Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.fügen und mußte daher thatsächlich das Zimmer beziehen, das er sich übrigens bei jedem Besuche im Wirthshaus einräumen ließ, wenn er es auch niemals wirklich bewohnte. Er war aber so aufgeregt in liebender Ungeduld, daß er gar nicht an das Niederlegen dachte, sondern, nachdem er einige Augenblicke auf einem Sopha geruht, in Haus und Hof umherschlich, wie um irgend eine Beschäftigung zu finden, die seine Unruhe hätte beschwichtigen können. So gelangte er auch in das eheliche Schlafgemach des Hauses. Die Wirthin, die noch von ihrem letzten Wochenbett nicht aufgestanden war, lag bei dämmerndem Nachtlicht wach im Bette, und als sie seinen Tritt hörte, rief sie ihn freundschaftlich an. Er setzte sich auf den Stuhl an ihrem Bette, und froh, seinen gepreßten Empfindungen Luft machen, oder auch nur der Geliebten mit lauten Worten gedenken zu können, sprach er von seiner Liebe, seiner Freude, seiner Sehnsucht nach dem nächsten Morgen, nicht eingedenk, wie gering das Verständniß seiner Zuhörerin für den poetischen Ausbruch seiner Leidenschaft, wenn sie auch diese selbst mit dem Instinct des Volksherzen wohl zu würdigen verstand, noch weniger Darauf achtend, daß der daneben von den Mühen des Tages ausruhende Eheherr solche Melodiken mit einem nicht ganz dazu passenden orgelnden Nasen-Choral begleitete. Erst als sich in diesen Baß ein weiblicher Alt als zweite Stimme mischte, mochte der schwärmerisch Liebende zum Bewußtsein gekommen sein, daß er an fügen und mußte daher thatsächlich das Zimmer beziehen, das er sich übrigens bei jedem Besuche im Wirthshaus einräumen ließ, wenn er es auch niemals wirklich bewohnte. Er war aber so aufgeregt in liebender Ungeduld, daß er gar nicht an das Niederlegen dachte, sondern, nachdem er einige Augenblicke auf einem Sopha geruht, in Haus und Hof umherschlich, wie um irgend eine Beschäftigung zu finden, die seine Unruhe hätte beschwichtigen können. So gelangte er auch in das eheliche Schlafgemach des Hauses. Die Wirthin, die noch von ihrem letzten Wochenbett nicht aufgestanden war, lag bei dämmerndem Nachtlicht wach im Bette, und als sie seinen Tritt hörte, rief sie ihn freundschaftlich an. Er setzte sich auf den Stuhl an ihrem Bette, und froh, seinen gepreßten Empfindungen Luft machen, oder auch nur der Geliebten mit lauten Worten gedenken zu können, sprach er von seiner Liebe, seiner Freude, seiner Sehnsucht nach dem nächsten Morgen, nicht eingedenk, wie gering das Verständniß seiner Zuhörerin für den poetischen Ausbruch seiner Leidenschaft, wenn sie auch diese selbst mit dem Instinct des Volksherzen wohl zu würdigen verstand, noch weniger Darauf achtend, daß der daneben von den Mühen des Tages ausruhende Eheherr solche Melodiken mit einem nicht ganz dazu passenden orgelnden Nasen-Choral begleitete. Erst als sich in diesen Baß ein weiblicher Alt als zweite Stimme mischte, mochte der schwärmerisch Liebende zum Bewußtsein gekommen sein, daß er an <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0017"/> fügen und mußte daher thatsächlich das Zimmer beziehen, das er sich übrigens bei jedem Besuche im Wirthshaus einräumen ließ, wenn er es auch niemals wirklich bewohnte. Er war aber so aufgeregt in liebender Ungeduld, daß er gar nicht an das Niederlegen dachte, sondern, nachdem er einige Augenblicke auf einem Sopha geruht, in Haus und Hof umherschlich, wie um irgend eine Beschäftigung zu finden, die seine Unruhe hätte beschwichtigen können.</p><lb/> <p>So gelangte er auch in das eheliche Schlafgemach des Hauses. Die Wirthin, die noch von ihrem letzten Wochenbett nicht aufgestanden war, lag bei dämmerndem Nachtlicht wach im Bette, und als sie seinen Tritt hörte, rief sie ihn freundschaftlich an. Er setzte sich auf den Stuhl an ihrem Bette, und froh, seinen gepreßten Empfindungen Luft machen, oder auch nur der Geliebten mit lauten Worten gedenken zu können, sprach er von seiner Liebe, seiner Freude, seiner Sehnsucht nach dem nächsten Morgen, nicht eingedenk, wie gering das Verständniß seiner Zuhörerin für den poetischen Ausbruch seiner Leidenschaft, wenn sie auch diese selbst mit dem Instinct des Volksherzen wohl zu würdigen verstand, noch weniger Darauf achtend, daß der daneben von den Mühen des Tages ausruhende Eheherr solche Melodiken mit einem nicht ganz dazu passenden orgelnden Nasen-Choral begleitete. Erst als sich in diesen Baß ein weiblicher Alt als zweite Stimme mischte, mochte der schwärmerisch Liebende zum Bewußtsein gekommen sein, daß er an<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
fügen und mußte daher thatsächlich das Zimmer beziehen, das er sich übrigens bei jedem Besuche im Wirthshaus einräumen ließ, wenn er es auch niemals wirklich bewohnte. Er war aber so aufgeregt in liebender Ungeduld, daß er gar nicht an das Niederlegen dachte, sondern, nachdem er einige Augenblicke auf einem Sopha geruht, in Haus und Hof umherschlich, wie um irgend eine Beschäftigung zu finden, die seine Unruhe hätte beschwichtigen können.
So gelangte er auch in das eheliche Schlafgemach des Hauses. Die Wirthin, die noch von ihrem letzten Wochenbett nicht aufgestanden war, lag bei dämmerndem Nachtlicht wach im Bette, und als sie seinen Tritt hörte, rief sie ihn freundschaftlich an. Er setzte sich auf den Stuhl an ihrem Bette, und froh, seinen gepreßten Empfindungen Luft machen, oder auch nur der Geliebten mit lauten Worten gedenken zu können, sprach er von seiner Liebe, seiner Freude, seiner Sehnsucht nach dem nächsten Morgen, nicht eingedenk, wie gering das Verständniß seiner Zuhörerin für den poetischen Ausbruch seiner Leidenschaft, wenn sie auch diese selbst mit dem Instinct des Volksherzen wohl zu würdigen verstand, noch weniger Darauf achtend, daß der daneben von den Mühen des Tages ausruhende Eheherr solche Melodiken mit einem nicht ganz dazu passenden orgelnden Nasen-Choral begleitete. Erst als sich in diesen Baß ein weiblicher Alt als zweite Stimme mischte, mochte der schwärmerisch Liebende zum Bewußtsein gekommen sein, daß er an
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/17>, abgerufen am 22.07.2024. |