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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] nia/ welche sein anderes Hertz wäre/ aufopfer-
te. Marius entschloß sich alsofort sein
Blut zum Lösegeld für sein Vaterland hin-
zugeben; nahm also wider der Römer Ge-
wohnheit zu aller Verwunderung Calphurni-
en mit sich zu Felde. Wie er nun unter die
Meer-Alpen kam/ ließ er sein Heer übergehen/
er aber stieg nebst Calphurnien/ der Martha/ ei-
nem Priester/ und wenigen edlen Römern auf
die Spitze des Berges Vesulus; richtete daselbst
von zusammen gelesenen Steinen einen Altar
auf/ ließ selbtes dem siegenden Jupiter weihen.
Hierauf deutete er seiner sich ehe des Himmel-
falls versehenden Tochter an: daß sie das für
ihr Vaterland auf dieses Altar bestimmte Opfer
wäre; also solte sie sich nicht mit vergebenen
Thränen bemühen; seinen so wenig als des
Verhängnüsses unerbittlichen Schluß zu hin-
terziehen/ noch den Zorn der Götter auf sich zu
laden; sondern vielmehr durch hertzhafte Gedult
sich als eine nicht miß gerathene Tochter des Ma-
rius bezeugen. Calphurnia fiel dem Vater zu
Fusse/ umbarmte seine Knie/ küßte seine Hand/
und erklärte sich den Streich des Priesters mit
unverwendeten Augen/ und unverzagtem Her-
tzen zu erwarten; weil ihr kein grösseres Glück
begegnen könte; als daß sie ein den Göttern ge-
fälliges Opfer/ ein Lösegeld ihres Vaterlandes;
ihre Handvoll Blut aber ein Brunn seyn solte:
aus welchem ein gantzes rothes Meer/ welches
aus so viel rauer Völcker Adern abströmen wür-
de/ seyn solte. Marius küßte sie hier auf; und be-
fahl dem hierüber erstaunenden Priester sein
Ampt zu verrichten. Ob er nun zwar anfangs
bey sich anstand ein so grimmiges Menschen-
Opfer zu vollziehen; sagte doch Martha: Es
wäre der Wille der Götter; und Marius gab
ihm einen so nach drücklichen Blick: daß er mehr
aus Furcht als Andacht das Schlacht-Messer
ergrieff/ und der auf das Altar gelegten Cal-
phurnia die Gurgel abschnitt; hernach ihre
Brust eröffnete/ und die Ein geweide alle gut be-
[Spaltenumbruch] fand; woraus Martha ihre vorige Wahrsagung
nochmals bekräfftigte. Der entseelte Leib/
(dessen ausgeschnittenes und eingebalsamtes
Hertze der Priester nach Rom führte/ und dem
Tarentinischen Sieges-Bilde in einer güldenen
Schachtel wiedmete/) ward aus dem Brunnen
des daselbst entspringenden Po abgewaschen/ auf
einen inzwischen aufgerichteten/ und mit aller-
hand Arabischem Rauchwercke angefüllten
Holtz-Stoß geleget und verbrennet. Der hier-
über mehr als der eigene Vater bestürtzte Prie-
ster meynte sein grausames Opfer durch ein Ge-
dächtnüß-Mal zu entschuldigen; kratzte also in
dem an statt eines Altars gebrauchten Stein-
Fels der die Jphigenia weit beschämenden Cal-
phurnia zu Ehren diese Grab-Schrifft ein:

Liegt hier Calphurnia des Marius sein Kind?
Nein. Denn er selber schnitt ihr ja die Gurgel ab/
Als er zum Schlachten sie dem Priester übergab.
Kein Vater aber ist/ der Todes-Netze spinnt/
Auf eignes Fleisch und Blut. Jedennoch aber rinnt
Aus seinen Augen Saltz der Thränen auf ihr Grab.
Diß ist der Eltern Sold. Wer aber wil ei[n] Stab
Des Vaterlandes seyn; schlägt Kinder-Blut in Wind.
Diß opfert Marius als seiner Liebe Pfand
Für das gemeine Heil mit seiner [e]ignen Hand
Der ewigen Stadt Rom. Die Tochter aber rennt
Den Preiß ihm ab/ wenn sie so willig sich verbrennt/
Und zeugt: Jhr Vater sey zwar durch so harte That
Ein Sohn; doch sie als Kind die Mutter ihrer Stadt.

Hier auf eilte Marius seinem theils auf der
See/ theils zu Lande voran gegangenem Heere
nach. Und weil die Deutschen ins gesammt sich
weit gegen Mitternacht gewendet hatten/ Teu-
tobach durch die Cottischen/ Bolus der Helvetier
Hertzog durch die Norichischen/ Bojorich durch
die Vindelicher Alpen einzubrechen/ und an dem
ihm schon bekandten Flusse Athefis herunter zu
gehen willens war/ kam Marius ohne alle Hin-
dernüß am Strande des Meeres an den Rho-
dan. Seine erste Sorge war bey noch entfern-
tem Feinde die Krieges-Zucht wieder zu ergän-
tzen/ das durch Müssiggang und Wollüste ver-
zärtelte Volck durch tägliche Arbeit und Krieges-

Ubun-
Y y y y y 3

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] nia/ welche ſein anderes Hertz waͤre/ aufopfer-
te. Marius entſchloß ſich alſofort ſein
Blut zum Loͤſegeld fuͤr ſein Vaterland hin-
zugeben; nahm alſo wider der Roͤmer Ge-
wohnheit zu aller Verwunderung Calphurni-
en mit ſich zu Felde. Wie er nun unter die
Meer-Alpen kam/ ließ er ſein Heer uͤbergehen/
er aber ſtieg nebſt Calphurnien/ der Martha/ ei-
nem Prieſter/ und wenigen edlen Roͤmern auf
die Spitze des Berges Veſulus; richtete daſelbſt
von zuſammen geleſenen Steinen einen Altar
auf/ ließ ſelbtes dem ſiegenden Jupiter weihen.
Hierauf deutete er ſeiner ſich ehe des Himmel-
falls verſehenden Tochter an: daß ſie das fuͤr
ihr Vaterland auf dieſes Altar beſtim̃te Opfer
waͤre; alſo ſolte ſie ſich nicht mit vergebenen
Thraͤnen bemuͤhen; ſeinen ſo wenig als des
Verhaͤngnuͤſſes unerbittlichen Schluß zu hin-
terziehen/ noch den Zorn der Goͤtter auf ſich zu
laden; ſondern vielmehr durch hertzhafte Gedult
ſich als eine nicht miß gerathene Tochteꝛ des Ma-
rius bezeugen. Calphurnia fiel dem Vater zu
Fuſſe/ umbarmte ſeine Knie/ kuͤßte ſeine Hand/
und erklaͤrte ſich den Streich des Prieſters mit
unverwendeten Augen/ und unverzagtem Her-
tzen zu erwarten; weil ihr kein groͤſſeres Gluͤck
begegnen koͤnte; als daß ſie ein den Goͤttern ge-
faͤlliges Opfer/ ein Loͤſegeld ihres Vaterlandes;
ihre Handvoll Blut aber ein Brunn ſeyn ſolte:
aus welchem ein gantzes rothes Meer/ welches
aus ſo viel rauer Voͤlcker Adern abſtroͤmẽ wuͤr-
de/ ſeyn ſolte. Marius kuͤßte ſie hier auf; und be-
fahl dem hieruͤber erſtaunenden Prieſter ſein
Ampt zu verrichten. Ob er nun zwar anfangs
bey ſich anſtand ein ſo grimmiges Menſchen-
Opfer zu vollziehen; ſagte doch Martha: Es
waͤre der Wille der Goͤtter; und Marius gab
ihm einen ſo nach druͤcklichen Blick: daß er mehꝛ
aus Furcht als Andacht das Schlacht-Meſſer
ergrieff/ und der auf das Altar gelegten Cal-
phurnia die Gurgel abſchnitt; hernach ihre
Bruſt eroͤffnete/ und die Ein geweide alle gut be-
[Spaltenumbruch] fand; woraus Martha ihre vorige Wahꝛſagung
nochmals bekraͤfftigte. Der entſeelte Leib/
(deſſen ausgeſchnittenes und eingebalſamtes
Hertze der Prieſter nach Rom fuͤhrte/ und dem
Tarentiniſchen Sieges-Bilde in einer guͤldenen
Schachtel wiedmete/) ward aus dem Brunnen
des daſelbſt entſpringenden Po abgewaſchen/ auf
einen inzwiſchen aufgerichteten/ und mit aller-
hand Arabiſchem Rauchwercke angefuͤllten
Holtz-Stoß geleget und verbrennet. Der hier-
uͤber mehr als der eigene Vater beſtuͤrtzte Prie-
ſter meynte ſein grauſames Opfer durch ein Ge-
daͤchtnuͤß-Mal zu entſchuldigen; kratzte alſo in
dem an ſtatt eines Altars gebrauchten Stein-
Fels der die Jphigenia weit beſchaͤmenden Cal-
phurnia zu Ehren dieſe Grab-Schrifft ein:

Liegt hier Calphurnia des Marius ſein Kind?
Nein. Denn er ſelber ſchnitt ihr ja die Gurgel ab/
Als er zum Schlachten ſie dem Prieſter uͤbergab.
Kein Vater aber iſt/ der Todes-Netze ſpinnt/
Auf eignes Fleiſch und Blut. Jedennoch aber rinnt
Aus ſeinen Augen Saltz der Thraͤnen auf ihr Grab.
Diß iſt der Eltern Sold. Wer aber wil ei[n] Stab
Des Vaterlandes ſeyn; ſchlaͤgt Kinder-Blut in Wind.
Diß opfert Marius als ſeiner Liebe Pfand
Fuͤr das gemeine Heil mit ſeiner [e]ignen Hand
Der ewigen Stadt Rom. Die Tochter aber rennt
Den Preiß ihm ab/ wenn ſie ſo willig ſich verbrennt/
Und zeugt: Jhr Vater ſey zwar durch ſo harte That
Ein Sohn; doch ſie als Kind die Mutter ihrer Stadt.

Hier auf eilte Marius ſeinem theils auf der
See/ theils zu Lande voran gegangenem Heere
nach. Und weil die Deutſchen ins geſam̃t ſich
weit gegen Mitternacht gewendet hatten/ Teu-
tobach durch die Cottiſchen/ Bolus der Helvetieꝛ
Hertzog durch die Norichiſchen/ Bojorich durch
die Vindelicher Alpen einzubrechen/ und an dem
ihm ſchon bekandten Fluſſe Athefis herunter zu
gehen willens war/ kam Marius ohne alle Hin-
dernuͤß am Strande des Meeres an den Rho-
dan. Seine erſte Sorge war bey noch entfern-
tem Feinde die Krieges-Zucht wieder zu ergaͤn-
tzen/ das durch Muͤſſiggang und Wolluͤſte ver-
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Ubun-
Y y y y y 3
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[909[911]/0971] Arminius und Thußnelda. nia/ welche ſein anderes Hertz waͤre/ aufopfer- te. Marius entſchloß ſich alſofort ſein Blut zum Loͤſegeld fuͤr ſein Vaterland hin- zugeben; nahm alſo wider der Roͤmer Ge- wohnheit zu aller Verwunderung Calphurni- en mit ſich zu Felde. Wie er nun unter die Meer-Alpen kam/ ließ er ſein Heer uͤbergehen/ er aber ſtieg nebſt Calphurnien/ der Martha/ ei- nem Prieſter/ und wenigen edlen Roͤmern auf die Spitze des Berges Veſulus; richtete daſelbſt von zuſammen geleſenen Steinen einen Altar auf/ ließ ſelbtes dem ſiegenden Jupiter weihen. Hierauf deutete er ſeiner ſich ehe des Himmel- falls verſehenden Tochter an: daß ſie das fuͤr ihr Vaterland auf dieſes Altar beſtim̃te Opfer waͤre; alſo ſolte ſie ſich nicht mit vergebenen Thraͤnen bemuͤhen; ſeinen ſo wenig als des Verhaͤngnuͤſſes unerbittlichen Schluß zu hin- terziehen/ noch den Zorn der Goͤtter auf ſich zu laden; ſondern vielmehr durch hertzhafte Gedult ſich als eine nicht miß gerathene Tochteꝛ des Ma- rius bezeugen. Calphurnia fiel dem Vater zu Fuſſe/ umbarmte ſeine Knie/ kuͤßte ſeine Hand/ und erklaͤrte ſich den Streich des Prieſters mit unverwendeten Augen/ und unverzagtem Her- tzen zu erwarten; weil ihr kein groͤſſeres Gluͤck begegnen koͤnte; als daß ſie ein den Goͤttern ge- faͤlliges Opfer/ ein Loͤſegeld ihres Vaterlandes; ihre Handvoll Blut aber ein Brunn ſeyn ſolte: aus welchem ein gantzes rothes Meer/ welches aus ſo viel rauer Voͤlcker Adern abſtroͤmẽ wuͤr- de/ ſeyn ſolte. Marius kuͤßte ſie hier auf; und be- fahl dem hieruͤber erſtaunenden Prieſter ſein Ampt zu verrichten. Ob er nun zwar anfangs bey ſich anſtand ein ſo grimmiges Menſchen- Opfer zu vollziehen; ſagte doch Martha: Es waͤre der Wille der Goͤtter; und Marius gab ihm einen ſo nach druͤcklichen Blick: daß er mehꝛ aus Furcht als Andacht das Schlacht-Meſſer ergrieff/ und der auf das Altar gelegten Cal- phurnia die Gurgel abſchnitt; hernach ihre Bruſt eroͤffnete/ und die Ein geweide alle gut be- fand; woraus Martha ihre vorige Wahꝛſagung nochmals bekraͤfftigte. Der entſeelte Leib/ (deſſen ausgeſchnittenes und eingebalſamtes Hertze der Prieſter nach Rom fuͤhrte/ und dem Tarentiniſchen Sieges-Bilde in einer guͤldenen Schachtel wiedmete/) ward aus dem Brunnen des daſelbſt entſpringenden Po abgewaſchen/ auf einen inzwiſchen aufgerichteten/ und mit aller- hand Arabiſchem Rauchwercke angefuͤllten Holtz-Stoß geleget und verbrennet. Der hier- uͤber mehr als der eigene Vater beſtuͤrtzte Prie- ſter meynte ſein grauſames Opfer durch ein Ge- daͤchtnuͤß-Mal zu entſchuldigen; kratzte alſo in dem an ſtatt eines Altars gebrauchten Stein- Fels der die Jphigenia weit beſchaͤmenden Cal- phurnia zu Ehren dieſe Grab-Schrifft ein: Liegt hier Calphurnia des Marius ſein Kind? Nein. Denn er ſelber ſchnitt ihr ja die Gurgel ab/ Als er zum Schlachten ſie dem Prieſter uͤbergab. Kein Vater aber iſt/ der Todes-Netze ſpinnt/ Auf eignes Fleiſch und Blut. Jedennoch aber rinnt Aus ſeinen Augen Saltz der Thraͤnen auf ihr Grab. Diß iſt der Eltern Sold. Wer aber wil ein Stab Des Vaterlandes ſeyn; ſchlaͤgt Kinder-Blut in Wind. Diß opfert Marius als ſeiner Liebe Pfand Fuͤr das gemeine Heil mit ſeiner eignen Hand Der ewigen Stadt Rom. Die Tochter aber rennt Den Preiß ihm ab/ wenn ſie ſo willig ſich verbrennt/ Und zeugt: Jhr Vater ſey zwar durch ſo harte That Ein Sohn; doch ſie als Kind die Mutter ihrer Stadt. Hier auf eilte Marius ſeinem theils auf der See/ theils zu Lande voran gegangenem Heere nach. Und weil die Deutſchen ins geſam̃t ſich weit gegen Mitternacht gewendet hatten/ Teu- tobach durch die Cottiſchen/ Bolus der Helvetieꝛ Hertzog durch die Norichiſchen/ Bojorich durch die Vindelicher Alpen einzubrechen/ und an dem ihm ſchon bekandten Fluſſe Athefis herunter zu gehen willens war/ kam Marius ohne alle Hin- dernuͤß am Strande des Meeres an den Rho- dan. Seine erſte Sorge war bey noch entfern- tem Feinde die Krieges-Zucht wieder zu ergaͤn- tzen/ das durch Muͤſſiggang und Wolluͤſte ver- zaͤrtelte Volck durch taͤgliche Arbeit und Krieges- Ubun- Y y y y y 3

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 909[911]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/971>, abgerufen am 23.11.2024.