Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Postmeister der letzten Station hatte geben lasten, in den Hof. Der Freiherr empfing ihn mit der gebührenden Förmlichkeit und führte ihn in den Salon, um ihn seiner Tochter vorzustellen, die kaum fähig, sich von ihrem Sitze zu erheben, nicht verstand, was er sagte, und selbst seine Gestalt nur wie unter einem Nebel sah. Die Lippen fast tonlos bewegend, wenn sie sprechen wollte, verbeugte sie sich mechanisch, als nach etwa einer Viertelstunde der Graf sich erhob und dem Freiherrn in ein anderes Gemach folgte. Betäubt, besinnungslos blieb sie zurück, sie wußte nicht wie lange. Es bedurfte jedenfalls geraumer Zeit, ehe sie in der Art von wacher Ohnmacht, in der sie sich befand, deutlich erkannte, daß ihr Vater wieder neben ihr stand und daß der Graf nicht mehr anwesend war. Allmählich faßte sie auch den Sinn der Worte, die zu ihr gesprochen wurden, und die ihr erst nur ein dumpfes Brausen geschienen hatten. Du hast besonderes Glück, sagte der Baron, und ich habe mich schrecklich getäuscht. Als ich mit dem Grafen die materiellen Arrangements treffen wollte, stellte sich heraus, daß er der arme Lothar, nicht der reiche ist. Seltsam! Während man von deiner Verlobung mit Leo Thurn in der Welt noch nicht das Geringste weiß, hat sich doch das Gerücht verbreitet, daß mir große Reichthümer in Aussicht ständen, vielleicht weil in der That durch Thurn auf meinen Namen Güter eingekauft wurden, die dann auf dich über- Postmeister der letzten Station hatte geben lasten, in den Hof. Der Freiherr empfing ihn mit der gebührenden Förmlichkeit und führte ihn in den Salon, um ihn seiner Tochter vorzustellen, die kaum fähig, sich von ihrem Sitze zu erheben, nicht verstand, was er sagte, und selbst seine Gestalt nur wie unter einem Nebel sah. Die Lippen fast tonlos bewegend, wenn sie sprechen wollte, verbeugte sie sich mechanisch, als nach etwa einer Viertelstunde der Graf sich erhob und dem Freiherrn in ein anderes Gemach folgte. Betäubt, besinnungslos blieb sie zurück, sie wußte nicht wie lange. Es bedurfte jedenfalls geraumer Zeit, ehe sie in der Art von wacher Ohnmacht, in der sie sich befand, deutlich erkannte, daß ihr Vater wieder neben ihr stand und daß der Graf nicht mehr anwesend war. Allmählich faßte sie auch den Sinn der Worte, die zu ihr gesprochen wurden, und die ihr erst nur ein dumpfes Brausen geschienen hatten. Du hast besonderes Glück, sagte der Baron, und ich habe mich schrecklich getäuscht. Als ich mit dem Grafen die materiellen Arrangements treffen wollte, stellte sich heraus, daß er der arme Lothar, nicht der reiche ist. Seltsam! Während man von deiner Verlobung mit Leo Thurn in der Welt noch nicht das Geringste weiß, hat sich doch das Gerücht verbreitet, daß mir große Reichthümer in Aussicht ständen, vielleicht weil in der That durch Thurn auf meinen Namen Güter eingekauft wurden, die dann auf dich über- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0048"/> Postmeister der letzten Station hatte geben lasten, in den Hof. Der Freiherr empfing ihn mit der gebührenden Förmlichkeit und führte ihn in den Salon, um ihn seiner Tochter vorzustellen, die kaum fähig, sich von ihrem Sitze zu erheben, nicht verstand, was er sagte, und selbst seine Gestalt nur wie unter einem Nebel sah. Die Lippen fast tonlos bewegend, wenn sie sprechen wollte, verbeugte sie sich mechanisch, als nach etwa einer Viertelstunde der Graf sich erhob und dem Freiherrn in ein anderes Gemach folgte.</p><lb/> <p>Betäubt, besinnungslos blieb sie zurück, sie wußte nicht wie lange. Es bedurfte jedenfalls geraumer Zeit, ehe sie in der Art von wacher Ohnmacht, in der sie sich befand, deutlich erkannte, daß ihr Vater wieder neben ihr stand und daß der Graf nicht mehr anwesend war. Allmählich faßte sie auch den Sinn der Worte, die zu ihr gesprochen wurden, und die ihr erst nur ein dumpfes Brausen geschienen hatten.</p><lb/> <p>Du hast besonderes Glück, sagte der Baron, und ich habe mich schrecklich getäuscht. Als ich mit dem Grafen die materiellen Arrangements treffen wollte, stellte sich heraus, daß er der arme Lothar, nicht der reiche ist. Seltsam! Während man von deiner Verlobung mit Leo Thurn in der Welt noch nicht das Geringste weiß, hat sich doch das Gerücht verbreitet, daß mir große Reichthümer in Aussicht ständen, vielleicht weil in der That durch Thurn auf meinen Namen Güter eingekauft wurden, die dann auf dich über-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
Postmeister der letzten Station hatte geben lasten, in den Hof. Der Freiherr empfing ihn mit der gebührenden Förmlichkeit und führte ihn in den Salon, um ihn seiner Tochter vorzustellen, die kaum fähig, sich von ihrem Sitze zu erheben, nicht verstand, was er sagte, und selbst seine Gestalt nur wie unter einem Nebel sah. Die Lippen fast tonlos bewegend, wenn sie sprechen wollte, verbeugte sie sich mechanisch, als nach etwa einer Viertelstunde der Graf sich erhob und dem Freiherrn in ein anderes Gemach folgte.
Betäubt, besinnungslos blieb sie zurück, sie wußte nicht wie lange. Es bedurfte jedenfalls geraumer Zeit, ehe sie in der Art von wacher Ohnmacht, in der sie sich befand, deutlich erkannte, daß ihr Vater wieder neben ihr stand und daß der Graf nicht mehr anwesend war. Allmählich faßte sie auch den Sinn der Worte, die zu ihr gesprochen wurden, und die ihr erst nur ein dumpfes Brausen geschienen hatten.
Du hast besonderes Glück, sagte der Baron, und ich habe mich schrecklich getäuscht. Als ich mit dem Grafen die materiellen Arrangements treffen wollte, stellte sich heraus, daß er der arme Lothar, nicht der reiche ist. Seltsam! Während man von deiner Verlobung mit Leo Thurn in der Welt noch nicht das Geringste weiß, hat sich doch das Gerücht verbreitet, daß mir große Reichthümer in Aussicht ständen, vielleicht weil in der That durch Thurn auf meinen Namen Güter eingekauft wurden, die dann auf dich über-
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/48>, abgerufen am 17.02.2025. |