Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Sechstes Buch [Spaltenumbruch]
sein altes Läger kam/ selbtes Annibaln für denWall geworffen/ und durch zwey loßgelassene Mohren ihm die grosse Niederlage zu wissen ge- macht. Worüber Annibal seines Brudern Haupt mit Thränen netzte/ und seufzende ruff- te: Jch sehe leider! den weder durch Witz noch Tapfferkeit ablehnlichen Untergang der un- glücklichen Stadt Carthago für Augen. Jch sehe leider! wol das aufziehende Gewitter/ aber den Unglücks-Streich weiß ich nicht zu verhü- ten. So wenig dient künfftiger Dinge Wis- senschafft zur Glückseligkeit; ob schon solche der Kern der Klugheit ist. Zwar dieser Ohnmacht ist der stärckste Grundstein: daß Götter sind; welche ein Volck beschirmen/ das andere verfol- gen. Aber diß ist mir noch verborgen: Ob sie selbst an eine Nothwendigkeit des Verhängnüs- ses angebunden/ oder unerbittlich sind. Denn sonst würden ja auch der Africaner Opffer und Andacht etwas fruchten; welche gleichsam in ei- nem Tage früh den Glücksstern über ihrem Wirbel; des Abends unter ihrer Fußsole/ ihre Tugend auch von der Römischen Ehrsucht zu Bodem getreten sehen. Jch habe zeither nicht geglaubt: daß Klugheit als ein unnützes Ding zu verwerffen/ Tapfferkeit als ein unglückliches nur zu beweinen/ beyde also schlechte Zwergdin- ge sind; wenn sie nicht dem Glücke auf der Ach- sel stehen. Wie viel glücklicher aber sind die/ welche nie so hoch gestiegen/ als die von dieser wanckelmüthigen wie ich zu Bodem gestürtzt/ und mit Füssen getreten werden. Hannibal verfiel hierauf in eine so grosse Schwermuth: daß er schier aller Kriegs-Sorgen vergaß; und ihn Reichhold ein Cattischer Fürst/ welcher nur noch beym Hannibal stand hielt/ aus seiner tief- fen Bekümmernüß aufrichten/ und ihm einhal- ten muste: Es wäre keine Schande/ wenn ei- nem das Glücke/ aber wol/ wenn man der Tu- gend den Rücken kehrte/ diese wäre ihr eigener Lohn/ nicht der ungewisse Ausschlag. Wenn Gott alle unsere verschmitzten Rathschläge ge- [Spaltenumbruch] rathen liesse/ würden wir uns selbst zu Göttern machen; wenn uns aber alle fehl schlügen; wür- de man glauben: daß entweder alles ungefähr geschehe/ oder das Verhängnüß mit Vernunfft und Tugend eine Todfeindschafft hegte. So aber geriethe eines/ das andere schlüge fehl; wor- mit man lernte: daß ein Wesen auser uns sey; in welchem alles ist. Diesem solte er den Lauf des Krieges heimstellen. Denn dieser handelte nie- mals und nirgends unrecht; sintemal er aller Sterblichen Leben seiner Güte und Boßheit nach auf die Wagschale legte; auch niemals un- vorsichtig. Denn Gotte wäre nichts verschlos- sen. Er wohnte in den Seelen der Menschen/ und prüfete ihre Gedancken. Nebst dem solte er das zeither rühmlich bewegte Steuer-Ruder nicht aus der Hand lassen. Denn Gott ver- kauffte um Müh unb Fleiß seinen Segen; Er stünde nicht Weibern/ sondern den Tapfferen bey; und fiele der Sieg wie die weisse Henne mit dem Oelzweige der wachenden und unerschro- ckenen Livie nicht den Müßigen in die Schoß. Also müste man ihm in Unfällen selbst eine Hülf- fe geben/ nicht aber durch eigene Verzweiffelung seine Schwäche zeigen; oder sich dem Unglücke zum Fußhader machen: daß es mit uns das Garaus spiele. Jn grossen Nöthen wäre kein besser Gefärthe/ und kein bewehrter Beystand/ als ein gut Hertze/ dieses verminderte das Ubel/ es käme der Schwachheit zu Hülffe/ also daß man aus allem Gedränge darvon käme/ und so gar die ungütigen Sterne bemeisterte. Aber Annibal mißtraute nunmehr nicht weniger ihm selbst/ als den Göttern; wich also in die euserste Spitze Jtaliens/ nemlich in die Landschafft der Brutier zurücke. Mago machte zwar mit den Liguriern ein neu Bündnüß wider die Römer/ und eroberte Genua; Hingegen bemächtigten diese sich fast gantz Hispaniens/ erlegten den von Rom wieder abgetretenen Judibilis und Man- donius. Alles diß waren noch erträgliche Wunden für Carthago/ weil sie nur die eusersten Glie-
Sechſtes Buch [Spaltenumbruch]
ſein altes Laͤger kam/ ſelbtes Annibaln fuͤr denWall geworffen/ und durch zwey loßgelaſſene Mohren ihm die groſſe Niederlage zu wiſſen ge- macht. Woruͤber Annibal ſeines Brudern Haupt mit Thraͤnen netzte/ und ſeufzende ruff- te: Jch ſehe leider! den weder durch Witz noch Tapfferkeit ablehnlichen Untergang der un- gluͤcklichen Stadt Carthago fuͤr Augen. Jch ſehe leider! wol das aufziehende Gewitter/ aber den Ungluͤcks-Streich weiß ich nicht zu verhuͤ- ten. So wenig dient kuͤnfftiger Dinge Wiſ- ſenſchafft zur Gluͤckſeligkeit; ob ſchon ſolche der Kern der Klugheit iſt. Zwar dieſer Ohnmacht iſt der ſtaͤrckſte Grundſtein: daß Goͤtter ſind; welche ein Volck beſchirmen/ das andere verfol- gen. Aber diß iſt mir noch verborgen: Ob ſie ſelbſt an eine Nothwendigkeit des Verhaͤngnuͤſ- ſes angebunden/ oder unerbittlich ſind. Denn ſonſt wuͤrden ja auch der Africaner Opffer und Andacht etwas fruchten; welche gleichſam in ei- nem Tage fruͤh den Gluͤcksſtern uͤber ihrem Wirbel; des Abends unter ihrer Fußſole/ ihre Tugend auch von der Roͤmiſchen Ehrſucht zu Bodem getreten ſehen. Jch habe zeither nicht geglaubt: daß Klugheit als ein unnuͤtzes Ding zu verwerffen/ Tapfferkeit als ein ungluͤckliches nur zu beweinen/ beyde alſo ſchlechte Zwergdin- ge ſind; wenn ſie nicht dem Gluͤcke auf der Ach- ſel ſtehen. Wie viel gluͤcklicher aber ſind die/ welche nie ſo hoch geſtiegen/ als die von dieſer wanckelmuͤthigen wie ich zu Bodem geſtuͤrtzt/ und mit Fuͤſſen getreten werden. Hannibal verfiel hierauf in eine ſo groſſe Schwermuth: daß er ſchier aller Kriegs-Sorgen vergaß; und ihn Reichhold ein Cattiſcher Fuͤrſt/ welcher nur noch beym Hannibal ſtand hielt/ aus ſeiner tief- fen Bekuͤmmernuͤß aufrichten/ und ihm einhal- ten muſte: Es waͤre keine Schande/ wenn ei- nem das Gluͤcke/ aber wol/ wenn man der Tu- gend den Ruͤcken kehrte/ dieſe waͤre ihr eigener Lohn/ nicht der ungewiſſe Ausſchlag. Wenn Gott alle unſere verſchmitzten Rathſchlaͤge ge- [Spaltenumbruch] rathen lieſſe/ wuͤrden wir uns ſelbſt zu Goͤttern machen; wenn uns aber alle fehl ſchluͤgen; wuͤr- de man glauben: daß entweder alles ungefaͤhr geſchehe/ oder das Verhaͤngnuͤß mit Vernunfft und Tugend eine Todfeindſchafft hegte. So aber geriethe eines/ das andere ſchluͤge fehl; wor- mit man lernte: daß ein Weſen auſer uns ſey; in welchem alles iſt. Dieſem ſolte er den Lauf des Krieges heimſtellen. Denn dieſer handelte nie- mals und nirgends unrecht; ſintemal er aller Sterblichen Leben ſeiner Guͤte und Boßheit nach auf die Wagſchale legte; auch niemals un- vorſichtig. Denn Gotte waͤre nichts verſchloſ- ſen. Er wohnte in den Seelen der Menſchen/ und pruͤfete ihre Gedancken. Nebſt dem ſolte er das zeither ruͤhmlich bewegte Steuer-Ruder nicht aus der Hand laſſen. Denn Gott ver- kauffte um Muͤh unb Fleiß ſeinen Segen; Er ſtuͤnde nicht Weibern/ ſondern den Tapfferen bey; und fiele der Sieg wie die weiſſe Henne mit dem Oelzweige der wachenden und unerſchro- ckenen Livie nicht den Muͤßigen in die Schoß. Alſo muͤſte man ihm in Unfaͤllen ſelbſt eine Huͤlf- fe geben/ nicht aber durch eigene Verzweiffelung ſeine Schwaͤche zeigen; oder ſich dem Ungluͤcke zum Fußhader machen: daß es mit uns das Garaus ſpiele. Jn groſſen Noͤthen waͤre kein beſſer Gefaͤrthe/ und kein bewehrter Beyſtand/ als ein gut Hertze/ dieſes verminderte das Ubel/ es kaͤme der Schwachheit zu Huͤlffe/ alſo daß man aus allem Gedraͤnge darvon kaͤme/ und ſo gar die unguͤtigen Sterne bemeiſterte. Aber Annibal mißtraute nunmehr nicht weniger ihm ſelbſt/ als den Goͤttern; wich alſo in die euſerſte Spitze Jtaliens/ nemlich in die Landſchafft der Brutier zuruͤcke. Mago machte zwar mit den Liguriern ein neu Buͤndnuͤß wider die Roͤmer/ und eroberte Genua; Hingegen bemaͤchtigten dieſe ſich faſt gantz Hiſpaniens/ erlegten den von Rom wieder abgetretenen Judibilis und Man- donius. Alles diß waren noch ertraͤgliche Wunden fuͤr Carthago/ weil ſie nur die euſerſten Glie-
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Sechſtes Buch
ſein altes Laͤger kam/ ſelbtes Annibaln fuͤr den
Wall geworffen/ und durch zwey loßgelaſſene
Mohren ihm die groſſe Niederlage zu wiſſen ge-
macht. Woruͤber Annibal ſeines Brudern
Haupt mit Thraͤnen netzte/ und ſeufzende ruff-
te: Jch ſehe leider! den weder durch Witz noch
Tapfferkeit ablehnlichen Untergang der un-
gluͤcklichen Stadt Carthago fuͤr Augen. Jch
ſehe leider! wol das aufziehende Gewitter/ aber
den Ungluͤcks-Streich weiß ich nicht zu verhuͤ-
ten. So wenig dient kuͤnfftiger Dinge Wiſ-
ſenſchafft zur Gluͤckſeligkeit; ob ſchon ſolche der
Kern der Klugheit iſt. Zwar dieſer Ohnmacht
iſt der ſtaͤrckſte Grundſtein: daß Goͤtter ſind;
welche ein Volck beſchirmen/ das andere verfol-
gen. Aber diß iſt mir noch verborgen: Ob ſie
ſelbſt an eine Nothwendigkeit des Verhaͤngnuͤſ-
ſes angebunden/ oder unerbittlich ſind. Denn
ſonſt wuͤrden ja auch der Africaner Opffer und
Andacht etwas fruchten; welche gleichſam in ei-
nem Tage fruͤh den Gluͤcksſtern uͤber ihrem
Wirbel; des Abends unter ihrer Fußſole/ ihre
Tugend auch von der Roͤmiſchen Ehrſucht zu
Bodem getreten ſehen. Jch habe zeither nicht
geglaubt: daß Klugheit als ein unnuͤtzes Ding
zu verwerffen/ Tapfferkeit als ein ungluͤckliches
nur zu beweinen/ beyde alſo ſchlechte Zwergdin-
ge ſind; wenn ſie nicht dem Gluͤcke auf der Ach-
ſel ſtehen. Wie viel gluͤcklicher aber ſind die/
welche nie ſo hoch geſtiegen/ als die von dieſer
wanckelmuͤthigen wie ich zu Bodem geſtuͤrtzt/
und mit Fuͤſſen getreten werden. Hannibal
verfiel hierauf in eine ſo groſſe Schwermuth:
daß er ſchier aller Kriegs-Sorgen vergaß; und
ihn Reichhold ein Cattiſcher Fuͤrſt/ welcher nur
noch beym Hannibal ſtand hielt/ aus ſeiner tief-
fen Bekuͤmmernuͤß aufrichten/ und ihm einhal-
ten muſte: Es waͤre keine Schande/ wenn ei-
nem das Gluͤcke/ aber wol/ wenn man der Tu-
gend den Ruͤcken kehrte/ dieſe waͤre ihr eigener
Lohn/ nicht der ungewiſſe Ausſchlag. Wenn
Gott alle unſere verſchmitzten Rathſchlaͤge ge-
rathen lieſſe/ wuͤrden wir uns ſelbſt zu Goͤttern
machen; wenn uns aber alle fehl ſchluͤgen; wuͤr-
de man glauben: daß entweder alles ungefaͤhr
geſchehe/ oder das Verhaͤngnuͤß mit Vernunfft
und Tugend eine Todfeindſchafft hegte. So
aber geriethe eines/ das andere ſchluͤge fehl; wor-
mit man lernte: daß ein Weſen auſer uns ſey; in
welchem alles iſt. Dieſem ſolte er den Lauf des
Krieges heimſtellen. Denn dieſer handelte nie-
mals und nirgends unrecht; ſintemal er aller
Sterblichen Leben ſeiner Guͤte und Boßheit
nach auf die Wagſchale legte; auch niemals un-
vorſichtig. Denn Gotte waͤre nichts verſchloſ-
ſen. Er wohnte in den Seelen der Menſchen/
und pruͤfete ihre Gedancken. Nebſt dem ſolte
er das zeither ruͤhmlich bewegte Steuer-Ruder
nicht aus der Hand laſſen. Denn Gott ver-
kauffte um Muͤh unb Fleiß ſeinen Segen; Er
ſtuͤnde nicht Weibern/ ſondern den Tapfferen
bey; und fiele der Sieg wie die weiſſe Henne mit
dem Oelzweige der wachenden und unerſchro-
ckenen Livie nicht den Muͤßigen in die Schoß.
Alſo muͤſte man ihm in Unfaͤllen ſelbſt eine Huͤlf-
fe geben/ nicht aber durch eigene Verzweiffelung
ſeine Schwaͤche zeigen; oder ſich dem Ungluͤcke
zum Fußhader machen: daß es mit uns das
Garaus ſpiele. Jn groſſen Noͤthen waͤre kein
beſſer Gefaͤrthe/ und kein bewehrter Beyſtand/
als ein gut Hertze/ dieſes verminderte das Ubel/
es kaͤme der Schwachheit zu Huͤlffe/ alſo daß
man aus allem Gedraͤnge darvon kaͤme/ und ſo
gar die unguͤtigen Sterne bemeiſterte. Aber
Annibal mißtraute nunmehr nicht weniger ihm
ſelbſt/ als den Goͤttern; wich alſo in die euſerſte
Spitze Jtaliens/ nemlich in die Landſchafft der
Brutier zuruͤcke. Mago machte zwar mit den
Liguriern ein neu Buͤndnuͤß wider die Roͤmer/
und eroberte Genua; Hingegen bemaͤchtigten
dieſe ſich faſt gantz Hiſpaniens/ erlegten den von
Rom wieder abgetretenen Judibilis und Man-
donius. Alles diß waren noch ertraͤgliche
Wunden fuͤr Carthago/ weil ſie nur die euſerſten
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 846[848]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/908>, abgerufen am 03.07.2024. |