Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

Evangelii JESU.
sich ein Hauß, die Bäume tragen ihre schöne Früchte alljährlich, die
Vögel loben ihren GOtt mit ihrem Gesang, die Schwalben wissen
ihre Zeit, sie wissen wann der Sommer kommt: Die Ameisen samm-
len bey schönem warmen Wetter auf den Tag der Noth, ein dummer
Ochs kennet seinen Herrn, und ein Hund lauffet durch dick und dünn
seinem Meister nach. Ach! und ich elender Mensch, was mach ich
doch? Jch bin allein GOtt ungehorsam und widerspenstig, thue ihm
alles zuwider: derowegen muß ich mich für allen Creaturen schämen,
sie klagen mich als einen undanckbaren und Verdammnuß-würdigen
Menschen an. Jch darff nicht um mich sehen, sondern muß meine
Augen, wie ein armer, ausgeführter Missethäter, nidsich schlagen,
weilen mich alles zu schanden macht, wo ich mich umsehe.

§. 15. Jn diesem Zustand will sich alsdann der Mensch selber helf-Und wei-
len der
Mensch
sich selb-
sten aus
diesem E-
lend nicht
helffen
kan.

fen, und macht tausend Vorsätz ein ander Leben zu führen, greiffet
zu diesem und jenem äusserlichen Mittel, probirt dieses und jenes, und
meynet, er wolle es erzwingen; aber alles vergebens, je mehr er sich
aus eigenen Kräfften bearbeitet, aus dieser schlammichten Gruben
hinaus zu würcken, je tieffer sinckt er hinein. Je eyfferiger er seine
böse Natur aus Eigenheit bezwingen will, je grimmiger und wilder
sie wird. Je stärcker Moses aus Befehl GOttes bey einem in dem
geistlichen Egypten sitzenden Menschen ansetzet, ihn in das himmlische
Canaan zu führen, je mehr der höllische Pharao auf ihn zustürmet, und
das Joch ihm nur desto unerträglicher machet, biß er endlich seine
Sünden als ein höllisch Heer-Lager, in voller Schlacht-Ordnung vor
sich stehen sihet; da dann aller Muth versinckt, und er an allen seinen
eigenen Kräfften verzaget. Da, da lernet er aus eigener Erfahrung,
daß das Zeugnuß GOttes wahrhafftig sey, da er zeuget, daß alles
Fleisch in Sünden verfaulet, verdorret, vermoderet, und daß keine
gute, heilige, Seel-erquickende Gedancken von dem natürlichen Men-
schen kommen können. Das hat er auf diese Weise vom Vatter ge-
hört und gelernet; darauf sagt er Ja und Amen: Ja es ist wahr, O
HErr, es ist wahr; Jch sihe von meiner Jugend auf nichts als Sünd
und Greuel in meinem gantzen Leben, welches ich, nur dich zu entun-
ehren, angewendet, ich hätte wohl verdienet ein Gedenck-Säule dei-
ner Rach zu werden. Wo soll ich mich dann hinwenden?

§. 16. Wann dann auf solche Weise der Sünder seine Augen al-So wen-
det er sich
zu JEsu.

lenthalben hinwendet, so sihet er endlich einen aus tausenden, seinen

Goel

Evangelii JESU.
ſich ein Hauß, die Baͤume tragen ihre ſchoͤne Fruͤchte alljaͤhrlich, die
Voͤgel loben ihren GOtt mit ihrem Geſang, die Schwalben wiſſen
ihre Zeit, ſie wiſſen wann der Sommer kommt: Die Ameiſen ſamm-
len bey ſchoͤnem warmen Wetter auf den Tag der Noth, ein dummer
Ochs kennet ſeinen Herrn, und ein Hund lauffet durch dick und duͤnn
ſeinem Meiſter nach. Ach! und ich elender Menſch, was mach ich
doch? Jch bin allein GOtt ungehorſam und widerſpenſtig, thue ihm
alles zuwider: derowegen muß ich mich fuͤr allen Creaturen ſchaͤmen,
ſie klagen mich als einen undanckbaren und Verdammnuß-wuͤrdigen
Menſchen an. Jch darff nicht um mich ſehen, ſondern muß meine
Augen, wie ein armer, ausgefuͤhrter Miſſethaͤter, nidſich ſchlagen,
weilen mich alles zu ſchanden macht, wo ich mich umſehe.

§. 15. Jn dieſem Zuſtand will ſich alsdann der Menſch ſelber helf-Und wei-
len der
Menſch
ſich ſelb-
ſten aus
dieſem E-
lend nicht
helffen
kan.

fen, und macht tauſend Vorſaͤtz ein ander Leben zu fuͤhren, greiffet
zu dieſem und jenem aͤuſſerlichen Mittel, probirt dieſes und jenes, und
meynet, er wolle es erzwingen; aber alles vergebens, je mehr er ſich
aus eigenen Kraͤfften bearbeitet, aus dieſer ſchlammichten Gruben
hinaus zu wuͤrcken, je tieffer ſinckt er hinein. Je eyfferiger er ſeine
boͤſe Natur aus Eigenheit bezwingen will, je grimmiger und wilder
ſie wird. Je ſtaͤrcker Moſes aus Befehl GOttes bey einem in dem
geiſtlichen Egypten ſitzenden Menſchen anſetzet, ihn in das himmliſche
Canaan zu fuͤhren, je mehr der hoͤlliſche Pharao auf ihn zuſtuͤrmet, und
das Joch ihm nur deſto unertraͤglicher machet, biß er endlich ſeine
Suͤnden als ein hoͤlliſch Heer-Lager, in voller Schlacht-Ordnung vor
ſich ſtehen ſihet; da dann aller Muth verſinckt, und er an allen ſeinen
eigenen Kraͤfften verzaget. Da, da lernet er aus eigener Erfahrung,
daß das Zeugnuß GOttes wahrhafftig ſey, da er zeuget, daß alles
Fleiſch in Suͤnden verfaulet, verdorret, vermoderet, und daß keine
gute, heilige, Seel-erquickende Gedancken von dem natuͤrlichen Men-
ſchen kommen koͤnnen. Das hat er auf dieſe Weiſe vom Vatter ge-
hoͤrt und gelernet; darauf ſagt er Ja und Amen: Ja es iſt wahr, O
HErr, es iſt wahr; Jch ſihe von meiner Jugend auf nichts als Suͤnd
und Greuel in meinem gantzen Leben, welches ich, nur dich zu entun-
ehren, angewendet, ich haͤtte wohl verdienet ein Gedenck-Saͤule dei-
ner Rach zu werden. Wo ſoll ich mich dann hinwenden?

§. 16. Wann dann auf ſolche Weiſe der Suͤnder ſeine Augen al-So wen-
det er ſich
zu JEſu.

lenthalben hinwendet, ſo ſihet er endlich einen aus tauſenden, ſeinen

Goel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0119" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Evangelii JESU.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ich ein Hauß, die Ba&#x0364;ume tragen ihre &#x017F;cho&#x0364;ne Fru&#x0364;chte allja&#x0364;hrlich, die<lb/>
Vo&#x0364;gel loben ihren GOtt mit ihrem Ge&#x017F;ang, die Schwalben wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ihre Zeit, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en wann der Sommer kommt: Die Amei&#x017F;en &#x017F;amm-<lb/>
len bey &#x017F;cho&#x0364;nem warmen Wetter auf den Tag der Noth, ein dummer<lb/>
Ochs kennet &#x017F;einen Herrn, und ein Hund lauffet durch dick und du&#x0364;nn<lb/>
&#x017F;einem Mei&#x017F;ter nach. Ach! und ich elender Men&#x017F;ch, was mach ich<lb/>
doch? Jch bin allein GOtt ungehor&#x017F;am und wider&#x017F;pen&#x017F;tig, thue ihm<lb/>
alles zuwider: derowegen muß ich mich fu&#x0364;r allen Creaturen &#x017F;cha&#x0364;men,<lb/>
&#x017F;ie klagen mich als einen undanckbaren und Verdammnuß-wu&#x0364;rdigen<lb/>
Men&#x017F;chen an. Jch darff nicht um mich &#x017F;ehen, &#x017F;ondern muß meine<lb/>
Augen, wie ein armer, ausgefu&#x0364;hrter Mi&#x017F;&#x017F;etha&#x0364;ter, nid&#x017F;ich &#x017F;chlagen,<lb/>
weilen mich alles zu &#x017F;chanden macht, wo ich mich um&#x017F;ehe.</p><lb/>
          <p>§. 15. Jn die&#x017F;em Zu&#x017F;tand will &#x017F;ich alsdann der Men&#x017F;ch &#x017F;elber helf-<note place="right">Und wei-<lb/>
len der<lb/>
Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;ten aus<lb/>
die&#x017F;em E-<lb/>
lend nicht<lb/>
helffen<lb/>
kan.</note><lb/>
fen, und macht tau&#x017F;end Vor&#x017F;a&#x0364;tz ein ander Leben zu fu&#x0364;hren, greiffet<lb/>
zu die&#x017F;em und jenem a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Mittel, probirt die&#x017F;es und jenes, und<lb/>
meynet, er wolle es erzwingen; aber alles vergebens, je mehr er &#x017F;ich<lb/>
aus eigenen Kra&#x0364;fften bearbeitet, aus die&#x017F;er &#x017F;chlammichten Gruben<lb/>
hinaus zu wu&#x0364;rcken, je tieffer &#x017F;inckt er hinein. Je eyfferiger er &#x017F;eine<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e Natur aus Eigenheit bezwingen will, je grimmiger und wilder<lb/>
&#x017F;ie wird. Je &#x017F;ta&#x0364;rcker Mo&#x017F;es aus Befehl GOttes bey einem in dem<lb/>
gei&#x017F;tlichen Egypten &#x017F;itzenden Men&#x017F;chen an&#x017F;etzet, ihn in das himmli&#x017F;che<lb/>
Canaan zu fu&#x0364;hren, je mehr der ho&#x0364;lli&#x017F;che Pharao auf ihn zu&#x017F;tu&#x0364;rmet, und<lb/>
das Joch ihm nur de&#x017F;to unertra&#x0364;glicher machet, biß er endlich &#x017F;eine<lb/>
Su&#x0364;nden als ein ho&#x0364;lli&#x017F;ch Heer-Lager, in voller Schlacht-Ordnung vor<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;tehen &#x017F;ihet; da dann aller Muth ver&#x017F;inckt, und er an allen &#x017F;einen<lb/>
eigenen Kra&#x0364;fften verzaget. Da, da lernet er aus eigener Erfahrung,<lb/>
daß das Zeugnuß GOttes wahrhafftig &#x017F;ey, da er zeuget, daß alles<lb/>
Flei&#x017F;ch in Su&#x0364;nden verfaulet, verdorret, vermoderet, und daß keine<lb/>
gute, heilige, Seel-erquickende Gedancken von dem natu&#x0364;rlichen Men-<lb/>
&#x017F;chen kommen ko&#x0364;nnen. Das hat er auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e vom Vatter ge-<lb/>
ho&#x0364;rt und gelernet; darauf &#x017F;agt er Ja und Amen: Ja es i&#x017F;t wahr, O<lb/>
HErr, es i&#x017F;t wahr; Jch &#x017F;ihe von meiner Jugend auf nichts als Su&#x0364;nd<lb/>
und Greuel in meinem gantzen Leben, welches ich, nur dich zu entun-<lb/>
ehren, angewendet, ich ha&#x0364;tte wohl verdienet ein Gedenck-Sa&#x0364;ule dei-<lb/>
ner Rach zu werden. Wo &#x017F;oll ich mich dann hinwenden?</p><lb/>
          <p>§. 16. Wann dann auf &#x017F;olche Wei&#x017F;e der Su&#x0364;nder &#x017F;eine Augen al-<note place="right">So wen-<lb/>
det er &#x017F;ich<lb/>
zu JE&#x017F;u.</note><lb/>
lenthalben hinwendet, &#x017F;o &#x017F;ihet er endlich einen aus tau&#x017F;enden, &#x017F;einen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Goel</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0119] Evangelii JESU. ſich ein Hauß, die Baͤume tragen ihre ſchoͤne Fruͤchte alljaͤhrlich, die Voͤgel loben ihren GOtt mit ihrem Geſang, die Schwalben wiſſen ihre Zeit, ſie wiſſen wann der Sommer kommt: Die Ameiſen ſamm- len bey ſchoͤnem warmen Wetter auf den Tag der Noth, ein dummer Ochs kennet ſeinen Herrn, und ein Hund lauffet durch dick und duͤnn ſeinem Meiſter nach. Ach! und ich elender Menſch, was mach ich doch? Jch bin allein GOtt ungehorſam und widerſpenſtig, thue ihm alles zuwider: derowegen muß ich mich fuͤr allen Creaturen ſchaͤmen, ſie klagen mich als einen undanckbaren und Verdammnuß-wuͤrdigen Menſchen an. Jch darff nicht um mich ſehen, ſondern muß meine Augen, wie ein armer, ausgefuͤhrter Miſſethaͤter, nidſich ſchlagen, weilen mich alles zu ſchanden macht, wo ich mich umſehe. §. 15. Jn dieſem Zuſtand will ſich alsdann der Menſch ſelber helf- fen, und macht tauſend Vorſaͤtz ein ander Leben zu fuͤhren, greiffet zu dieſem und jenem aͤuſſerlichen Mittel, probirt dieſes und jenes, und meynet, er wolle es erzwingen; aber alles vergebens, je mehr er ſich aus eigenen Kraͤfften bearbeitet, aus dieſer ſchlammichten Gruben hinaus zu wuͤrcken, je tieffer ſinckt er hinein. Je eyfferiger er ſeine boͤſe Natur aus Eigenheit bezwingen will, je grimmiger und wilder ſie wird. Je ſtaͤrcker Moſes aus Befehl GOttes bey einem in dem geiſtlichen Egypten ſitzenden Menſchen anſetzet, ihn in das himmliſche Canaan zu fuͤhren, je mehr der hoͤlliſche Pharao auf ihn zuſtuͤrmet, und das Joch ihm nur deſto unertraͤglicher machet, biß er endlich ſeine Suͤnden als ein hoͤlliſch Heer-Lager, in voller Schlacht-Ordnung vor ſich ſtehen ſihet; da dann aller Muth verſinckt, und er an allen ſeinen eigenen Kraͤfften verzaget. Da, da lernet er aus eigener Erfahrung, daß das Zeugnuß GOttes wahrhafftig ſey, da er zeuget, daß alles Fleiſch in Suͤnden verfaulet, verdorret, vermoderet, und daß keine gute, heilige, Seel-erquickende Gedancken von dem natuͤrlichen Men- ſchen kommen koͤnnen. Das hat er auf dieſe Weiſe vom Vatter ge- hoͤrt und gelernet; darauf ſagt er Ja und Amen: Ja es iſt wahr, O HErr, es iſt wahr; Jch ſihe von meiner Jugend auf nichts als Suͤnd und Greuel in meinem gantzen Leben, welches ich, nur dich zu entun- ehren, angewendet, ich haͤtte wohl verdienet ein Gedenck-Saͤule dei- ner Rach zu werden. Wo ſoll ich mich dann hinwenden? Und wei- len der Menſch ſich ſelb- ſten aus dieſem E- lend nicht helffen kan. §. 16. Wann dann auf ſolche Weiſe der Suͤnder ſeine Augen al- lenthalben hinwendet, ſo ſihet er endlich einen aus tauſenden, ſeinen Goel So wen- det er ſich zu JEſu.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/119
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/119>, abgerufen am 22.11.2024.