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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Sechstes Buch
[Spaltenumbruch] dacht den Göttern zur Danckbarkeit gewisse
Gelübde thue. Alleine wenn man aus Ver-
messenheit auff seine eigene Kräffte dem un-
auff haltbaren Rade der göttlichen Versehung
gleichsam in die Speichen fällt; und ehe diß o-
der jenes mit unsern schwachen Armen aus-
gerichtet sey/ seine Haare/ wie Semiramis/
nicht auffflechten/ oder sie/ wie die Catten/ für
Erlegung des Feindes nicht abscheeren lassen/
wie Amilcar auff eine gewisse Zeit in beläger-
ten Städten speisen/ oder für ihrer Erobe-
rung kein weisses Hemde anlegen will/ und
seinen eigenen Kopff zum Verlust durch Ge-
lübde verknüpfft; verwirret Gott nicht unbil-
lich der Klugen Rathschläge/ und entkräfftet
die Stärcke der Riesen. Uberdiß überlegen
die/ welchen kein Anschlag krebsgängig wer-
den soll/ gar nicht: daß es selbst ihr eusserstes
Unglück wäre/ wenn die Götter die thörich-
ten Begierden der Menschen allezeit mit ge-
wünschtem Ausschlage beseligten. Denn gros-
ses Glücke scheinet uns zwar wie die Schwantz-
Sternen herrlich in die Augen; aber sie zie-
hen nach sich ihre geschwinde Einäscherung
und anderer Finsterniß. Es ist wahr/
sagte Adgandester; und hat nicht nur König A-
nerdest/ sondern nach ihm viel andere einen
grossen Schiffbruch ihrer allzuverheuchelten
Hoffnung gelitten/ welche insgemein alle Früch-
te einerndet/ ehe sie reiff werden/ und sie daher
auch ehe verfaulen/ als eßbar werden siehet;
für etlicher Zeit Marcus Crassus im Parthi-
schen/ Democritus im Etolischen/ und Anto-
nius im Cretischen Kriege ein schimpffliches
Beyspiel abgegeben. Derer erster dem Qvin-
tius an der Tyber/ wenn er daselbst sein Lager
auffschlagen würde/ der andere den Parthen/
erst in der Stadt Selevcia antworten wolte/
beyde aber selbst gefangen oder erschlagen wur-
gen/ der dritte mehr Ketten als Waffen in
seinen Schiffen mit führte/ aber solche schimpff-
lich einbüste; und die auff fremder Armen und
Beine geschmiedete Fessel seinen Römern muste
[Spaltenumbruch] am Halse hencken sehen. Wenn aber solch Ge-
lübde nur eine Erinnerung tugend haffter Ent-
schlüssung/ nicht aber die Unterdrückung der Un-
schuld zu ihrem Zwecke hat/ ist solcher Reitz son-
der Zweifel so wenig/ als eine Spieß gerthe in der
Hand eines vernünfftigen Reuters zu tadeln.

Alleine die Vielheit dessen/ was mir noch
zu erzehlen oblieget/ nöthiget mich hier abzu-
brechen/ und noch zu erwehnen: daß Emilius
mit seinem Heere in der Bojen Gebiete ein-
fiel/ zwischen dem Rhein und dem Flusse Scul-
tenna reiche Beute machte/ und die gefange-
nen Deutschen in voller Rüstung zu Rom im
Siegs-Gepränge auffs Capitol führte; wor-
mit sie ihres gethanen Gelübdes sich entschüt-
ten möchten/ weil sie geschworen haben solten
nicht eher als im Capitolium ihren Gürtel
auffzulösen. Die Furcht der Römer für den
Deutschen war durch diesen glücklichen Streich
zwar abgethan/ die Begierde der Rache aber
nur vermehret. Daher fielen die Bürgermei-
ster Manlius und Torqvatus auffs neue bey
den Bojen ein; und weil bereit der Kern ihres
Volckes von Römern und Cenomannen er-
legt war/ die andern Deutschen auch durch ei-
gene Zwytracht ihnen beyzustehen verhindert
wurden; unterwarffen sich die Bojen zwischen
den Flüssen Gabellus und Jdex biß an den Po
der Römischen Bothmäßigkeit. Die Römer
waren zwar auch im Wercke über den Po zu se-
tzen/ und die Jnsubrier zu demüthigen/ sie konten
es aber dißmahl wegen starcker Gegenwehr und
Ungewitter nicht schaffen. Dieser vergebene
Versuch war folgenden Bürgermeistern/ nehm-
lich dem Cajus Flaminius und Furius Philus
der hefftigste Reitz die Ehre zu erlangen: daß
sie die ersten Römer wären/ welche die Siegs-
Fahnen auff dem lincken Ufer des Po auff-
steckten. Sie versuchten zwar alle Mittel und
Kriegs-List über diesen Strom zu kommen; a-
ber die nichts minder vorsichtigen/ als streit-
baren Deutschen hielten mit ihrer Gegen-
wehr die Römer drey Tage auf; biß sie endlich

wehr

Sechſtes Buch
[Spaltenumbruch] dacht den Goͤttern zur Danckbarkeit gewiſſe
Geluͤbde thue. Alleine wenn man aus Ver-
meſſenheit auff ſeine eigene Kraͤffte dem un-
auff haltbaren Rade der goͤttlichen Verſehung
gleichſam in die Speichen faͤllt; und ehe diß o-
der jenes mit unſern ſchwachen Armen aus-
gerichtet ſey/ ſeine Haare/ wie Semiramis/
nicht auffflechten/ oder ſie/ wie die Catten/ fuͤr
Erlegung des Feindes nicht abſcheeren laſſen/
wie Amilcar auff eine gewiſſe Zeit in belaͤger-
ten Staͤdten ſpeiſen/ oder fuͤr ihrer Erobe-
rung kein weiſſes Hemde anlegen will/ und
ſeinen eigenen Kopff zum Verluſt durch Ge-
luͤbde verknuͤpfft; verwirret Gott nicht unbil-
lich der Klugen Rathſchlaͤge/ und entkraͤfftet
die Staͤrcke der Rieſen. Uberdiß uͤberlegen
die/ welchen kein Anſchlag krebsgaͤngig wer-
den ſoll/ gar nicht: daß es ſelbſt ihr euſſerſtes
Ungluͤck waͤre/ wenn die Goͤtter die thoͤrich-
ten Begierden der Menſchen allezeit mit ge-
wuͤnſchtem Ausſchlage beſeligten. Denn groſ-
ſes Gluͤcke ſcheinet uns zwar wie die Schwantz-
Sternen herrlich in die Augen; aber ſie zie-
hen nach ſich ihre geſchwinde Einaͤſcherung
und anderer Finſterniß. Es iſt wahr/
ſagte Adgandeſter; und hat nicht nur Koͤnig A-
nerdeſt/ ſondern nach ihm viel andere einen
groſſen Schiffbruch ihrer allzuverheuchelten
Hoffnung gelitten/ welche insgemein alle Fruͤch-
te einerndet/ ehe ſie reiff werden/ und ſie daher
auch ehe verfaulen/ als eßbar werden ſiehet;
fuͤr etlicher Zeit Marcus Craſſus im Parthi-
ſchen/ Democritus im Etoliſchen/ und Anto-
nius im Cretiſchen Kriege ein ſchimpffliches
Beyſpiel abgegeben. Derer erſter dem Qvin-
tius an der Tyber/ wenn er daſelbſt ſein Lager
auffſchlagen wuͤrde/ der andere den Parthen/
erſt in der Stadt Selevcia antworten wolte/
beyde aber ſelbſt gefangen oder erſchlagen wur-
gen/ der dritte mehr Ketten als Waffen in
ſeinen Schiffen mit fuͤhrte/ aber ſolche ſchimpff-
lich einbuͤſte; und die auff fremder Armen und
Beine geſchmiedete Feſſel ſeinen Roͤmern muſte
[Spaltenumbruch] am Halſe hencken ſehen. Wenn aber ſolch Ge-
luͤbde nur eine Erinnerung tugend haffter Ent-
ſchluͤſſung/ nicht aber die Unterdruͤckung der Un-
ſchuld zu ihrem Zwecke hat/ iſt ſolcher Reitz ſon-
der Zweifel ſo wenig/ als eine Spieß gerthe in der
Hand eines vernuͤnfftigen Reuters zu tadeln.

Alleine die Vielheit deſſen/ was mir noch
zu erzehlen oblieget/ noͤthiget mich hier abzu-
brechen/ und noch zu erwehnen: daß Emilius
mit ſeinem Heere in der Bojen Gebiete ein-
fiel/ zwiſchen dem Rhein und dem Fluſſe Scul-
tenna reiche Beute machte/ und die gefange-
nen Deutſchen in voller Ruͤſtung zu Rom im
Siegs-Gepraͤnge auffs Capitol fuͤhrte; wor-
mit ſie ihres gethanen Geluͤbdes ſich entſchuͤt-
ten moͤchten/ weil ſie geſchworen haben ſolten
nicht eher als im Capitolium ihren Guͤrtel
auffzuloͤſen. Die Furcht der Roͤmer fuͤr den
Deutſchen war durch dieſen gluͤcklichen Streich
zwar abgethan/ die Begierde der Rache aber
nur vermehret. Daher fielen die Buͤrgermei-
ſter Manlius und Torqvatus auffs neue bey
den Bojen ein; und weil bereit der Kern ihres
Volckes von Roͤmern und Cenomannen er-
legt war/ die andern Deutſchen auch durch ei-
gene Zwytracht ihnen beyzuſtehen verhindert
wurden; unterwarffen ſich die Bojen zwiſchen
den Fluͤſſen Gabellus und Jdex biß an den Po
der Roͤmiſchen Bothmaͤßigkeit. Die Roͤmer
waren zwar auch im Wercke uͤber den Po zu ſe-
tzen/ und die Jnſubrier zu demuͤthigen/ ſie konten
es aber dißmahl wegen ſtarcker Gegenwehr und
Ungewitter nicht ſchaffen. Dieſer vergebene
Verſuch war folgenden Buͤrgermeiſtern/ nehm-
lich dem Cajus Flaminius und Furius Philus
der hefftigſte Reitz die Ehre zu erlangen: daß
ſie die erſten Roͤmer waͤren/ welche die Siegs-
Fahnen auff dem lincken Ufer des Po auff-
ſteckten. Sie verſuchten zwar alle Mittel und
Kriegs-Liſt uͤber dieſen Strom zu kommen; a-
ber die nichts minder vorſichtigen/ als ſtreit-
baren Deutſchen hielten mit ihrer Gegen-
wehr die Roͤmer drey Tage auf; biß ſie endlich

wehr
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[812[814]/0874] Sechſtes Buch dacht den Goͤttern zur Danckbarkeit gewiſſe Geluͤbde thue. Alleine wenn man aus Ver- meſſenheit auff ſeine eigene Kraͤffte dem un- auff haltbaren Rade der goͤttlichen Verſehung gleichſam in die Speichen faͤllt; und ehe diß o- der jenes mit unſern ſchwachen Armen aus- gerichtet ſey/ ſeine Haare/ wie Semiramis/ nicht auffflechten/ oder ſie/ wie die Catten/ fuͤr Erlegung des Feindes nicht abſcheeren laſſen/ wie Amilcar auff eine gewiſſe Zeit in belaͤger- ten Staͤdten ſpeiſen/ oder fuͤr ihrer Erobe- rung kein weiſſes Hemde anlegen will/ und ſeinen eigenen Kopff zum Verluſt durch Ge- luͤbde verknuͤpfft; verwirret Gott nicht unbil- lich der Klugen Rathſchlaͤge/ und entkraͤfftet die Staͤrcke der Rieſen. Uberdiß uͤberlegen die/ welchen kein Anſchlag krebsgaͤngig wer- den ſoll/ gar nicht: daß es ſelbſt ihr euſſerſtes Ungluͤck waͤre/ wenn die Goͤtter die thoͤrich- ten Begierden der Menſchen allezeit mit ge- wuͤnſchtem Ausſchlage beſeligten. Denn groſ- ſes Gluͤcke ſcheinet uns zwar wie die Schwantz- Sternen herrlich in die Augen; aber ſie zie- hen nach ſich ihre geſchwinde Einaͤſcherung und anderer Finſterniß. Es iſt wahr/ ſagte Adgandeſter; und hat nicht nur Koͤnig A- nerdeſt/ ſondern nach ihm viel andere einen groſſen Schiffbruch ihrer allzuverheuchelten Hoffnung gelitten/ welche insgemein alle Fruͤch- te einerndet/ ehe ſie reiff werden/ und ſie daher auch ehe verfaulen/ als eßbar werden ſiehet; fuͤr etlicher Zeit Marcus Craſſus im Parthi- ſchen/ Democritus im Etoliſchen/ und Anto- nius im Cretiſchen Kriege ein ſchimpffliches Beyſpiel abgegeben. Derer erſter dem Qvin- tius an der Tyber/ wenn er daſelbſt ſein Lager auffſchlagen wuͤrde/ der andere den Parthen/ erſt in der Stadt Selevcia antworten wolte/ beyde aber ſelbſt gefangen oder erſchlagen wur- gen/ der dritte mehr Ketten als Waffen in ſeinen Schiffen mit fuͤhrte/ aber ſolche ſchimpff- lich einbuͤſte; und die auff fremder Armen und Beine geſchmiedete Feſſel ſeinen Roͤmern muſte am Halſe hencken ſehen. Wenn aber ſolch Ge- luͤbde nur eine Erinnerung tugend haffter Ent- ſchluͤſſung/ nicht aber die Unterdruͤckung der Un- ſchuld zu ihrem Zwecke hat/ iſt ſolcher Reitz ſon- der Zweifel ſo wenig/ als eine Spieß gerthe in der Hand eines vernuͤnfftigen Reuters zu tadeln. Alleine die Vielheit deſſen/ was mir noch zu erzehlen oblieget/ noͤthiget mich hier abzu- brechen/ und noch zu erwehnen: daß Emilius mit ſeinem Heere in der Bojen Gebiete ein- fiel/ zwiſchen dem Rhein und dem Fluſſe Scul- tenna reiche Beute machte/ und die gefange- nen Deutſchen in voller Ruͤſtung zu Rom im Siegs-Gepraͤnge auffs Capitol fuͤhrte; wor- mit ſie ihres gethanen Geluͤbdes ſich entſchuͤt- ten moͤchten/ weil ſie geſchworen haben ſolten nicht eher als im Capitolium ihren Guͤrtel auffzuloͤſen. Die Furcht der Roͤmer fuͤr den Deutſchen war durch dieſen gluͤcklichen Streich zwar abgethan/ die Begierde der Rache aber nur vermehret. Daher fielen die Buͤrgermei- ſter Manlius und Torqvatus auffs neue bey den Bojen ein; und weil bereit der Kern ihres Volckes von Roͤmern und Cenomannen er- legt war/ die andern Deutſchen auch durch ei- gene Zwytracht ihnen beyzuſtehen verhindert wurden; unterwarffen ſich die Bojen zwiſchen den Fluͤſſen Gabellus und Jdex biß an den Po der Roͤmiſchen Bothmaͤßigkeit. Die Roͤmer waren zwar auch im Wercke uͤber den Po zu ſe- tzen/ und die Jnſubrier zu demuͤthigen/ ſie konten es aber dißmahl wegen ſtarcker Gegenwehr und Ungewitter nicht ſchaffen. Dieſer vergebene Verſuch war folgenden Buͤrgermeiſtern/ nehm- lich dem Cajus Flaminius und Furius Philus der hefftigſte Reitz die Ehre zu erlangen: daß ſie die erſten Roͤmer waͤren/ welche die Siegs- Fahnen auff dem lincken Ufer des Po auff- ſteckten. Sie verſuchten zwar alle Mittel und Kriegs-Liſt uͤber dieſen Strom zu kommen; a- ber die nichts minder vorſichtigen/ als ſtreit- baren Deutſchen hielten mit ihrer Gegen- wehr die Roͤmer drey Tage auf; biß ſie endlich wehr

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 812[814]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/874>, abgerufen am 22.11.2024.