Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
mögen/ den er zu tödten Recht hat? Warlich/wer in Staats-Sachen gar zu gerade zugehet/ wird dem gemeinen Wesen viel Unheil verursa- chen/ und sich zum Gelächter der Boßheit ma- chen. Und dünckt mich: daß die/ welche mit gar zu grossem Eyver hierinnen verfahren/ eben so sehr verstossen/ als der Bildhauer Demetrius; welcher seine Säulen gar zu ähnlich nach dem Leben machte/ hierdurch aber alle Annehmlig- keit verderbte. So edel die Warheit an ihr selbst gleich ist/ so läst doch weder die eigene noch die gemeine Wolfarth/ (welche erstere der Na- tur/ die andere das höchste bürgerliche Gesetze ist) allezeit zu mit der Warheit zur Thüre nein fallen. Sie thut mehrmals grössern Scha- den/ als eine zwar gute/ aber zur Unzeit ge- brauchte Artzney. Denn sie ist eine unter de- nen drey guten Müttern/ welche so ungerathe- ne Kinder zur Welt bringen; nemlich: sie ge- biehret Haß/ wie die Verträuligkeit Verach- tung/ und der Friede Unachtsamkeit. Malo- vend antwortete: Ein kluger Fürst ist wol nicht schuldig alles zu sagen/ was er im Schilde führt; Aber nichts soll er sagen oder versprechen/ was nicht wahr/ oder er zu halten willens ist. Durch seine Verschwiegenheit mögen sich andere/ er aber niemanden durch seine Worte betrügen; noch er seiner Unwahrheit durch eine fpitzfin- nige Auslegung eine Farbe der Wahrheit anstreichen. Diese haben die Alten mit einem weissen Schleyer abgebildet; weil sie keine Lar- ve verträgt. Daher auch diß/ was ohne lan- gen Bedacht unvermuthet versprochen wird/ nicht zurück gezogen werden kan. Daher Aga- memnon das unbedachtsame Gelübde seine Tochter Jphigenia zu opffern nicht wiederruf- fen wolte; und Cydippe ward von dem Wahr- sagungs-Geiste verurtheilt diß zu halten/ was Acontius auf eine Qvitte geschrieben/ und sie un- vorsichtig nachgelesen hatte. Rhemetalces ant- wortete: Jch kan mich schwer bereden lassen: daß/ wo kein rechter Vorbedacht und Vorsatz [Spaltenumbruch] sich zu verbinden gewest/ man so unauflößlich verknipft sey; und daß das Gesetze sein Wort zu halten keinen Absatz leide. Ja ich glaube viel- mehr: daß desselben Zurück ziehung offtmals ei- ne zuläßliche Klugheit/ zuweilen auch ruhms- würdig sey. Solte jener Fürst wohl getadelt werden können/ der bey Belägerung einer sich hartnäckicht wehrenden Stadt auch biß auff die Hunde Rache auszuüben schwur/ hernach aber nur diese tödten/ die Menschen aber leben ließ? Malovend begegnete ihm: Wenn ein Gelübde und Versprechen auf was an sich selbst böses zie- let/ und sich derogestalt selbst zum Laster macht/ bleibt solches so billich als eine Unmögligkeit zu- rücke; wie hingegen man nach dem Beyspiele der ihre Bitterkeiten vergüldender Aertzte durch eine nützliche Unwarheit einem andern wol helf- fen mag. Denn diese ist alsdenn so wenig für eine Lüge/ als des Junius Brutus mit Gold er- [f]üllter Stab für geringes Holtz/ und seine dem Vaterlande zu Liebe angenommene Blödsin- nigkeit für Betrügerey zu halten. Auser dem wissen wir Deutschen von keinem zuläßlichen Absatze; und verdammen fürnehmlich auch die scheinbarsten Ausflüchte/ wenn es der/ mit dem wir handeln/ anders verstanden und angenom- men hat. Daher darf sich bey uns der fried- brüchige Amasis nicht rühmen: daß er seinen Eyd gehalten/ dardurch er geschworen mit den Barseern so lange ruhig zu leben/ so lange die Erde/ darauf sie stünden/ unbeweglich seyn wür- de/ ungeachtet er selbten Platz hernach unter- graben ließ/ daß sie unter sich fallen muste. E- ben so unverantwortlich führten die Locrenser die Sicilier hinters Licht; da sie in ihre Schuh Erde/ und über ihre Achseln unter die Kleider Zwiebel-Häupter versteckten/ und schwuren ih- re Freunde zu bleiben/ so lange sie die Erde un- ter ihren Füssen/ und die Köpffe auf den Achseln haben würden. Und der Cyrenische Aristoto- les meinte sich seines der Lais gethanen Ange- löbnüsses liederlicher/ als sie selbst war/ loß zu ma-
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
moͤgen/ den er zu toͤdten Recht hat? Warlich/wer in Staats-Sachen gar zu gerade zugehet/ wird dem gemeinen Weſen viel Unheil verurſa- chen/ und ſich zum Gelaͤchter der Boßheit ma- chen. Und duͤnckt mich: daß die/ welche mit gar zu groſſem Eyver hierinnen verfahren/ eben ſo ſehr verſtoſſen/ als der Bildhauer Demetrius; welcher ſeine Saͤulen gar zu aͤhnlich nach dem Leben machte/ hierdurch aber alle Annehmlig- keit verderbte. So edel die Warheit an ihr ſelbſt gleich iſt/ ſo laͤſt doch weder die eigene noch die gemeine Wolfarth/ (welche erſtere der Na- tur/ die andere das hoͤchſte buͤrgerliche Geſetze iſt) allezeit zu mit der Warheit zur Thuͤre nein fallen. Sie thut mehrmals groͤſſern Scha- den/ als eine zwar gute/ aber zur Unzeit ge- brauchte Artzney. Denn ſie iſt eine unter de- nen drey guten Muͤttern/ welche ſo ungerathe- ne Kinder zur Welt bringen; nemlich: ſie ge- biehret Haß/ wie die Vertraͤuligkeit Verach- tung/ und der Friede Unachtſamkeit. Malo- vend antwortete: Ein kluger Fuͤrſt iſt wol nicht ſchuldig alles zu ſagen/ was er im Schilde fuͤhrt; Aber nichts ſoll er ſagen oder verſprechen/ was nicht wahr/ oder er zu halten willens iſt. Durch ſeine Verſchwiegenheit moͤgen ſich andere/ er aber niemanden durch ſeine Worte betruͤgen; noch er ſeiner Unwahrheit durch eine fpitzfin- nige Auslegung eine Farbe der Wahrheit anſtreichen. Dieſe haben die Alten mit einem weiſſen Schleyer abgebildet; weil ſie keine Lar- ve vertraͤgt. Daher auch diß/ was ohne lan- gen Bedacht unvermuthet verſprochen wird/ nicht zuruͤck gezogen werden kan. Daher Aga- memnon das unbedachtſame Geluͤbde ſeine Tochter Jphigenia zu opffern nicht wiederruf- fen wolte; und Cydippe ward von dem Wahr- ſagungs-Geiſte verurtheilt diß zu halten/ was Acontius auf eine Qvitte geſchrieben/ und ſie un- vorſichtig nachgeleſen hatte. Rhemetalces ant- wortete: Jch kan mich ſchwer bereden laſſen: daß/ wo kein rechter Vorbedacht und Vorſatz [Spaltenumbruch] ſich zu verbinden geweſt/ man ſo unaufloͤßlich verknipft ſey; und daß das Geſetze ſein Wort zu halten keinen Abſatz leide. Ja ich glaube viel- mehr: daß deſſelben Zuruͤck ziehung offtmals ei- ne zulaͤßliche Klugheit/ zuweilen auch ruhms- wuͤrdig ſey. Solte jener Fuͤrſt wohl getadelt werden koͤnnen/ der bey Belaͤgerung einer ſich hartnaͤckicht wehrenden Stadt auch biß auff die Hunde Rache auszuuͤben ſchwur/ hernach aber nur dieſe toͤdten/ die Menſchen aber leben ließ? Malovend begegnete ihm: Wenn ein Geluͤbde und Verſprechen auf was an ſich ſelbſt boͤſes zie- let/ und ſich derogeſtalt ſelbſt zum Laſter macht/ bleibt ſolches ſo billich als eine Unmoͤgligkeit zu- ruͤcke; wie hingegen man nach dem Beyſpiele der ihre Bitterkeiten verguͤldender Aertzte durch eine nuͤtzliche Unwarheit einem andern wol helf- fen mag. Denn dieſe iſt alsdenn ſo wenig fuͤr eine Luͤge/ als des Junius Brutus mit Gold er- [f]uͤllter Stab fuͤr geringes Holtz/ und ſeine dem Vaterlande zu Liebe angenommene Bloͤdſin- nigkeit fuͤr Betruͤgerey zu halten. Auſer dem wiſſen wir Deutſchen von keinem zulaͤßlichen Abſatze; und verdammen fuͤrnehmlich auch die ſcheinbarſten Ausfluͤchte/ wenn es der/ mit dem wir handeln/ anders verſtanden und angenom- men hat. Daher darf ſich bey uns der fried- bruͤchige Amaſis nicht ruͤhmen: daß er ſeinen Eyd gehalten/ dardurch er geſchworen mit den Barſeern ſo lange ruhig zu leben/ ſo lange die Erde/ darauf ſie ſtuͤnden/ unbeweglich ſeyn wuͤr- de/ ungeachtet er ſelbten Platz hernach unter- graben ließ/ daß ſie unter ſich fallen muſte. E- ben ſo unverantwortlich fuͤhrten die Locrenſer die Sicilier hinters Licht; da ſie in ihre Schuh Erde/ und uͤber ihre Achſeln unter die Kleider Zwiebel-Haͤupter verſteckten/ und ſchwuren ih- re Freunde zu bleiben/ ſo lange ſie die Erde un- ter ihren Fuͤſſen/ und die Koͤpffe auf den Achſeln haben wuͤrden. Und der Cyreniſche Ariſtoto- les meinte ſich ſeines der Lais gethanen Ange- loͤbnuͤſſes liederlicher/ als ſie ſelbſt war/ loß zu ma-
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Arminius und Thußnelda.
moͤgen/ den er zu toͤdten Recht hat? Warlich/
wer in Staats-Sachen gar zu gerade zugehet/
wird dem gemeinen Weſen viel Unheil verurſa-
chen/ und ſich zum Gelaͤchter der Boßheit ma-
chen. Und duͤnckt mich: daß die/ welche mit
gar zu groſſem Eyver hierinnen verfahren/ eben
ſo ſehr verſtoſſen/ als der Bildhauer Demetrius;
welcher ſeine Saͤulen gar zu aͤhnlich nach dem
Leben machte/ hierdurch aber alle Annehmlig-
keit verderbte. So edel die Warheit an ihr
ſelbſt gleich iſt/ ſo laͤſt doch weder die eigene noch
die gemeine Wolfarth/ (welche erſtere der Na-
tur/ die andere das hoͤchſte buͤrgerliche Geſetze
iſt) allezeit zu mit der Warheit zur Thuͤre nein
fallen. Sie thut mehrmals groͤſſern Scha-
den/ als eine zwar gute/ aber zur Unzeit ge-
brauchte Artzney. Denn ſie iſt eine unter de-
nen drey guten Muͤttern/ welche ſo ungerathe-
ne Kinder zur Welt bringen; nemlich: ſie ge-
biehret Haß/ wie die Vertraͤuligkeit Verach-
tung/ und der Friede Unachtſamkeit. Malo-
vend antwortete: Ein kluger Fuͤrſt iſt wol nicht
ſchuldig alles zu ſagen/ was er im Schilde fuͤhrt;
Aber nichts ſoll er ſagen oder verſprechen/ was
nicht wahr/ oder er zu halten willens iſt. Durch
ſeine Verſchwiegenheit moͤgen ſich andere/ er
aber niemanden durch ſeine Worte betruͤgen;
noch er ſeiner Unwahrheit durch eine fpitzfin-
nige Auslegung eine Farbe der Wahrheit
anſtreichen. Dieſe haben die Alten mit einem
weiſſen Schleyer abgebildet; weil ſie keine Lar-
ve vertraͤgt. Daher auch diß/ was ohne lan-
gen Bedacht unvermuthet verſprochen wird/
nicht zuruͤck gezogen werden kan. Daher Aga-
memnon das unbedachtſame Geluͤbde ſeine
Tochter Jphigenia zu opffern nicht wiederruf-
fen wolte; und Cydippe ward von dem Wahr-
ſagungs-Geiſte verurtheilt diß zu halten/ was
Acontius auf eine Qvitte geſchrieben/ und ſie un-
vorſichtig nachgeleſen hatte. Rhemetalces ant-
wortete: Jch kan mich ſchwer bereden laſſen:
daß/ wo kein rechter Vorbedacht und Vorſatz
ſich zu verbinden geweſt/ man ſo unaufloͤßlich
verknipft ſey; und daß das Geſetze ſein Wort zu
halten keinen Abſatz leide. Ja ich glaube viel-
mehr: daß deſſelben Zuruͤck ziehung offtmals ei-
ne zulaͤßliche Klugheit/ zuweilen auch ruhms-
wuͤrdig ſey. Solte jener Fuͤrſt wohl getadelt
werden koͤnnen/ der bey Belaͤgerung einer ſich
hartnaͤckicht wehrenden Stadt auch biß auff die
Hunde Rache auszuuͤben ſchwur/ hernach aber
nur dieſe toͤdten/ die Menſchen aber leben ließ?
Malovend begegnete ihm: Wenn ein Geluͤbde
und Verſprechen auf was an ſich ſelbſt boͤſes zie-
let/ und ſich derogeſtalt ſelbſt zum Laſter macht/
bleibt ſolches ſo billich als eine Unmoͤgligkeit zu-
ruͤcke; wie hingegen man nach dem Beyſpiele
der ihre Bitterkeiten verguͤldender Aertzte durch
eine nuͤtzliche Unwarheit einem andern wol helf-
fen mag. Denn dieſe iſt alsdenn ſo wenig fuͤr
eine Luͤge/ als des Junius Brutus mit Gold er-
fuͤllter Stab fuͤr geringes Holtz/ und ſeine dem
Vaterlande zu Liebe angenommene Bloͤdſin-
nigkeit fuͤr Betruͤgerey zu halten. Auſer dem
wiſſen wir Deutſchen von keinem zulaͤßlichen
Abſatze; und verdammen fuͤrnehmlich auch die
ſcheinbarſten Ausfluͤchte/ wenn es der/ mit dem
wir handeln/ anders verſtanden und angenom-
men hat. Daher darf ſich bey uns der fried-
bruͤchige Amaſis nicht ruͤhmen: daß er ſeinen
Eyd gehalten/ dardurch er geſchworen mit den
Barſeern ſo lange ruhig zu leben/ ſo lange die
Erde/ darauf ſie ſtuͤnden/ unbeweglich ſeyn wuͤr-
de/ ungeachtet er ſelbten Platz hernach unter-
graben ließ/ daß ſie unter ſich fallen muſte. E-
ben ſo unverantwortlich fuͤhrten die Locrenſer
die Sicilier hinters Licht; da ſie in ihre Schuh
Erde/ und uͤber ihre Achſeln unter die Kleider
Zwiebel-Haͤupter verſteckten/ und ſchwuren ih-
re Freunde zu bleiben/ ſo lange ſie die Erde un-
ter ihren Fuͤſſen/ und die Koͤpffe auf den Achſeln
haben wuͤrden. Und der Cyreniſche Ariſtoto-
les meinte ſich ſeines der Lais gethanen Ange-
loͤbnuͤſſes liederlicher/ als ſie ſelbſt war/ loß zu
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 871[873]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/933>, abgerufen am 03.07.2024. |