Gewiß, je mehr man sich erzürnt, je mehr man sich erzürnen muß; und wird ein grosser Dorn-Busch schwehrer ausgerissen, als ein klei- nes Stäudlein; so gar wird unser Will anderswohin gezogen und gefangen als zur Erfüllung des Gesetzes, und von diesem unend- lichen Elend, kan uns niemand als GOttes Sohn frey machen.
§. 4. Bilde dir deßwegen nicht ein, daß du länger und wei-Der im- merwäh- rende Ein- fluß JEsu ist zur Feindes- Liebe nö- thig. ter hin GOttes liebes Gebott halten mögest, mit fröhlichem Muth und verborgenem Gnadenreichen Willen, als aber Christus mit sei- ner Gnad und Heil. Geist in dir würcket; dann so bald das Einsau- gen und Einziehen des sanfft himmlischen Lebens JESU nachlasset, so bald erschwachet auch die Liebe gegen dem Nächsten, oder sie wird mit fremden Einfällen wüst befleckt.
Kurtz, wer nicht aus Christo ein Christ, das ist, eine neue geist- liche Liebes-Geburt wird, der bleibt ein alt fleischlich Zorn-Kind Adams, in welchem der Zorn inwendig mit aller Macht lebt, ob gleich er von aussen nicht gespürrt werden mag. Es ist eine schlechte Sach, bey stiller Ruh nicht hassen; wie sich heimliche, hoffärtige Heuchler damit schmeichlen, und haben doch nur eine falsche eigen- nützige Liebe, wie die Heyden und Zöllner.
§. 5. Es ist kurtzunt der Natur unmöglich, sich auch dannzumahlEin Mu- ster der rechtschaf- fenen Liebe ge- gen die Feinde sind die er- sten Chri- sten und Marty- rer. nicht zu entrüsten, wann dir einer auf Ehre, Leib und Leben gehet, und dein Verderben durstiglich suchet; GOTT gebe es dann: Kanst du aber solche Wunder-Zeichen thun, so jauchtze und dancke GOTT; dann es ist dir wahrhafftig Gnade wiederfahren, und du bist gezehlet zu den Märtyreren und ersten Christen, von denen man folgendes lieset. "Jhre Leutseeligkeit und Freundlichkeit erstreckte "sich nicht allein gegen ihre Freunde, sondern reichete auch biß an "ihre grösseste Feinde; dann wann ihre Verfolger kranck wurden, "oder sonsten in Nöthen geriethen, oder mit einer Plage vom HEr- "ren heimgesucht wurden, als da sie in greulichen Pest-Zeiten von "ihren nächsten Bluts-Verwandten verlassen da lagen; so waren "diese beleydigte Christen, welche kurtz zuvor von ihnen verfolget "waren, bereit ihnen ihre Dienst anzubieten, sie halffen ihnen, sie "trösteten sie, sie vermahnten sie, sie stuhnden bey ihren Betteren, "und botten ihnen ihre hülffreiche Hand, sie erhielten und speißten "sie, sie versüßten ihre Wunden, und mit sonderbar grossem und
"groß-
hervor bluͤhende Lilien-Zweig.
Gewiß, je mehr man ſich erzuͤrnt, je mehr man ſich erzuͤrnen muß; und wird ein groſſer Dorn-Buſch ſchwehrer ausgeriſſen, als ein klei- nes Staͤudlein; ſo gar wird unſer Will anderswohin gezogen und gefangen als zur Erfuͤllung des Geſetzes, und von dieſem unend- lichen Elend, kan uns niemand als GOttes Sohn frey machen.
§. 4. Bilde dir deßwegen nicht ein, daß du laͤnger und wei-Der im- merwaͤh- rende Ein- fluß JEſu iſt zur Feindes- Liebe noͤ- thig. ter hin GOttes liebes Gebott halten moͤgeſt, mit froͤhlichem Muth und verborgenem Gnadenreichen Willen, als aber Chriſtus mit ſei- ner Gnad und Heil. Geiſt in dir wuͤrcket; dann ſo bald das Einſau- gen und Einziehen des ſanfft himmliſchen Lebens JESU nachlaſſet, ſo bald erſchwachet auch die Liebe gegen dem Naͤchſten, oder ſie wird mit fremden Einfaͤllen wuͤſt befleckt.
Kurtz, wer nicht aus Chriſto ein Chriſt, das iſt, eine neue geiſt- liche Liebes-Geburt wird, der bleibt ein alt fleiſchlich Zorn-Kind Adams, in welchem der Zorn inwendig mit aller Macht lebt, ob gleich er von auſſen nicht geſpuͤrrt werden mag. Es iſt eine ſchlechte Sach, bey ſtiller Ruh nicht haſſen; wie ſich heimliche, hoffaͤrtige Heuchler damit ſchmeichlen, und haben doch nur eine falſche eigen- nuͤtzige Liebe, wie die Heyden und Zoͤllner.
§. 5. Es iſt kurtzunt der Natur unmoͤglich, ſich auch dannzumahlEin Mu- ſter der rechtſchaf- fenen Liebe ge- gen die Feinde ſind die er- ſten Chri- ſten und Marty- rer. nicht zu entruͤſten, wann dir einer auf Ehre, Leib und Leben gehet, und dein Verderben durſtiglich ſuchet; GOTT gebe es dann: Kanſt du aber ſolche Wunder-Zeichen thun, ſo jauchtze und dancke GOTT; dann es iſt dir wahrhafftig Gnade wiederfahren, und du biſt gezehlet zu den Maͤrtyreren und erſten Chriſten, von denen man folgendes lieſet. „Jhre Leutſeeligkeit und Freundlichkeit erſtreckte „ſich nicht allein gegen ihre Freunde, ſondern reichete auch biß an „ihre groͤſſeſte Feinde; dann wann ihre Verfolger kranck wurden, „oder ſonſten in Noͤthen geriethen, oder mit einer Plage vom HEr- „ren heimgeſucht wurden, als da ſie in greulichen Peſt-Zeiten von „ihren naͤchſten Bluts-Verwandten verlaſſen da lagen; ſo waren „dieſe beleydigte Chriſten, welche kurtz zuvor von ihnen verfolget „waren, bereit ihnen ihre Dienſt anzubieten, ſie halffen ihnen, ſie „troͤſteten ſie, ſie vermahnten ſie, ſie ſtuhnden bey ihren Betteren, „und botten ihnen ihre huͤlffreiche Hand, ſie erhielten und ſpeißten „ſie, ſie verſuͤßten ihre Wunden, und mit ſonderbar groſſem und
„groß-
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hervor bluͤhende Lilien-Zweig.
Gewiß, je mehr man ſich erzuͤrnt, je mehr man ſich erzuͤrnen muß;
und wird ein groſſer Dorn-Buſch ſchwehrer ausgeriſſen, als ein klei-
nes Staͤudlein; ſo gar wird unſer Will anderswohin gezogen und
gefangen als zur Erfuͤllung des Geſetzes, und von dieſem unend-
lichen Elend, kan uns niemand als GOttes Sohn frey machen.
§. 4. Bilde dir deßwegen nicht ein, daß du laͤnger und wei-
ter hin GOttes liebes Gebott halten moͤgeſt, mit froͤhlichem Muth
und verborgenem Gnadenreichen Willen, als aber Chriſtus mit ſei-
ner Gnad und Heil. Geiſt in dir wuͤrcket; dann ſo bald das Einſau-
gen und Einziehen des ſanfft himmliſchen Lebens JESU nachlaſſet,
ſo bald erſchwachet auch die Liebe gegen dem Naͤchſten, oder ſie wird
mit fremden Einfaͤllen wuͤſt befleckt.
Der im-
merwaͤh-
rende Ein-
fluß JEſu
iſt zur
Feindes-
Liebe noͤ-
thig.
Kurtz, wer nicht aus Chriſto ein Chriſt, das iſt, eine neue geiſt-
liche Liebes-Geburt wird, der bleibt ein alt fleiſchlich Zorn-Kind
Adams, in welchem der Zorn inwendig mit aller Macht lebt, ob
gleich er von auſſen nicht geſpuͤrrt werden mag. Es iſt eine ſchlechte
Sach, bey ſtiller Ruh nicht haſſen; wie ſich heimliche, hoffaͤrtige
Heuchler damit ſchmeichlen, und haben doch nur eine falſche eigen-
nuͤtzige Liebe, wie die Heyden und Zoͤllner.
§. 5. Es iſt kurtzunt der Natur unmoͤglich, ſich auch dannzumahl
nicht zu entruͤſten, wann dir einer auf Ehre, Leib und Leben gehet,
und dein Verderben durſtiglich ſuchet; GOTT gebe es dann:
Kanſt du aber ſolche Wunder-Zeichen thun, ſo jauchtze und dancke
GOTT; dann es iſt dir wahrhafftig Gnade wiederfahren, und du
biſt gezehlet zu den Maͤrtyreren und erſten Chriſten, von denen man
folgendes lieſet. „Jhre Leutſeeligkeit und Freundlichkeit erſtreckte
„ſich nicht allein gegen ihre Freunde, ſondern reichete auch biß an
„ihre groͤſſeſte Feinde; dann wann ihre Verfolger kranck wurden,
„oder ſonſten in Noͤthen geriethen, oder mit einer Plage vom HEr-
„ren heimgeſucht wurden, als da ſie in greulichen Peſt-Zeiten von
„ihren naͤchſten Bluts-Verwandten verlaſſen da lagen; ſo waren
„dieſe beleydigte Chriſten, welche kurtz zuvor von ihnen verfolget
„waren, bereit ihnen ihre Dienſt anzubieten, ſie halffen ihnen, ſie
„troͤſteten ſie, ſie vermahnten ſie, ſie ſtuhnden bey ihren Betteren,
„und botten ihnen ihre huͤlffreiche Hand, ſie erhielten und ſpeißten
„ſie, ſie verſuͤßten ihre Wunden, und mit ſonderbar groſſem und
„groß-
Ein Mu-
ſter der
rechtſchaf-
fenen
Liebe ge-
gen die
Feinde
ſind die er-
ſten Chri-
ſten und
Marty-
rer.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/823>, abgerufen am 22.11.2024.
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