Lorinser, Carl Ignaz: Der Sieg über die Branntweinpest in Oberschlesien. Oppeln, 1845.Wenn man die Trunksucht nach ihren Eigenschaften und Wirkungen betrachtet, die in der Seele wie im Leibe des Menschen sich offenbaren, so wird man in ihr ein Doppelwesen erkennen, das eben sowohl ein Laster als eine Krankheit ist, mithin in Bezug auf den Willen eine Bekehrung, in physischer Hinsicht eine Genesung erfordert, einerseits also durch moralische und religiöse Mittel, andererseits durch eine veränderte Diät, und zuweilen auch mit Zuziehung von Arzneien zu heben ist. Ein fester Entschluß ist immer die erste und die Hauptbedingung; er kann der Versuchung widerstehn, und selbst die widerstrebende Natur bezwingen. Bekanntlich sind jedoch vernünftige Vorstellungen und moralische Betrachtungen, sogar bei gebildeten und willenskräftigen Personen selten genügend, einen solchen Entschluß hervorzubringen, und eine Entwöhnung herbeizuführen; wer aber unsere slavischen Landleute kennt, wird unschwer einsehen, daß bei einem Laster, gegen welches die von ihnen als die heiligste Autorität verehrte Macht der Kirche so viele Jahre nur mit so schwachem Erfolge gekämpft, die bloße Sittenpredigt und alle Berechnungen und Reflexionen des Verstandes noch viel erfolgloser sich erweisen mußten. - Wollte man das Uebel nur als eine Krankheit betrachten, und ihr schnelles Umschlagen in Enthaltsamkeit etwa für eine nach natürlichen Gesetzen geschehende Umkehrung zweier entgegengesezter Pole halten, oder als eine Krisis gelten lassen, bei welcher das herstellende Princip des Lebens über das Wenn man die Trunksucht nach ihren Eigenschaften und Wirkungen betrachtet, die in der Seele wie im Leibe des Menschen sich offenbaren, so wird man in ihr ein Doppelwesen erkennen, das eben sowohl ein Laster als eine Krankheit ist, mithin in Bezug auf den Willen eine Bekehrung, in physischer Hinsicht eine Genesung erfordert, einerseits also durch moralische und religiöse Mittel, andererseits durch eine veränderte Diät, und zuweilen auch mit Zuziehung von Arzneien zu heben ist. Ein fester Entschluß ist immer die erste und die Hauptbedingung; er kann der Versuchung widerstehn, und selbst die widerstrebende Natur bezwingen. Bekanntlich sind jedoch vernünftige Vorstellungen und moralische Betrachtungen, sogar bei gebildeten und willenskräftigen Personen selten genügend, einen solchen Entschluß hervorzubringen, und eine Entwöhnung herbeizuführen; wer aber unsere slavischen Landleute kennt, wird unschwer einsehen, daß bei einem Laster, gegen welches die von ihnen als die heiligste Autorität verehrte Macht der Kirche so viele Jahre nur mit so schwachem Erfolge gekämpft, die bloße Sittenpredigt und alle Berechnungen und Reflexionen des Verstandes noch viel erfolgloser sich erweisen mußten. – Wollte man das Uebel nur als eine Krankheit betrachten, und ihr schnelles Umschlagen in Enthaltsamkeit etwa für eine nach natürlichen Gesetzen geschehende Umkehrung zweier entgegengesezter Pole halten, oder als eine Krisis gelten lassen, bei welcher das herstellende Princip des Lebens über das <TEI> <text> <body> <div n="2"> <pb facs="#f0037" n="27"/> <p>Wenn man die Trunksucht nach ihren Eigenschaften und Wirkungen betrachtet, die in der Seele wie im Leibe des Menschen sich offenbaren, so wird man in ihr ein Doppelwesen erkennen, das eben sowohl ein <hi rendition="#g">Laster</hi> als eine <hi rendition="#g">Krankheit</hi> ist, mithin in Bezug auf den Willen eine Bekehrung, in physischer Hinsicht eine Genesung erfordert, einerseits also durch moralische und religiöse Mittel, andererseits durch eine veränderte Diät, und zuweilen auch mit Zuziehung von Arzneien zu heben ist. Ein <hi rendition="#g">fester</hi> Entschluß ist immer die erste und die Hauptbedingung; er <hi rendition="#g">kann</hi> der Versuchung widerstehn, und selbst die widerstrebende Natur bezwingen. Bekanntlich sind jedoch vernünftige Vorstellungen und moralische Betrachtungen, sogar bei gebildeten und willenskräftigen Personen selten genügend, einen solchen Entschluß hervorzubringen, und eine Entwöhnung herbeizuführen; wer aber unsere slavischen Landleute kennt, wird unschwer einsehen, daß bei einem Laster, gegen welches die von ihnen als die heiligste Autorität verehrte Macht der Kirche so viele Jahre nur mit so schwachem Erfolge gekämpft, die bloße Sittenpredigt und alle Berechnungen und Reflexionen des Verstandes noch viel erfolgloser sich erweisen mußten. – Wollte man das Uebel nur als eine Krankheit betrachten, und ihr schnelles Umschlagen in Enthaltsamkeit etwa für eine nach natürlichen Gesetzen geschehende Umkehrung zweier entgegengesezter Pole halten, oder als eine Krisis gelten lassen, bei welcher das herstellende Princip des Lebens über das </p> </div> </body> </text> </TEI> [27/0037]
Wenn man die Trunksucht nach ihren Eigenschaften und Wirkungen betrachtet, die in der Seele wie im Leibe des Menschen sich offenbaren, so wird man in ihr ein Doppelwesen erkennen, das eben sowohl ein Laster als eine Krankheit ist, mithin in Bezug auf den Willen eine Bekehrung, in physischer Hinsicht eine Genesung erfordert, einerseits also durch moralische und religiöse Mittel, andererseits durch eine veränderte Diät, und zuweilen auch mit Zuziehung von Arzneien zu heben ist. Ein fester Entschluß ist immer die erste und die Hauptbedingung; er kann der Versuchung widerstehn, und selbst die widerstrebende Natur bezwingen. Bekanntlich sind jedoch vernünftige Vorstellungen und moralische Betrachtungen, sogar bei gebildeten und willenskräftigen Personen selten genügend, einen solchen Entschluß hervorzubringen, und eine Entwöhnung herbeizuführen; wer aber unsere slavischen Landleute kennt, wird unschwer einsehen, daß bei einem Laster, gegen welches die von ihnen als die heiligste Autorität verehrte Macht der Kirche so viele Jahre nur mit so schwachem Erfolge gekämpft, die bloße Sittenpredigt und alle Berechnungen und Reflexionen des Verstandes noch viel erfolgloser sich erweisen mußten. – Wollte man das Uebel nur als eine Krankheit betrachten, und ihr schnelles Umschlagen in Enthaltsamkeit etwa für eine nach natürlichen Gesetzen geschehende Umkehrung zweier entgegengesezter Pole halten, oder als eine Krisis gelten lassen, bei welcher das herstellende Princip des Lebens über das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-04-11T13:16:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-04-11T13:16:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-04-11T13:16:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |