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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Dieser begegnete Agathoclia auff der Stiege/
nahm ihr den Krug aus den Händen/ vorwen-
dende: daß sie wegen Durstes gleich selbst sich
zum Springbrunnen hätte verfügen wollen.
Unter diesem Gespräche schüttete sie/ als die
Trägerin nur einen Blick auf die Seite thät/
das hefftigste Gifft in den Krug; diese aber dar-
auf es auf die Jesminen. Kurtz hierauf besuch-
te Fürst Magilus und Dietrich Chlotilden in
ihrem Zimmer; welche über des vorigen Tages
Trauerfällen überaus bekümmert waren. Chlo-
tildis legte nach etlichen Unterredungen sich an
ihr Fenster/ und brach etliche Zweige von Jes-
minen ab/ in willens selbte beyden Fürsten zu
reichen. Sie hatte aber kaum den Geruch die-
ser Blumen recht empfunden/ als sie im Augen-
blicke stein todt zur Erden sanck. Alle Reib-
und Kühlungen waren vergebens; die Fürstin
und der gantze Hof derogestalt erschreckt: daß sich
fast niemand wagte den Mund aufzuthun/ son-
dern nur eines dem andern mit stummen Ge-
behrden das gemeine Leid klagte. Niemand
war zwar: der nicht Agathoclien in Verdacht
zohe; aber weil weder diese noch iemand von ihr
in etlichen Tagen ihr Zimmer betreten/ Chlotil-
dis auch seit des vorhergehenden Tages weder
Speise noch Tranck zu sich genommen hatte/
war wider Agathoclien der geringste Grund ei-
nes billichen Argwohns aufzufinden; auser:
daß so wohl bey ihr als bey Annibaln eine grosse
Schwermüthigkeit zu spüren war. Denn die
Erinnerung lieset in den Gewissen der Boß-
hafften ohne einige Schrifft ihre eigene Laster/
sie redet davon ohne Stimme/ und sie peitschet
sie biß aufs Blut ohne Ruthe. Jhr eigen [b]ang-
sames Antlitz ist wie der Zeiger an den Uhren ein
Verräther der inwendigen Unruh: daß die
Angst ihnen die Ruh aus dem Hertzen/ den
Schlaff aus den Augen reisse/ die Furcht ihren
Geist und die Vernunfft verwirre/ die Reue
Marck und Bein aussauge/ und die Verzweif-
felung ihnen Athem und Sprache verhalte.
[Spaltenumbruch] Nach zweyen gleichsam in einer Höle hinterleg-
ten Tagen/ eröfnete Annibal der Chlotildis
Schreibetisch; und fand in selbtem zu seiner
höchsten Erstaunung folgendes an Chlotilden
abgelassenes Schreiben: Jch flehe die Götter
unaufhörlich an um Dämpffung meiner auff-
schwellenden Gemüths-Bewegungen/ seit ich
Annibaln mit meinem Ehbrechrischen Ehweibe
in der Höle baden gesehen: daß ich ihrem Befeh-
le gehorsamen könne/ Annibaln das mir zuge-
fügte Unrecht zu verzeihen. Denn wiewol sei-
ne Beleidigung einem edlen Gemüthe fast un-
verschmertzlich fällt; so wil ich doch lieber eine
unauffhörliche Seelen-Marter erdulden/ als
von einer so tugendhafften Fürstin beschuldigt
werden: daß ich mit ihres Ehmannes geringster
Wunde das Mittel ihres Hertzen durchbohrete.
Jch werde meine Rache nur mit dem Blute
meiner Ehbrecherin abkühlen; wormit ich An-
nibaln so viel leichter vergeben könne; und dero-
gestalt von ihrem strengen Urthel: daß ich ihren
und Annibals Hof nicht mehr betreten solle/ loß-
zusprechen seyn. Wie nun diese Zeilen nicht
nur Chlotildens Unschuld/ sondern auch ihre für
Annibals Wolstand gepflogene Fürsorge au-
genscheinlich ans Licht stellten; also war iedes
Wort eine glüende Zange/ welche des grausa-
men Annibals sich selbst verdammendes Gewis-
sen zerfleischte. Bald war er entschlossen sich
selbst/ bald die Mordstiffterin Agathoclia eigen-
händig hinzurichten. Er warf sich auf sein Bet-
te/ mit Befehl: daß ihn kein Mensch auch we-
gen der wichtigsten Angelegen heit beunruhigen
solte; Gleich als wenn sein Gemüthe nicht
mehr/ als das bey gröstem Ungewitter stürmen-
de Meer unlustig gewest wäre. Diese See-
len-Marter zwischen tausend zweiffelhafften
Entschlüssungen trieb er den gantzen Tag/ und
die Nacht durch. Folgenden Morgen rief er
und befahl beyde Fürsten Magilus und Dietrich
zu ruffen; ihm aber ward zur Antwort: daß bey-
de Fürsten schon vorhergehenden Tag nach an-

gemerck-
Erster Theil. O o o o o

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Dieſer begegnete Agathoclia auff der Stiege/
nahm ihr den Krug aus den Haͤnden/ vorwen-
dende: daß ſie wegen Durſtes gleich ſelbſt ſich
zum Springbrunnen haͤtte verfuͤgen wollen.
Unter dieſem Geſpraͤche ſchuͤttete ſie/ als die
Traͤgerin nur einen Blick auf die Seite thaͤt/
das hefftigſte Gifft in den Krug; dieſe aber dar-
auf es auf die Jeſminen. Kurtz hierauf beſuch-
te Fuͤrſt Magilus und Dietrich Chlotilden in
ihrem Zimmer; welche uͤber des vorigen Tages
Trauerfaͤllen uͤberaus bekuͤmmert waren. Chlo-
tildis legte nach etlichen Unterredungen ſich an
ihr Fenſter/ und brach etliche Zweige von Jeſ-
minen ab/ in willens ſelbte beyden Fuͤrſten zu
reichen. Sie hatte aber kaum den Geruch die-
ſer Blumen recht empfunden/ als ſie im Augen-
blicke ſtein todt zur Erden ſanck. Alle Reib-
und Kuͤhlungen waren vergebens; die Fuͤrſtin
und der gantze Hof derogeſtalt erſchreckt: daß ſich
faſt niemand wagte den Mund aufzuthun/ ſon-
dern nur eines dem andern mit ſtummen Ge-
behrden das gemeine Leid klagte. Niemand
war zwar: der nicht Agathoclien in Verdacht
zohe; aber weil weder dieſe noch iemand von ihr
in etlichen Tagen ihr Zimmer betreten/ Chlotil-
dis auch ſeit des vorhergehenden Tages weder
Speiſe noch Tranck zu ſich genommen hatte/
war wider Agathoclien der geringſte Grund ei-
nes billichen Argwohns aufzufinden; auſer:
daß ſo wohl bey ihr als bey Annibaln eine groſſe
Schwermuͤthigkeit zu ſpuͤren war. Denn die
Erinnerung lieſet in den Gewiſſen der Boß-
hafften ohne einige Schrifft ihre eigene Laſter/
ſie redet davon ohne Stimme/ und ſie peitſchet
ſie biß aufs Blut ohne Ruthe. Jhr eigen [b]ang-
ſames Antlitz iſt wie der Zeiger an den Uhren ein
Verraͤther der inwendigen Unruh: daß die
Angſt ihnen die Ruh aus dem Hertzen/ den
Schlaff aus den Augen reiſſe/ die Furcht ihren
Geiſt und die Vernunfft verwirre/ die Reue
Marck und Bein ausſauge/ und die Verzweif-
felung ihnen Athem und Sprache verhalte.
[Spaltenumbruch] Nach zweyen gleichſam in einer Hoͤle hinterleg-
ten Tagen/ eroͤfnete Annibal der Chlotildis
Schreibetiſch; und fand in ſelbtem zu ſeiner
hoͤchſten Erſtaunung folgendes an Chlotilden
abgelaſſenes Schreiben: Jch flehe die Goͤtter
unaufhoͤrlich an um Daͤmpffung meiner auff-
ſchwellenden Gemuͤths-Bewegungen/ ſeit ich
Annibaln mit meinem Ehbrechriſchen Ehweibe
in der Hoͤle baden geſehen: daß ich ihrem Befeh-
le gehorſamen koͤnne/ Annibaln das mir zuge-
fuͤgte Unrecht zu verzeihen. Denn wiewol ſei-
ne Beleidigung einem edlen Gemuͤthe faſt un-
verſchmertzlich faͤllt; ſo wil ich doch lieber eine
unauffhoͤrliche Seelen-Marter erdulden/ als
von einer ſo tugendhafften Fuͤrſtin beſchuldigt
werden: daß ich mit ihres Ehmannes geringſter
Wunde das Mittel ihres Hertzen durchbohrete.
Jch werde meine Rache nur mit dem Blute
meiner Ehbrecherin abkuͤhlen; wormit ich An-
nibaln ſo viel leichter vergeben koͤnne; und dero-
geſtalt von ihrem ſtrengen Urthel: daß ich ihren
und Annibals Hof nicht mehr betreten ſolle/ loß-
zuſprechen ſeyn. Wie nun dieſe Zeilen nicht
nur Chlotildens Unſchuld/ ſondern auch ihre fuͤr
Annibals Wolſtand gepflogene Fuͤrſorge au-
genſcheinlich ans Licht ſtellten; alſo war iedes
Wort eine gluͤende Zange/ welche des grauſa-
men Annibals ſich ſelbſt verdammendes Gewiſ-
ſen zerfleiſchte. Bald war er entſchloſſen ſich
ſelbſt/ bald die Mordſtiffterin Agathoclia eigen-
haͤndig hinzurichten. Er warf ſich auf ſein Bet-
te/ mit Befehl: daß ihn kein Menſch auch we-
gen der wichtigſten Angelegen heit beunruhigen
ſolte; Gleich als wenn ſein Gemuͤthe nicht
mehr/ als das bey groͤſtem Ungewitter ſtuͤrmen-
de Meer unluſtig geweſt waͤre. Dieſe See-
len-Marter zwiſchen tauſend zweiffelhafften
Entſchluͤſſungen trieb er den gantzen Tag/ und
die Nacht durch. Folgenden Morgen rief er
und befahl beyde Fuͤrſten Magilus und Dietrich
zu ruffen; ihm aber ward zur Antwort: daß bey-
de Fuͤrſten ſchon vorhergehenden Tag nach an-

gemerck-
Erſter Theil. O o o o o
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[841[843]/0903] Arminius und Thußnelda. Dieſer begegnete Agathoclia auff der Stiege/ nahm ihr den Krug aus den Haͤnden/ vorwen- dende: daß ſie wegen Durſtes gleich ſelbſt ſich zum Springbrunnen haͤtte verfuͤgen wollen. Unter dieſem Geſpraͤche ſchuͤttete ſie/ als die Traͤgerin nur einen Blick auf die Seite thaͤt/ das hefftigſte Gifft in den Krug; dieſe aber dar- auf es auf die Jeſminen. Kurtz hierauf beſuch- te Fuͤrſt Magilus und Dietrich Chlotilden in ihrem Zimmer; welche uͤber des vorigen Tages Trauerfaͤllen uͤberaus bekuͤmmert waren. Chlo- tildis legte nach etlichen Unterredungen ſich an ihr Fenſter/ und brach etliche Zweige von Jeſ- minen ab/ in willens ſelbte beyden Fuͤrſten zu reichen. Sie hatte aber kaum den Geruch die- ſer Blumen recht empfunden/ als ſie im Augen- blicke ſtein todt zur Erden ſanck. Alle Reib- und Kuͤhlungen waren vergebens; die Fuͤrſtin und der gantze Hof derogeſtalt erſchreckt: daß ſich faſt niemand wagte den Mund aufzuthun/ ſon- dern nur eines dem andern mit ſtummen Ge- behrden das gemeine Leid klagte. Niemand war zwar: der nicht Agathoclien in Verdacht zohe; aber weil weder dieſe noch iemand von ihr in etlichen Tagen ihr Zimmer betreten/ Chlotil- dis auch ſeit des vorhergehenden Tages weder Speiſe noch Tranck zu ſich genommen hatte/ war wider Agathoclien der geringſte Grund ei- nes billichen Argwohns aufzufinden; auſer: daß ſo wohl bey ihr als bey Annibaln eine groſſe Schwermuͤthigkeit zu ſpuͤren war. Denn die Erinnerung lieſet in den Gewiſſen der Boß- hafften ohne einige Schrifft ihre eigene Laſter/ ſie redet davon ohne Stimme/ und ſie peitſchet ſie biß aufs Blut ohne Ruthe. Jhr eigen bang- ſames Antlitz iſt wie der Zeiger an den Uhren ein Verraͤther der inwendigen Unruh: daß die Angſt ihnen die Ruh aus dem Hertzen/ den Schlaff aus den Augen reiſſe/ die Furcht ihren Geiſt und die Vernunfft verwirre/ die Reue Marck und Bein ausſauge/ und die Verzweif- felung ihnen Athem und Sprache verhalte. Nach zweyen gleichſam in einer Hoͤle hinterleg- ten Tagen/ eroͤfnete Annibal der Chlotildis Schreibetiſch; und fand in ſelbtem zu ſeiner hoͤchſten Erſtaunung folgendes an Chlotilden abgelaſſenes Schreiben: Jch flehe die Goͤtter unaufhoͤrlich an um Daͤmpffung meiner auff- ſchwellenden Gemuͤths-Bewegungen/ ſeit ich Annibaln mit meinem Ehbrechriſchen Ehweibe in der Hoͤle baden geſehen: daß ich ihrem Befeh- le gehorſamen koͤnne/ Annibaln das mir zuge- fuͤgte Unrecht zu verzeihen. Denn wiewol ſei- ne Beleidigung einem edlen Gemuͤthe faſt un- verſchmertzlich faͤllt; ſo wil ich doch lieber eine unauffhoͤrliche Seelen-Marter erdulden/ als von einer ſo tugendhafften Fuͤrſtin beſchuldigt werden: daß ich mit ihres Ehmannes geringſter Wunde das Mittel ihres Hertzen durchbohrete. Jch werde meine Rache nur mit dem Blute meiner Ehbrecherin abkuͤhlen; wormit ich An- nibaln ſo viel leichter vergeben koͤnne; und dero- geſtalt von ihrem ſtrengen Urthel: daß ich ihren und Annibals Hof nicht mehr betreten ſolle/ loß- zuſprechen ſeyn. Wie nun dieſe Zeilen nicht nur Chlotildens Unſchuld/ ſondern auch ihre fuͤr Annibals Wolſtand gepflogene Fuͤrſorge au- genſcheinlich ans Licht ſtellten; alſo war iedes Wort eine gluͤende Zange/ welche des grauſa- men Annibals ſich ſelbſt verdammendes Gewiſ- ſen zerfleiſchte. Bald war er entſchloſſen ſich ſelbſt/ bald die Mordſtiffterin Agathoclia eigen- haͤndig hinzurichten. Er warf ſich auf ſein Bet- te/ mit Befehl: daß ihn kein Menſch auch we- gen der wichtigſten Angelegen heit beunruhigen ſolte; Gleich als wenn ſein Gemuͤthe nicht mehr/ als das bey groͤſtem Ungewitter ſtuͤrmen- de Meer unluſtig geweſt waͤre. Dieſe See- len-Marter zwiſchen tauſend zweiffelhafften Entſchluͤſſungen trieb er den gantzen Tag/ und die Nacht durch. Folgenden Morgen rief er und befahl beyde Fuͤrſten Magilus und Dietrich zu ruffen; ihm aber ward zur Antwort: daß bey- de Fuͤrſten ſchon vorhergehenden Tag nach an- gemerck- Erſter Theil. O o o o o

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 841[843]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/903>, abgerufen am 23.11.2024.