Ach wann will der sumpfichte Morast dermaleinst ausgetröcknet wer- den, daß mein Hertz ein schöner Frühlings-Garten seyn könne dir meinem GOTT.
da sind Eißfelsen der Si- cherheit.
§. 5. Es sind auch Felsen da der Sicherheit und Leichtsinnigkeit, man habe noch Zeit übrig zu dem grossen und schlechterdingen nöthigen Werck der Wiedergeburt oder Erneuerung zur geistlichen Som- mers-Zeit, da es doch bey denen meisten Frommen schon weit hin- aus im Jahr ist, und noch bey nahe alles mit Eiß und Schnee eines gar zu kalten, fruchtlosen Christenthums bedeckt und verschlossen lie- get: Ach wer mag diese Felsen schleiffen, daß wir unsere Schuldig- keit gegen JEsu, der unser Hertzens-Sonne seyn will, besser zu Her- tzen ziehen und auch unser eigen Heyl bedencken, was unser Looß seyn werde in der so langen Ewigkeit, dahin uns die kurtze Lebens- Zeit hinführet.
und Schnee- berg der hohen Ein- bildungen.
§. 6. Aber was sage ich? Da sind auch hohe Berge der Einbil- dungen und selbst Schmeicheleyen, man seye in einem besseren Stand als mancher im Dorf, Stadt und Land, man habe Er- kanntnuß der Religion, ein gut Gewissen und frommen Wandel, und in dieser Einbildung bleibt man so weit entfernet vom Leben des Sohns GOttes als der Himmel von der Erden, und so ungleich warhafftig erleuchteten, gerechtfertigten und geheiligten, als ein ho- her Schneeberg einem fruchtbaren, wohlgebauten Thal, allwo alles grünet und blühet; dann GOtt widerstehet den Hoffärtigen/ den Demüthigen aber gibt er Gnad. Die Sonnenstrahlen streichen der gar zu hohen Bergen Spitzen vorbey, und sparen ihre gesegne- te Einflüsse und Wunder-Kräffte vor das tieff und niedrig ligende flache Land, allda sie sich sammlen und verdopplen, also siehet GOtt auf die Elenden und die zerknirschten Geistes sind; seine Gnade su- chet ledige, offene, niedrige Hertzen, und weilen sie deren noch zur Zeit leyder wenig auf Erden findt, so theilet sie ihre Gaben und Seligkeiten ihnen desto reichlicher mit, die mit Begierd darauf war- ten, daß sie alle Gnadenblicke in sich einfassen, und zur Fruchtbar- keit anwenden, nicht aber, wie es die hohen Menschen-Berge ma- chen, die mit dem Sonnenschein ihrer Gelehrtheit und Wissenschafft nur prangen, selbigen von erhabenen Stellen hinunter sehen lassen weit und breit, aber nichts weiter darmit ausrichten, als daß sie ei- ne kleine Augen- oder Ohren-Weid geben, ohne einige Früchte wah-
rer
Der geiſtliche Fruͤhling.
Ach wann will der ſumpfichte Moraſt dermaleinſt ausgetroͤcknet wer- den, daß mein Hertz ein ſchoͤner Fruͤhlings-Garten ſeyn koͤnne dir meinem GOTT.
da ſind Eißfelſen der Si- cherheit.
§. 5. Es ſind auch Felſen da der Sicherheit und Leichtſinnigkeit, man habe noch Zeit uͤbrig zu dem groſſen und ſchlechterdingen noͤthigen Werck der Wiedergeburt oder Erneuerung zur geiſtlichen Som- mers-Zeit, da es doch bey denen meiſten Frommen ſchon weit hin- aus im Jahr iſt, und noch bey nahe alles mit Eiß und Schnee eines gar zu kalten, fruchtloſen Chriſtenthums bedeckt und verſchloſſen lie- get: Ach wer mag dieſe Felſen ſchleiffen, daß wir unſere Schuldig- keit gegen JEſu, der unſer Hertzens-Sonne ſeyn will, beſſer zu Her- tzen ziehen und auch unſer eigen Heyl bedencken, was unſer Looß ſeyn werde in der ſo langen Ewigkeit, dahin uns die kurtze Lebens- Zeit hinfuͤhret.
und Schnee- berg der hohen Ein- bildungen.
§. 6. Aber was ſage ich? Da ſind auch hohe Berge der Einbil- dungen und ſelbſt Schmeicheleyen, man ſeye in einem beſſeren Stand als mancher im Dorf, Stadt und Land, man habe Er- kanntnuß der Religion, ein gut Gewiſſen und frommen Wandel, und in dieſer Einbildung bleibt man ſo weit entfernet vom Leben des Sohns GOttes als der Himmel von der Erden, und ſo ungleich warhafftig erleuchteten, gerechtfertigten und geheiligten, als ein ho- her Schneeberg einem fruchtbaren, wohlgebauten Thal, allwo alles gruͤnet und bluͤhet; dann GOtt widerſtehet den Hoffaͤrtigen/ den Demuͤthigen aber gibt er Gnad. Die Sonnenſtrahlen ſtreichen der gar zu hohen Bergen Spitzen vorbey, und ſparen ihre geſegne- te Einfluͤſſe und Wunder-Kraͤffte vor das tieff und niedrig ligende flache Land, allda ſie ſich ſammlen und verdopplen, alſo ſiehet GOtt auf die Elenden und die zerknirſchten Geiſtes ſind; ſeine Gnade ſu- chet ledige, offene, niedrige Hertzen, und weilen ſie deren noch zur Zeit leyder wenig auf Erden findt, ſo theilet ſie ihre Gaben und Seligkeiten ihnen deſto reichlicher mit, die mit Begierd darauf war- ten, daß ſie alle Gnadenblicke in ſich einfaſſen, und zur Fruchtbar- keit anwenden, nicht aber, wie es die hohen Menſchen-Berge ma- chen, die mit dem Sonnenſchein ihrer Gelehrtheit und Wiſſenſchafft nur prangen, ſelbigen von erhabenen Stellen hinunter ſehen laſſen weit und breit, aber nichts weiter darmit ausrichten, als daß ſie ei- ne kleine Augen- oder Ohren-Weid geben, ohne einige Fruͤchte wah-
rer
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Der geiſtliche Fruͤhling.
Ach wann will der ſumpfichte Moraſt dermaleinſt ausgetroͤcknet wer-
den, daß mein Hertz ein ſchoͤner Fruͤhlings-Garten ſeyn koͤnne dir
meinem GOTT.
§. 5. Es ſind auch Felſen da der Sicherheit und Leichtſinnigkeit,
man habe noch Zeit uͤbrig zu dem groſſen und ſchlechterdingen noͤthigen
Werck der Wiedergeburt oder Erneuerung zur geiſtlichen Som-
mers-Zeit, da es doch bey denen meiſten Frommen ſchon weit hin-
aus im Jahr iſt, und noch bey nahe alles mit Eiß und Schnee eines
gar zu kalten, fruchtloſen Chriſtenthums bedeckt und verſchloſſen lie-
get: Ach wer mag dieſe Felſen ſchleiffen, daß wir unſere Schuldig-
keit gegen JEſu, der unſer Hertzens-Sonne ſeyn will, beſſer zu Her-
tzen ziehen und auch unſer eigen Heyl bedencken, was unſer Looß
ſeyn werde in der ſo langen Ewigkeit, dahin uns die kurtze Lebens-
Zeit hinfuͤhret.
§. 6. Aber was ſage ich? Da ſind auch hohe Berge der Einbil-
dungen und ſelbſt Schmeicheleyen, man ſeye in einem beſſeren
Stand als mancher im Dorf, Stadt und Land, man habe Er-
kanntnuß der Religion, ein gut Gewiſſen und frommen Wandel,
und in dieſer Einbildung bleibt man ſo weit entfernet vom Leben des
Sohns GOttes als der Himmel von der Erden, und ſo ungleich
warhafftig erleuchteten, gerechtfertigten und geheiligten, als ein ho-
her Schneeberg einem fruchtbaren, wohlgebauten Thal, allwo alles
gruͤnet und bluͤhet; dann GOtt widerſtehet den Hoffaͤrtigen/ den
Demuͤthigen aber gibt er Gnad. Die Sonnenſtrahlen ſtreichen
der gar zu hohen Bergen Spitzen vorbey, und ſparen ihre geſegne-
te Einfluͤſſe und Wunder-Kraͤffte vor das tieff und niedrig ligende
flache Land, allda ſie ſich ſammlen und verdopplen, alſo ſiehet GOtt
auf die Elenden und die zerknirſchten Geiſtes ſind; ſeine Gnade ſu-
chet ledige, offene, niedrige Hertzen, und weilen ſie deren noch zur
Zeit leyder wenig auf Erden findt, ſo theilet ſie ihre Gaben und
Seligkeiten ihnen deſto reichlicher mit, die mit Begierd darauf war-
ten, daß ſie alle Gnadenblicke in ſich einfaſſen, und zur Fruchtbar-
keit anwenden, nicht aber, wie es die hohen Menſchen-Berge ma-
chen, die mit dem Sonnenſchein ihrer Gelehrtheit und Wiſſenſchafft
nur prangen, ſelbigen von erhabenen Stellen hinunter ſehen laſſen
weit und breit, aber nichts weiter darmit ausrichten, als daß ſie ei-
ne kleine Augen- oder Ohren-Weid geben, ohne einige Fruͤchte wah-
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/430>, abgerufen am 25.11.2024.
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