Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Ach, ich bin ein zu altes Kind, um den Weihnachtsbaum zu umhüpfen, warf ich noch ein.

O! rief sie, bin ich nicht durch mein Schicksal auch schon eine Greisin? Gewiß hat man mich Ihnen im Dorf unten ein altes Mütterchen genannt, sonst hätten Sie mich nicht in meiner Crescenz zu sehen geglaubt. So zünden wir uns denn heute den Weihnachtsbaum des Alters an: die Erinnerung.

Das schien mir einen willkommenen Ausschluß anzukündigen. Vielleicht, dachte ich, hat das Fremde und Räthselhafte dieser Erscheinung doch noch einen anderen Erklärungsgrund als den schauerlichen, der im Munde der Leute lebt.

V.

Licht, Wärme und Behagen verbreitete der elegant eingerichtete Speisesaal, der uns aufnahm. Ich bemerkte erst jetzt, daß die Toilette des Fräuleins von Börte bei aller Einfachheit nicht ohne Schmuck war und einen beinahe festlichen Anstrich hatte. Dabei übte das Fräulein die kleinen Pflichten gegen den Gast mit einer nach den vorhergegangenen Aeußerungen, welche eine trübe Grundstimmung ihres Wesens gar nicht verbargen, überraschenden Heiterkeit.

Als wir später am Kamin einander gegenüber saßen, konnte ich nicht umhin, ihr darüber eine Bemerkung zu machen. Sie waren wohl immer sehr glück-

Ach, ich bin ein zu altes Kind, um den Weihnachtsbaum zu umhüpfen, warf ich noch ein.

O! rief sie, bin ich nicht durch mein Schicksal auch schon eine Greisin? Gewiß hat man mich Ihnen im Dorf unten ein altes Mütterchen genannt, sonst hätten Sie mich nicht in meiner Crescenz zu sehen geglaubt. So zünden wir uns denn heute den Weihnachtsbaum des Alters an: die Erinnerung.

Das schien mir einen willkommenen Ausschluß anzukündigen. Vielleicht, dachte ich, hat das Fremde und Räthselhafte dieser Erscheinung doch noch einen anderen Erklärungsgrund als den schauerlichen, der im Munde der Leute lebt.

V.

Licht, Wärme und Behagen verbreitete der elegant eingerichtete Speisesaal, der uns aufnahm. Ich bemerkte erst jetzt, daß die Toilette des Fräuleins von Börte bei aller Einfachheit nicht ohne Schmuck war und einen beinahe festlichen Anstrich hatte. Dabei übte das Fräulein die kleinen Pflichten gegen den Gast mit einer nach den vorhergegangenen Aeußerungen, welche eine trübe Grundstimmung ihres Wesens gar nicht verbargen, überraschenden Heiterkeit.

Als wir später am Kamin einander gegenüber saßen, konnte ich nicht umhin, ihr darüber eine Bemerkung zu machen. Sie waren wohl immer sehr glück-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <pb facs="#f0035"/>
        <p>Ach, ich bin ein zu altes Kind, um den Weihnachtsbaum zu umhüpfen, warf ich noch ein.</p><lb/>
        <p>O! rief sie, bin ich nicht durch mein Schicksal auch schon eine Greisin? Gewiß hat man mich      Ihnen im Dorf unten ein altes Mütterchen genannt, sonst hätten Sie mich nicht in meiner      Crescenz zu sehen geglaubt. So zünden wir uns denn heute den Weihnachtsbaum des Alters an: die      Erinnerung.</p><lb/>
        <p>Das schien mir einen willkommenen Ausschluß anzukündigen. Vielleicht, dachte ich, hat das      Fremde und Räthselhafte dieser Erscheinung doch noch einen anderen Erklärungsgrund als den      schauerlichen, der im Munde der Leute lebt.</p><lb/>
      </div>
      <div type="chapter" n="5">
        <head>V.</head>
        <p>Licht, Wärme und Behagen verbreitete der elegant eingerichtete Speisesaal, der uns aufnahm.      Ich bemerkte erst jetzt, daß die Toilette des Fräuleins von Börte bei aller Einfachheit nicht      ohne Schmuck war und einen beinahe festlichen Anstrich hatte. Dabei übte das Fräulein die      kleinen Pflichten gegen den Gast mit einer nach den vorhergegangenen Aeußerungen, welche eine      trübe Grundstimmung ihres Wesens gar nicht verbargen, überraschenden Heiterkeit.</p><lb/>
        <p>Als wir später am Kamin einander gegenüber saßen, konnte ich nicht umhin, ihr darüber eine      Bemerkung zu machen. Sie waren wohl immer sehr glück-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] Ach, ich bin ein zu altes Kind, um den Weihnachtsbaum zu umhüpfen, warf ich noch ein. O! rief sie, bin ich nicht durch mein Schicksal auch schon eine Greisin? Gewiß hat man mich Ihnen im Dorf unten ein altes Mütterchen genannt, sonst hätten Sie mich nicht in meiner Crescenz zu sehen geglaubt. So zünden wir uns denn heute den Weihnachtsbaum des Alters an: die Erinnerung. Das schien mir einen willkommenen Ausschluß anzukündigen. Vielleicht, dachte ich, hat das Fremde und Räthselhafte dieser Erscheinung doch noch einen anderen Erklärungsgrund als den schauerlichen, der im Munde der Leute lebt. V. Licht, Wärme und Behagen verbreitete der elegant eingerichtete Speisesaal, der uns aufnahm. Ich bemerkte erst jetzt, daß die Toilette des Fräuleins von Börte bei aller Einfachheit nicht ohne Schmuck war und einen beinahe festlichen Anstrich hatte. Dabei übte das Fräulein die kleinen Pflichten gegen den Gast mit einer nach den vorhergegangenen Aeußerungen, welche eine trübe Grundstimmung ihres Wesens gar nicht verbargen, überraschenden Heiterkeit. Als wir später am Kamin einander gegenüber saßen, konnte ich nicht umhin, ihr darüber eine Bemerkung zu machen. Sie waren wohl immer sehr glück-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/35
Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/35>, abgerufen am 23.11.2024.