Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ans Herz legen. Zwingen kann ich sie nicht; jede Art des Zwanges, in welchem Gewände sie erschiene, wäre gegen mein Gefühl.

Die Thür eines Nebenzimmers war während dieser Unterredung offen gewesen, hierher hatte sich Lottchen mit Gellert's Fabeln geflüchtet, während Justine, durch einen Besuch ihres Gevatters zerstreut, sie am Nähpulte nicht vermißte. Mitten in der anziehenden Lektüre hörte Lottchen Börner's feurige Erklärung, sie schlug das Buch zu, vergaß die kranke Frau mit sammt dem Schneider, der eben zu ihrer Belustigung die Heilung vollzog, und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Wie sie Alles vernommen hatte und Börnern gehen hörte, schlich auch sie hinaus, suchte Marianen überall und trat endlich zu Justinen ins Zimmer. Da saß der Gevatter Neumann und erzählte so lebhaft und anschaulich, daß Justinens Hände im Schooße ruheten, ihr Auge, weit geöffnet, an seinem Munde hing, und des Mädchens Eintritt sie wie aus einer anderen Welt zurückrief. Ein unwilliger Blick empfing Lottchen, die hastig fragte: Wo ist denn Mariane?

Ausgegangen, war die Antwort. Und wo warst denn du?

Der Gevatter, der sich ungern unterbrechen ließ, überhob Lottchen der Antwort, indem er fortfuhr, die Verheerung von Küstrin zu schildern, wozu er sich der grellsten Farben bediente; besonders entwarf er das Bild der fürchterlichen Kosacken mit aller Uebertreibung einer

ans Herz legen. Zwingen kann ich sie nicht; jede Art des Zwanges, in welchem Gewände sie erschiene, wäre gegen mein Gefühl.

Die Thür eines Nebenzimmers war während dieser Unterredung offen gewesen, hierher hatte sich Lottchen mit Gellert's Fabeln geflüchtet, während Justine, durch einen Besuch ihres Gevatters zerstreut, sie am Nähpulte nicht vermißte. Mitten in der anziehenden Lektüre hörte Lottchen Börner's feurige Erklärung, sie schlug das Buch zu, vergaß die kranke Frau mit sammt dem Schneider, der eben zu ihrer Belustigung die Heilung vollzog, und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Wie sie Alles vernommen hatte und Börnern gehen hörte, schlich auch sie hinaus, suchte Marianen überall und trat endlich zu Justinen ins Zimmer. Da saß der Gevatter Neumann und erzählte so lebhaft und anschaulich, daß Justinens Hände im Schooße ruheten, ihr Auge, weit geöffnet, an seinem Munde hing, und des Mädchens Eintritt sie wie aus einer anderen Welt zurückrief. Ein unwilliger Blick empfing Lottchen, die hastig fragte: Wo ist denn Mariane?

Ausgegangen, war die Antwort. Und wo warst denn du?

Der Gevatter, der sich ungern unterbrechen ließ, überhob Lottchen der Antwort, indem er fortfuhr, die Verheerung von Küstrin zu schildern, wozu er sich der grellsten Farben bediente; besonders entwarf er das Bild der fürchterlichen Kosacken mit aller Uebertreibung einer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0039"/>
ans Herz legen. Zwingen kann ich sie nicht; jede Art                des Zwanges, in welchem Gewände sie erschiene, wäre gegen mein Gefühl.</p><lb/>
        <p>Die Thür eines Nebenzimmers war während dieser Unterredung offen gewesen, hierher                hatte sich Lottchen mit Gellert's Fabeln geflüchtet, während Justine, durch einen                Besuch ihres Gevatters zerstreut, sie am Nähpulte nicht vermißte. Mitten in der                anziehenden Lektüre hörte Lottchen Börner's feurige Erklärung, sie schlug das Buch                zu, vergaß die kranke Frau mit sammt dem Schneider, der eben zu ihrer Belustigung die                Heilung vollzog, und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Wie sie Alles vernommen                hatte und Börnern gehen hörte, schlich auch sie hinaus, suchte Marianen überall und                trat endlich zu Justinen ins Zimmer. Da saß der Gevatter Neumann und erzählte so                lebhaft und anschaulich, daß Justinens Hände im Schooße ruheten, ihr Auge, weit                geöffnet, an seinem Munde hing, und des Mädchens Eintritt sie wie aus einer anderen                Welt zurückrief. Ein unwilliger Blick empfing Lottchen, die hastig fragte: Wo ist                denn Mariane?</p><lb/>
        <p>Ausgegangen, war die Antwort. Und wo warst denn du?</p><lb/>
        <p>Der Gevatter, der sich ungern unterbrechen ließ, überhob Lottchen der Antwort, indem                er fortfuhr, die Verheerung von Küstrin zu schildern, wozu er sich der grellsten                Farben bediente; besonders entwarf er das Bild der fürchterlichen Kosacken mit aller                Uebertreibung einer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] ans Herz legen. Zwingen kann ich sie nicht; jede Art des Zwanges, in welchem Gewände sie erschiene, wäre gegen mein Gefühl. Die Thür eines Nebenzimmers war während dieser Unterredung offen gewesen, hierher hatte sich Lottchen mit Gellert's Fabeln geflüchtet, während Justine, durch einen Besuch ihres Gevatters zerstreut, sie am Nähpulte nicht vermißte. Mitten in der anziehenden Lektüre hörte Lottchen Börner's feurige Erklärung, sie schlug das Buch zu, vergaß die kranke Frau mit sammt dem Schneider, der eben zu ihrer Belustigung die Heilung vollzog, und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Wie sie Alles vernommen hatte und Börnern gehen hörte, schlich auch sie hinaus, suchte Marianen überall und trat endlich zu Justinen ins Zimmer. Da saß der Gevatter Neumann und erzählte so lebhaft und anschaulich, daß Justinens Hände im Schooße ruheten, ihr Auge, weit geöffnet, an seinem Munde hing, und des Mädchens Eintritt sie wie aus einer anderen Welt zurückrief. Ein unwilliger Blick empfing Lottchen, die hastig fragte: Wo ist denn Mariane? Ausgegangen, war die Antwort. Und wo warst denn du? Der Gevatter, der sich ungern unterbrechen ließ, überhob Lottchen der Antwort, indem er fortfuhr, die Verheerung von Küstrin zu schildern, wozu er sich der grellsten Farben bediente; besonders entwarf er das Bild der fürchterlichen Kosacken mit aller Uebertreibung einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:20:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:20:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/39
Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/39>, abgerufen am 23.11.2024.