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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Der geistliche Frühling.
nod nach a: wie hat ers dann nicht ergriffen, ist dann Christi Ein-
wohnung und Belebung nicht Kleinods genug? Ey was sucht dann der
liebe Paulus wohl? er hatte einen guten Theil von der neuen Welt,
aber diesen laßt er dahinden, er vergißts, strecket sich nach denen
Schätzen, deren heller Schein ihne zum Lauff hurtig macht, er ei-
let wie ein Wald-Wasser über Stock und Steinen in das volle Meer
hinein, er übersteiget alle Hindernussen, ergiesset sich in die Fülle der
Gottheit, so in JEsu leibhafftig wohnet, um sich darinnen gleich-
sam zu verlieren.

§. 13. Darbey sehen wir, was die Seel zu thun habe, obschonSondern
nach meh-
reren
trachten.

sie ihr selbsten vorkommt, als seye sie truncken von der Liebe GOttes,
sie habe alles, es fehle ihr nichts mehr, muß sie dennoch gedencken,
es seye ihr noch das Frühstuck aufgetischet, es könne sich noch vieles
zutragen, ehe sie den Safft aller Göttlichen Wahrheiten in sich ge-
sogen; Ach liebe Zuhörer, wir haben nur noch etwelche wenige
Früchtlein vom Lebens-Baum genossen. Unabläßig muß ein Zions-
Burger die Himmels-Leiter hinan steigen von dem in der Krippen li-
genden JEsulein, biß zu dem in des Vatters Rechten erhöheten JE-
su, von dem Blut-schwitzenden, zergeißleten, gekelterten biß zu dem
mit Herrlichkeit und Ehre gecrönten JEsu; biß die Seel eingehen-
de durch die Thor des himmlischen Jerusalems den König in seiner
eigentlichen Gestalt sehen kan, wie wirds ihr dann zumahl zu Muth
seyn, wann ihr JEsus wincket, sagende: komm und ererbe das Reich,
du Gesegnete! O Mensch gedencke, du könnest dich nicht allzu früh
auf den Weg machen zu JEsu, du hast eine grosse Reiß vor dir, wo
du dich nicht bey Zeiten dahin begibst, so stehest du in der Gefahr von
der Nacht überfallen zu werden, da niemand würcken oder wandlen
kan, und also die Stadt-Thor beschlossen zu finden: wann einer
schon von seiner Kindheit an, alle Tag JEsu näher käme, wurde er
doch kaum alles ergreiffen und entdecken, was den Streiteren auf
Erden bestimmt ist, es bliebe noch unbeschreiblichlich vieles zuruck.
Wann wir mit Ernst betrachteten den Sinn des Geistes GOttes
in den Propheten und Aposteln, wir wurden sehen, wie weit wir
noch vom Ritter-Kräntzlein entfernet sind, und uns kein Ruh gön-
nen, biß wir gefunden hätten, was jene besessen haben, und uns

anrüh-
a Phil. III.
N n 2

Der geiſtliche Fruͤhling.
nod nach a: wie hat ers dann nicht ergriffen, iſt dann Chriſti Ein-
wohnung und Belebung nicht Kleinods genug? Ey was ſucht dann der
liebe Paulus wohl? er hatte einen guten Theil von der neuen Welt,
aber dieſen laßt er dahinden, er vergißts, ſtrecket ſich nach denen
Schaͤtzen, deren heller Schein ihne zum Lauff hurtig macht, er ei-
let wie ein Wald-Waſſer uͤber Stock und Steinen in das volle Meer
hinein, er uͤberſteiget alle Hindernuſſen, ergieſſet ſich in die Fuͤlle der
Gottheit, ſo in JEſu leibhafftig wohnet, um ſich darinnen gleich-
ſam zu verlieren.

§. 13. Darbey ſehen wir, was die Seel zu thun habe, obſchonSondern
nach meh-
reren
trachten.

ſie ihr ſelbſten vorkommt, als ſeye ſie truncken von der Liebe GOttes,
ſie habe alles, es fehle ihr nichts mehr, muß ſie dennoch gedencken,
es ſeye ihr noch das Fruͤhſtuck aufgetiſchet, es koͤnne ſich noch vieles
zutragen, ehe ſie den Safft aller Goͤttlichen Wahrheiten in ſich ge-
ſogen; Ach liebe Zuhoͤrer, wir haben nur noch etwelche wenige
Fruͤchtlein vom Lebens-Baum genoſſen. Unablaͤßig muß ein Zions-
Burger die Himmels-Leiter hinan ſteigen von dem in der Krippen li-
genden JEſulein, biß zu dem in des Vatters Rechten erhoͤheten JE-
ſu, von dem Blut-ſchwitzenden, zergeißleten, gekelterten biß zu dem
mit Herrlichkeit und Ehre gecroͤnten JEſu; biß die Seel eingehen-
de durch die Thor des himmliſchen Jeruſalems den Koͤnig in ſeiner
eigentlichen Geſtalt ſehen kan, wie wirds ihr dann zumahl zu Muth
ſeyn, wann ihr JEſus wincket, ſagende: komm und ererbe das Reich,
du Geſegnete! O Menſch gedencke, du koͤnneſt dich nicht allzu fruͤh
auf den Weg machen zu JEſu, du haſt eine groſſe Reiß vor dir, wo
du dich nicht bey Zeiten dahin begibſt, ſo ſteheſt du in der Gefahr von
der Nacht uͤberfallen zu werden, da niemand wuͤrcken oder wandlen
kan, und alſo die Stadt-Thor beſchloſſen zu finden: wann einer
ſchon von ſeiner Kindheit an, alle Tag JEſu naͤher kaͤme, wurde er
doch kaum alles ergreiffen und entdecken, was den Streiteren auf
Erden beſtimmt iſt, es bliebe noch unbeſchreiblichlich vieles zuruck.
Wann wir mit Ernſt betrachteten den Sinn des Geiſtes GOttes
in den Propheten und Apoſteln, wir wurden ſehen, wie weit wir
noch vom Ritter-Kraͤntzlein entfernet ſind, und uns kein Ruh goͤn-
nen, biß wir gefunden haͤtten, was jene beſeſſen haben, und uns

anruͤh-
a Phil. III.
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[283/0379] Der geiſtliche Fruͤhling. nod nach a: wie hat ers dann nicht ergriffen, iſt dann Chriſti Ein- wohnung und Belebung nicht Kleinods genug? Ey was ſucht dann der liebe Paulus wohl? er hatte einen guten Theil von der neuen Welt, aber dieſen laßt er dahinden, er vergißts, ſtrecket ſich nach denen Schaͤtzen, deren heller Schein ihne zum Lauff hurtig macht, er ei- let wie ein Wald-Waſſer uͤber Stock und Steinen in das volle Meer hinein, er uͤberſteiget alle Hindernuſſen, ergieſſet ſich in die Fuͤlle der Gottheit, ſo in JEſu leibhafftig wohnet, um ſich darinnen gleich- ſam zu verlieren. §. 13. Darbey ſehen wir, was die Seel zu thun habe, obſchon ſie ihr ſelbſten vorkommt, als ſeye ſie truncken von der Liebe GOttes, ſie habe alles, es fehle ihr nichts mehr, muß ſie dennoch gedencken, es ſeye ihr noch das Fruͤhſtuck aufgetiſchet, es koͤnne ſich noch vieles zutragen, ehe ſie den Safft aller Goͤttlichen Wahrheiten in ſich ge- ſogen; Ach liebe Zuhoͤrer, wir haben nur noch etwelche wenige Fruͤchtlein vom Lebens-Baum genoſſen. Unablaͤßig muß ein Zions- Burger die Himmels-Leiter hinan ſteigen von dem in der Krippen li- genden JEſulein, biß zu dem in des Vatters Rechten erhoͤheten JE- ſu, von dem Blut-ſchwitzenden, zergeißleten, gekelterten biß zu dem mit Herrlichkeit und Ehre gecroͤnten JEſu; biß die Seel eingehen- de durch die Thor des himmliſchen Jeruſalems den Koͤnig in ſeiner eigentlichen Geſtalt ſehen kan, wie wirds ihr dann zumahl zu Muth ſeyn, wann ihr JEſus wincket, ſagende: komm und ererbe das Reich, du Geſegnete! O Menſch gedencke, du koͤnneſt dich nicht allzu fruͤh auf den Weg machen zu JEſu, du haſt eine groſſe Reiß vor dir, wo du dich nicht bey Zeiten dahin begibſt, ſo ſteheſt du in der Gefahr von der Nacht uͤberfallen zu werden, da niemand wuͤrcken oder wandlen kan, und alſo die Stadt-Thor beſchloſſen zu finden: wann einer ſchon von ſeiner Kindheit an, alle Tag JEſu naͤher kaͤme, wurde er doch kaum alles ergreiffen und entdecken, was den Streiteren auf Erden beſtimmt iſt, es bliebe noch unbeſchreiblichlich vieles zuruck. Wann wir mit Ernſt betrachteten den Sinn des Geiſtes GOttes in den Propheten und Apoſteln, wir wurden ſehen, wie weit wir noch vom Ritter-Kraͤntzlein entfernet ſind, und uns kein Ruh goͤn- nen, biß wir gefunden haͤtten, was jene beſeſſen haben, und uns anruͤh- Sondern nach meh- reren trachten. a Phil. III. N n 2

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/379>, abgerufen am 25.11.2024.