintzig die Schuld der Fruchtlosigkeit seines Amts selbs geben, und
die armen Schaafe beklagen, daß sie einen so krafft- und leblosen
Hirten haben; und eben deswegen vor sich und alle erbärmlich zu
Christo schreyen. Das wäre ein edler Haß, und ein erlaubter heili-
ger Zorn; sonderlich wo dazu käme ein ernster Haß des eigenen Le-
bens, seiner Seelen abzuschlagen alle Lust und Begierd, die nicht
in GOTT und der Seelen Heil gehet. O es muß ein durch
Anfechtung wol geübter, und in vielen Leiden bewährt gemachter,
sich selbs und der Welt abgestorbener Mensch seyn, der nicht mehr
das Seine suche, sondern das, das Christi JESU ist, wer sich
einen heiligen Zorn, der nicht Pharisäisch seye, beymessen will, al-
lein es gehet nach der uhralten Klag:

O GOTT! der theure Name dein
Muß ihrer Boßheit Deckel seyn.

Ein gar zu grob Exempel eines Pharisäischen Amts-Eifers, wel-
ches die Sach erläuteret, haben wir am Hohenpriester Cajaphas.

§. 4. Sol-
Der unter den Stech-Diſteln
viel
ſchmuͤcken
ſich damit
aber
faͤlſchlich,

§. 2. Wer von der Liebes-Majeſtaͤt des heiligen Geiſtes eingenom-
men iſt, wie er, der kans ihm nachthun; ſonſt wolte ich es niemand
rathen: Es ſtehet uns ſchwachen Anfaͤngeren in der Gnade viel beſ-
ſer an, unſere mitkrancken Bruͤder oder noch arme, gefangene
Neben-Menſchen auf unſere Schulteren zu nehmen, und mit Bit-
ten, Flehen und Ernſt-demuͤthigem Vortrag zu unſerem allgemei-
nen Heiland hinzuſchleppen. Zaͤhle hiemit den heiligen Zorn in un-
ſeren Zeiten faſt bey nahe zu Chriſti Wunder-Wercken; wiewohl
ſich einige, ja viele darmit ſchmucken, da es, wo man es beym
Liecht beſiehet, mehr Hochmuth, Eigenſinn, Ungelaſſenheit, und
falſcher Eifer iſt, als aber lautere Liebe GOttes und des Naͤchſten.

inſonder-
heit Pha-
riſaͤiſche
Prediger
in ihrem
Amts-
Eyfer,

§. 3. Warum erzuͤrnet ſich ſonſt mancher Prediger, wann die Leu-
te bey allem ſeinem Zuſprechen unbekehrt bleiben, da er es wol lei-
den mag, daß ſein Nachbar oder Mit-Arbeiter nichts ausrichte?
Wolte er heiliglich zuͤrnen, ſo ſolte er bey ſich ſelbs anfahen, ſich
eintzig die Schuld der Fruchtloſigkeit ſeines Amts ſelbs geben, und
die armen Schaafe beklagen, daß ſie einen ſo krafft- und lebloſen
Hirten haben; und eben deswegen vor ſich und alle erbaͤrmlich zu
Chriſto ſchreyen. Das waͤre ein edler Haß, und ein erlaubter heili-
ger Zorn; ſonderlich wo dazu kaͤme ein ernſter Haß des eigenen Le-
bens, ſeiner Seelen abzuſchlagen alle Luſt und Begierd, die nicht
in GOTT und der Seelen Heil gehet. O es muß ein durch
Anfechtung wol geuͤbter, und in vielen Leiden bewaͤhrt gemachter,
ſich ſelbs und der Welt abgeſtorbener Menſch ſeyn, der nicht mehr
das Seine ſuche, ſondern das, das Chriſti JESU iſt, wer ſich
einen heiligen Zorn, der nicht Phariſaͤiſch ſeye, beymeſſen will, al-
lein es gehet nach der uhralten Klag:

O GOTT! der theure Name dein
Muß ihrer Boßheit Deckel ſeyn.

Ein gar zu grob Exempel eines Phariſaͤiſchen Amts-Eifers, wel-
ches die Sach erlaͤuteret, haben wir am Hohenprieſter Cajaphas.

§. 4. Sol-
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[754/0850] Der unter den Stech-Diſteln §. 2. Wer von der Liebes-Majeſtaͤt des heiligen Geiſtes eingenom- men iſt, wie er, der kans ihm nachthun; ſonſt wolte ich es niemand rathen: Es ſtehet uns ſchwachen Anfaͤngeren in der Gnade viel beſ- ſer an, unſere mitkrancken Bruͤder oder noch arme, gefangene Neben-Menſchen auf unſere Schulteren zu nehmen, und mit Bit- ten, Flehen und Ernſt-demuͤthigem Vortrag zu unſerem allgemei- nen Heiland hinzuſchleppen. Zaͤhle hiemit den heiligen Zorn in un- ſeren Zeiten faſt bey nahe zu Chriſti Wunder-Wercken; wiewohl ſich einige, ja viele darmit ſchmucken, da es, wo man es beym Liecht beſiehet, mehr Hochmuth, Eigenſinn, Ungelaſſenheit, und falſcher Eifer iſt, als aber lautere Liebe GOttes und des Naͤchſten. §. 3. Warum erzuͤrnet ſich ſonſt mancher Prediger, wann die Leu- te bey allem ſeinem Zuſprechen unbekehrt bleiben, da er es wol lei- den mag, daß ſein Nachbar oder Mit-Arbeiter nichts ausrichte? Wolte er heiliglich zuͤrnen, ſo ſolte er bey ſich ſelbs anfahen, ſich eintzig die Schuld der Fruchtloſigkeit ſeines Amts ſelbs geben, und die armen Schaafe beklagen, daß ſie einen ſo krafft- und lebloſen Hirten haben; und eben deswegen vor ſich und alle erbaͤrmlich zu Chriſto ſchreyen. Das waͤre ein edler Haß, und ein erlaubter heili- ger Zorn; ſonderlich wo dazu kaͤme ein ernſter Haß des eigenen Le- bens, ſeiner Seelen abzuſchlagen alle Luſt und Begierd, die nicht in GOTT und der Seelen Heil gehet. O es muß ein durch Anfechtung wol geuͤbter, und in vielen Leiden bewaͤhrt gemachter, ſich ſelbs und der Welt abgeſtorbener Menſch ſeyn, der nicht mehr das Seine ſuche, ſondern das, das Chriſti JESU iſt, wer ſich einen heiligen Zorn, der nicht Phariſaͤiſch ſeye, beymeſſen will, al- lein es gehet nach der uhralten Klag: O GOTT! der theure Name dein Muß ihrer Boßheit Deckel ſeyn. Ein gar zu grob Exempel eines Phariſaͤiſchen Amts-Eifers, wel- ches die Sach erlaͤuteret, haben wir am Hohenprieſter Cajaphas. §. 4. Sol-

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/850>, abgerufen am 24.11.2024.